In der Kapsel war eine zusammengerollte Schriftrolle enthalten, die etwa so groß wie zwei Finger ist. Das Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) in Mainz fertigte für eine Umzeichnung und digitale Rekonstruktion Tomographie-Bilder der Schriftrolle an. Dabei wurden virtuell Stück für Stück aneinandergesetzt, um die Worte sichtbar zu machen. An der Entzifferung und Auslegung des lateinischen Schriftzugs, der auch griechische Elemente enthält, war Prof. Dr. Wolfram Kinzig von der Kirchengeschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn beteiligt. Der Wissenschaftler ist Mitglied in den Transdisziplinären Forschungsbereichen "Individuals & Societies" sowie "Present Pasts" an der Universität Bonn.
„Die Praunheimer Silberinschrift ist eines der ältesten Zeugnisse für die Verbreitung des Neuen Testaments im römischen Germanien, denn sie zitiert Philipper 2,10-11 in lateinischer Übersetzung“, sagt Kinzig. „Sie zeigt eindrucksvoll, wie biblische Zitate zu magischen Zwecken verwendet wurden, um die Verstorbenen zu schützen.“ Die Inschrift enthalte außerdem wichtige Hinweise auf die frühe Entwicklung liturgischer Formeln aus einer Zeit, aus der keine vollständigen lateinischen Liturgien erhalten sind. „Sie ist darum von unschätzbarem Wert für die Geschichte der Bibel wie des christlichen Gottesdienstes“, sagt der Kirchenhistoriker der Universität Bonn.
Oberbürgermeister Mike Josef, Dr. Ina Hartwig, Dezernentin für Kultur und Wissenschaft, sowie Planungsdezernent Prof. Dr. Marcus Gwechenberger stellten heute das geborgene Artefakt gemeinsam mit den an Fund und Analyse beteiligten Ämtern, Institutionen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Frankfurt der Öffentlichkeit vor. Das Objekt wurde dabei aus konservatorischen Gründen in einer Glasvitrine präsentiert.
6 Fragen an Prof. Wolfram Kinzig:
Wie kamen Sie zu den Untersuchungen?
Mich erreichte über einen Kollegen die Nachricht, ob ich mich mit meiner spezifischen kirchengeschichtlichen Expertise an der Entzifferung beteiligen wolle. Die Schrift des Amuletts war nicht nur sehr schlecht lesbar – das Täfelchen ist auch am Rand abgebrochen, so dass Buchstaben fehlen und man den Text mühsam rekonstruieren muss. Mir war relativ schnell klar, dass am Ende der Philipperbrief aus dem Neuen Testament zitiert wird. Ich habe dann aber weiter lange über dem Text gegrübelt, der in einem ziemlich barbarischen Latein geschrieben ist, habe Fachliteratur und Datenbanken zu Rate gezogen und schließlich Vorschläge zu Lesarten gemacht. Dann haben Herr Scholz und ich hin- und hergeschrieben, ob meine Vorschläge tatsächlich weiterhelfen, was manchmal auch der Fall war; auch andere Kollegen haben mitgeholfen – die eigentliche Entzifferung der Inschrift verdanken wir aber Professor Scholz und seinem Team, die dazu neueste digitale Technologien verwendet haben. Eine großartige Leistung!
Wie hat man sich das Leben im 3. Jahrhundert vorzustellen?
Gerade im Raum um Frankfurt ist das Leben nach 250 infolge der sogenannten Völkerwanderung im Umbruch begriffen. Das Römische Reich durchläuft in dieser Zeit eine Reihe von Krisen, die in den Grenzgebieten durch den Druck der Germanen verschärft werden. Um 260 gaben die Römer den Limes auf. Das machte das Leben gerade in dieser Gegend vermutlich sehr unsicher, aber wir wissen wenige Details.
Welche Rolle spielte das Christentum in dieser Zeit in der Region des heutigen Frankfurt am Main?
Dazu kann man gar nichts sagen, weil es aus dieser Zeit in dieser Region praktisch keine christlichen Zeugnisse gibt. Auch das macht den Praunheimer Fund so bemerkenswert! Wenn man Parallelen zu anderen Reichsgegenden zieht, so dürfte es allerdings vor allem durch Händler und importierte Sklaven, vielleicht auch durch Soldaten verbreitet worden sein. Ganz ungewöhnlich ist allerdings die Anrufung des Titus, eines Schülers des Apostels Paulus, denn Titus gilt eigentlich in der legendarischen Überlieferung als Bischof von Gortyna auf Kreta – das ist ganz schön weit weg!
Was lehrt die Inschrift für ein besseres Verständnis der lateinischen Liturgien?
Zu Beginn der Inschrift findet sich das sogenannte Trishagion, der dreimalige Ruf „Heilig“ (nach Jesaja 6,3), der in der Messliturgie bis heute seinen Ort hat. Im vorliegenden Fall ist es allerdings auf Griechisch („Agios, agios, agios“) in lateinischer Schrift erhalten. Es handelt sich um eine der frühesten Belege für diese Formel, noch dazu an einem ganz ungewöhnlichen Ort, nämlich auf einem Amulett, das offenbar den Verstorbenen, bei dem es gefunden wurde, vor widergöttlichen Mächten schützen sollte.
Warum sind in der lateinischen Schrift auch griechische Formeln enthalten?
Das ist als solches nicht erstaunlich – das Christentum verbreitete sich im Westen des Römischen Reiches durch Migrantengruppen aus dem griechischsprachigen Ostteil. Denken Sie an den Ruf „Kyrie eleison“ – „Herr, erbarme Dich“, der ebenfalls bis heute im Gottesdienst seinen Ort hat!
Wie geht es nun mit dem Fund und Ihren Untersuchungen weiter?
Der Fund wird jetzt von den Frankfurter Kollegen weiter wissenschaftlich ausgewertet. Herr Scholz wird die Inschrift in einer Fachzeitschrift publizieren. Die Lesung des sehr fragmentarischen Textes ist in solchen Fällen immer nur vorläufig. Sie wird dann ganz gewiss eine intensive wissenschaftliche Diskussion unter Althistoriker*innen sowie Kirchen- und Liturgiehistoriker*innen auslösen und möglicherweise weiter verbessert werden. Auch ich werde weiter darüber nachdenken – vielleicht fallen mir ja noch Korrekturen ein!
Pressemitteilung der Stadt Frankfurt am Main: https://frankfurt.de/aktuelle-meldung/meldungen/frankfurter-silberinschrift/