11. September 2019

Meilenstein auf dem Weg zur Atomkern-Uhr Meilenstein auf dem Weg zur Atomkern-Uhr

Studien unter Beteiligung der Universität Bonn eröffnen neue Anwendungsfelder für ultragenaue Zeitmessungen

Zwei internationalen Forschungsteams ist gleichzeitig ein großer Schritt auf dem Weg zur Atomkern-Uhr gelungen. Die Wissenschaftler konnten die Energie des lang gesuchten Kern-Übergangs von Thorium bestimmen. Dadurch ist der Bau kleiner und äußerst robuster Uhren von hoher Präzision in greifbare Nähe gerückt. Mit diesen sollen sich in Zukunft beispielsweise die Auswirkungen des Klimawandels weit genauer als bisher vermessen lassen. Die Universität Bonn ist an beiden Studien beteiligt; sie erscheinen nun in der renommierten Fachzeitschrift Nature.

Prof. Dr. Simon Stellmer
Prof. Dr. Simon Stellmer - von der Universität Bonn beim Justieren eines Lasers, der für die Präzisionsmessungen eingesetzt wird. © Foto: Volker Lannert/Uni Bonn
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Wenn man die exakteste Uhr der Welt bauen möchte, braucht man einen Taktgeber, der sehr oft und extrem präzise tickt. In einer Quarzuhr versetzt man dazu einen Quarzkristall in Schwingungen. Das klappt am besten bei seiner Resonanzfrequenz – diese gibt daher den Takt vor, und das ziemlich exakt.

Noch deutlich genauer sind Atomuhren. Sie setzen ebenfalls auf ein Resonanzphänomen: Die Elektronen eines Atoms lassen sich nämlich durch elektromagnetische Schwingungen anregen – aber nur dann, wenn diese Schwingungen haargenau die passende Frequenz haben. Auf minimale Abweichungen reagieren die Elektronen viel empfindlicher als ein Quarzkristall. Die besten Atomuhren gehen daher in 30 Milliarden Jahren nicht einmal eine Sekunde falsch.

„Die heute üblichen Atomuhren sind aber anfällig gegenüber Störeinflüssen“, erklärt Prof. Dr. Simon Stellmer von der Arbeitsgruppe Quantenmetrologie der Universität Bonn. „Temperaturschwankungen oder Magnetfelder können sie leicht aus dem Takt bringen.“ Man muss daher einen riesigen Aufwand treiben, um derartige Störungen zu minimieren. Typische Atomuhren sind daher so groß wie eine Wohnküche.

Klein bedeutet weniger störanfällig

Atomkerne sind etwa 100.000 mal kleiner als ein komplettes Atom. Aus diesem Grunde sind sie auch deutlich unempfindlicher. Theoretisch sollten sich mit ihnen Uhren konzipieren lassen, die in eine Butterbrotdose passen. Denn auch Atomkerne lassen sich durch Schwingungen der passenden Frequenz anregen. „Das Problem ist aber, dass dazu bei den meisten Kernen extrem hohe Energien nötig sind“, betont Stellmer. „Für derart hohe Energien stehen Laser, wie sie zur Anregung von Elektronen verwendet werden, noch nicht zur Verfügung.“

Stellmer ist vor einem Jahr von der TU Wien an die Universität Bonn gewechselt. In Wien begann – in Kooperation mit Prof. Dr. Thorsten Schumm vom dortigen Atominstitut – auch ein Teil der Arbeiten, die nun zu den beiden Publikationen führten. Sie basieren auf einem Umstand, den Stellmer als „Geschenk der Natur“ bezeichnet: Kerne von Thorium-Atomen des Isotops 229 lassen sich durch ähnlich geringe Energien anregen wie Elektronen – ein absoluter Einzelfall. Die Kerne geraten dadurch in einen Zustand, den die Wissenschaftler „Isomer“ nennen. Ganz ähnlich wie bei einer herkömmlichen Atomuhr kann dieser Zustand mit Laserlicht erzeugt werden.

Das Problem daran: Die Energie des Isomer-Zustands war bislang nicht genau bekannt. „Wir wussten also nicht, welche Farbe ein Laser haben muss, um diesen Anregungszustand hervorzurufen“, sagt Stellmer. Die beiden Publikationen beantworten diese Frage nun – und zwar mit Hilfe zweier völlig unterschiedlicher Verfahren: Eine Kollaboration mit Physikern aus Japan hat dazu Thorium-229-Kerne mit Hilfe hochenergetischer Strahlung zunächst in einen sehr energiereichen Zustand versetzt. Aus diesem fielen sie dann in den Isomer-Zustand zurück, dessen Energie dann in einem zweiten Schritt gemessen werden kann. „Wir konstruieren momentan die Messapparatur, die dies bewerkstelligt“, sagt Stellmer.

Einen anderen Ansatz verfolgten Forschungsgruppen aus Deutschland (Universität Bonn, LMU München, MPI Heidelberg) zusammen mit der TU Wien. Sie entwickelten eine Methode, den Kernzustand durch den Zerfall von Urankernen zu untersuchen. Denn dabei entstehen elektrisch geladene Thoriumionen, von denen sich etwa zwei Prozent im Isomer-Zustand befinden. Wenn man sie elektrisch neutralisiert, können sie spontan in den tiefsten Kernzustand wechseln. Dabei entsteht ein Elektron, dessen Energie sich messen lässt. Auch an diesen Arbeiten war Prof. Stellmer beteiligt.

Der Physiker baut momentan in Bonn eine Arbeitsgruppe auf, die sich mit hochpräzisen Messungen unter Nutzung quantenphysikalischer Phänomene beschäftigt. Für kleine, kaum störanfällige und dennoch extrem genaue Atomuhren gibt es einen enormen Anwendungsbedarf – an Bord von Navigations-Satelliten sorgen sie zum Beispiel für eine höhere Genauigkeit. Außerdem lässt sich das Gravitationsfeld der Erde mit Hilfe von Atomuhren sehr genau vermessen, etwa um die Auswirkungen des Klimawandels zu erfassen – vom Abschmelzen der Gletscher und Polkappen bis hin zur Veränderungen des Grundwasserspiegels. Auch für die Astronomie und die Bestimmung grundlegender Eigenschaften von Elementarteilchen sind derartige Uhren wichtig; für diese Arbeiten wurde Stellmer kürzlich mit einem ERC Starting Grant ausgezeichnet. Ein wichtiges Anwendungsgebiet sind zudem zukünftige Quantencomputer – kein Wunder, dass Stellmer auch in dem entsprechenden Exzellenzcluster der Universität Bonn vertreten ist.

Publikationen:

Benedict Seiferle, Lars von der Wense, Pavlo V. Bilous, Ines Amersdor?er, Christoph Lemell, Florian Libisch, Simon Stellmer, Thorsten Schumm, Christoph E. Düllmann, Adriana Pál?y & Peter G. Thirolf: Energy of the 229 Th nuclear clock transition. Nature, DOI: 10.1038/s41586-019-1533-4

Takahiko Masuda u.a.: X-ray pumping of the 229 Th nuclear clock isomer (letter-v2). Nature, DOI: 10.1038/s41586-019-1542-3

Kontakt:

Prof. Dr. Simon Stellmer
Arbeitsgruppe Quantenmetrologie
Universität Bonn
Tel. 0228/73-3720
E-Mail: stellmer@uni-bonn.de

Prof. Dr. Simon Stellmer
Prof. Dr. Simon Stellmer - von der Universität Bonn beim Justieren eines Lasers, der für die Präzisionsmessungen eingesetzt wird. © Foto: Volker Lannert/Uni Bonn
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