18. Dezember 2024

„Offenheit und Neugierde sind der Schlüssel zum Engagement“ „Offenheit und Neugierde sind der Schlüssel zum Engagement“

Interview mit Dr. Stefan Partelow von der Uni Bonn über die Frage, wie ein transformativer Wandel erreicht werden kann, um dem Verlust der biologischen Vielfalt zu begegnen

In einer Zeit vielfältiger Krisen ist der enorme Schwund der biologischen Vielfalt eine der größten Herausforderungen, von deren Folgen bereits unzählige Menschen auf der ganzen Welt betroffen sind. Inzwischen ist es offensichtlich: Es muss sich etwas ändern - aber was und wie? Dr. Stefan Partelow, Leiter des Forschungsschwerpunkts „Transformation und Governance“ am Center for Life Ethics der Universität Bonn, beschäftigt sich mit genau dieser Frage. Als einer von vielen Wissenschaftlern hat er am Transformative Change Assessment des Weltbiodiversitätsrates IPBES mitgewirkt, das jetzt veröffentlicht wurde: Es zielt darauf ab, Faktoren in der menschlichen Gesellschaft zu verstehen und zu identifizieren, die genutzt werden können, um einen transformativen Wandel für den Erhalt, die Wiederherstellung und die sinnvolle Nutzung der biologischen Vielfalt herbeizuführen und gleichzeitig soziale und wirtschaftliche Ziele im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu berücksichtigen.

Dr. Stefan Partelow vom Center for Life Ethics an der Universität Bonn.
Dr. Stefan Partelow vom Center for Life Ethics an der Universität Bonn. © Barbara Frommann / Universität Bonn
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Herr Partelow, das Transformative Change Assessment des IPBES befasst sich mit dem Schwund der biologischen Vielfalt, genauer gesagt: mit den zugrunde liegenden Ursachen. Um welche Ursachen handelt es sich dabei?

Nach früheren Bewertungen und Berichten von IPBES-Sachverständigen ist der weltweite Schwund der biologischen Vielfalt das Ergebnis einer nicht nachhaltigen Nutzung der Natur aufgrund politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen, die auf einem eng gefassten Spektrum von Werten basieren. Wir zerstören zu viele Lebensräume, verändern zu viel Land, übernutzen die Wasserressourcen und stoßen zu viele Treibhausgase aus, die den Klimawandel vorantreiben und die natürlichen Systeme weiter belasten.

Das vorangegangene Global IPBES Assessment aus dem Jahr 2019 kommt zu dem Schluss, dass ein transformativer, systemweiter Wandel notwendig ist, um die Vision 2050 für Biodiversität und Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen zu erreichen. Was ist mit „transformativem Wandel“ gemeint?

Transformativer Wandel meint grundlegende systemweite Veränderungen in den Zielen und der Organisation von Systemen, auch in den Bereichen Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft.  Es ist zentral, Einflussfaktoren auf individueller und kollektiver Ebene der Gesellschaft zu verstehen und zu identifizieren, einschließlich der verhaltensbezogenen, sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen, institutionellen und technischen Gegebenheiten. Dieses Wissen kann dann genutzt werden, um durch Governance einen transformativen Wandel herbeizuführen, der das Verhalten von Menschen und Systemen in verschiedenen Kontexten auf die angestrebten Ziele ausrichtet. Dabei müssen auch umfassendere soziale und wirtschaftliche Ziele im Kontext der nachhaltigen Entwicklung berücksichtigt werden.

Welche Rolle spielt die Wissenschaft dabei?

IPBES ist eine unabhängige zwischenstaatliche wissenschaftspolitische Plattform, die von einer Allianz von Staatsregierungen gegründet wurde und vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) unterstützt wird. Das Transformative Change Assessment wird von einer Expertengruppe durchgeführt. Das IPBES verfügt über verschiedene Gruppen, die eine Vielzahl von Themenbereichen abdecken, die die wissenschaftlichen Erkenntnisse und anderes relevantes Wissen zu den Themen strukturieren und zusammenfassen. Die multidisziplinäre wissenschaftliche Expertengruppe holt zusätzlich Erkenntnisse von externen Experten ein und fasst diese in einem Abschlussbericht für politische Entscheidungsträger zusammen. Die Wissenschaft muss sich aktiv an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik engagieren, um einen transformativen Wandel zu ermöglichen und faktengestützte Strategien, Taktiken und Wege aufzuzeigen, die in der Gesellschaft wirken können.

Sie leiten den Forschungsbereich Transformation und Governance am Center for Life Ethics. Governance ermöglicht es der Gesellschaft, durch Regeln, Normen und Institutionen gezielte Veränderungen an lebenden Systemen vorzunehmen. Wie können Wissenschaft, Politik und Gesellschaft gemeinsam einen transformativen Wandel gestalten?

Entscheidend ist die Bereitschaft zum Aufbau von Sozialkapital, das meint die Quantität, Qualität und Vielfalt unserer sozialen Beziehungen, und von Vertrauen zwischen Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Wir müssen uns auf Augenhöhe begegnen und die Erfahrungen, das Wissen, die Werte und die Ziele, die diese verschiedenen Gruppen vertreten, respektieren. Der Dialog ist der natürliche Ausgangspunkt. Transparenz, wie und warum wir unsere Wissenschaft betreiben, sowie die Einbeziehung dieser Akteursgruppen sind entscheidend für die Verbesserung der Ergebnisse unserer Forschung, die Förderung des Vertrauens in den Prozess und letztlich für die Übernahme des relevanten Wissens in die Praxis durch diejenigen Akteure, die am meisten davon profitieren können.

Was kann jeder Einzelne von uns dazu beitragen?

Wir können neugieriger sein und sollten nicht vorschnell auf Veränderungen oder Zielsetzungsprozesse reagieren oder sie sofort verurteilen. Veränderungen in der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik finden fortwährend statt - aber wir konzentrieren uns oft auf eine Ebene des Wandels, die sich unserer Kontrolle entzieht, oder wir sehen uns gezwungen, eine große Last an individueller Verantwortung zu übernehmen. Im modernen Diskurs über Nachhaltigkeit richtet sich die Aufmerksamkeit auf Maßnahmen auf staatlicher Ebene oder individuelle Verhaltensänderungen. In den meisten Fällen haben jedoch unsere Freundes-, Familien-, Kollegen- und Nachbarschaftskreise einen größeren Einfluss darauf, wie wir uns verhalten und wie wir umgekehrt auf sie einwirken. Diese gemeinschaftliche Ebene - zwischen Individuum und Staat - muss unbedingt gewürdigt und einbezogen werden. Unsere Gemeinschaften sind informell und erfordern unser aktives Engagement, und wir haben einen großen Einfluss darauf, wie wir sie selbst gestalten. Entscheidend ist, dass wir uns aus einer Haltung der Offenheit und Neugier heraus engagieren. Als Einzelpersonen in diesen Gemeinschaften können wir uns fragen: Was sind meine Werte und warum sind sie mir wichtig? Spiegelt mein Handeln diese Werte wider?

Das ausführliche Interview mit Dr. Stefan Partelow finden Sie unter: https://www.lifeethics.uni-bonn.de/aktuelles/offenheit-und-neugierde-sind-der-schluessel-zum-engagement 

Das Center for Life Ethics widmet sich in enger Kooperation mit Wissenschaftler*innen aus anderen Fachdisziplinen sowie Akteur*innen aus unterschiedlichen Praxisfeldern der Analyse und Gestaltung lebensverändernder Dynamiken. Die Ethik ist im Rahmen inter- und transdisziplinärer Forschung, Lehre und Beratung unsere verbindende Querschnittsperspektive. Gemeinsam möchten wir angesichts aktuell drängender Herausforderungen die richtigen Fragen stellen, ethische Orientierung bieten und kluge Lösungswege entwickeln.

Der Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) ist ein unabhängiges, zwischenstaatliches Gremium, das politische Entscheidungsträger mit wissenschaftlicher Beratung und fundierten Informationen zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung von Biodiversität und Ökosystemleistungen versieht. Die 2012 gegründete, stark interdisziplinäre Plattform mit Sitz in Bonn setzt sich aktuell aus 147 Mitgliedsstaaten zusammen.
Pressemeldung des IPBES: https://www.ipbes.net/transformative-change/media-release 

Dr. Stefan Partelow
Center for Life Ethics
University of Bonn
E-Mail: stefan.partelow@uni-bonn.de

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