Wenn Franca Hoffmann in der Villa Maria des Exzellenzclusters Hausdorff Center for Mathematics (HCM) arbeitet, versinkt sie in einer Welt aus Formeln. Nichts Ungewöhnliches für eine Mathematikerin. Ungewöhnlich ist jedoch, welch große Bandbreite die Formeln ausdrücken, die sie nach und nach auf der großen grünen Tafel in ihrem Altbaubüro erscheinen lässt. Ihr Ziel: ein möglichst komplettes Bild ihrer Forschungsthemen aufzuzeigen. Inhaltlich ist der Laie natürlich schon längst ausgestiegen, gut, dass Franca Hoffmann durch den Dschungel führt: „Oben rechts sehen wir meine Doktorarbeit, zusammengefasst in einer Gleichung.“ Einfach erklärt handelt es sich um eine besondere partielle Differentialgleichung, mit der man berechnen kann, wie Teilchen miteinander interagieren. Über die Tafel verteilt erscheinen aber auch viele weitere ihrer Forschungsthemen – auf einen Ausflug in die diskrete Mathematik folgen Arbeiten, die sich an der Schnittstelle zwischen angewandter Mathematik und Datenanalyse bewegen oder neue mathematische Ansätze für maschinelles Lernen zeigen.
Seit September vergangenen Jahres ist Franca Hoffmann als Professorin am HCM tätig und dort eine von sechs sogenannten Bonn Junior Fellows. Die Besonderheit: Nebenberuflich arbeitet sie daran, Forschungsstrukturen in Afrika auszubauen und koordiniert derzeit den Aufbau einer Doktorandenschule in Datenwissenschaft am African Institute for Mathematical Sciences in Ruanda. Es ist nicht nur eine „formelhafte“, sondern eigentlich auch fabelhaft wirkende Welt, in der sich die 30-Jährige bewegt. Ihr bisheriger Lebensweg ist durch Zufälle geprägt, die letztendlich zu einer ungewöhnlichen Karriere führen.
Vermittlerin zwischen Disziplinen
Eine eher zufällig in ihrem Postfach gelandete E-Mail war es, die während ihrer Doktorarbeit am Imperial College in London den Stein für viele Kooperationen mit anderen Fächern ins Rollen brachte. Ein Ingenieur hatte bereits über mehrere Monate versucht, Hilfe bei einem mathematischen Problem für die Entwicklung von Batteriezellen zu finden. Die Kontaktaufnahme mit dem ihm fremden Fachbereich gestaltete sich jedoch als schwierig, weshalb er irgendwann fast wahllos Mathematiker:innen anschrieb. Hoffmann traf sich mit ihm und hörte ihm zu. „Es stellte sich schnell heraus, dass die Lösung gar nicht so schwierig war, also habe ich ihm geholfen, das Problem in eine Gleichung umzuwandeln“, erzählt sie.
Es dauerte nicht lange, bis sich die junge Mathematikerin als „Vermittlerin“ auch in weiteren Fachbereichen herumsprach. Immer mehr E-Mails mit Fragen gingen ein, und sie nutzte ihre Facebook-Freundschaften, um Kolleg:innen aus verschiedenen Themenfeldern zu finden. „Ich habe gemerkt, dass es mir Spaß macht, andere Leute zusammenzuführen, die sich sonst nicht treffen würden“, sagt sie. „Gleichzeitig habe ich selbst viele andere Disziplinen kennengelernt und Kooperationen gestartet.“
Doch das kostete Zeit. Da sie immer noch mit ihrer Promotion beschäftigt war, wandte sie sich schließlich an die Univerwaltung – und überzeugte mit ihrem Ansatz so sehr, dass sie eine Finanzierung für den Aufbau eines professionellen Helpdesk erhielt.
Brückenbauerin zwischen Kulturen
Offenheit und eine positive Grundeinstellung waren es vermutlich auch, die Franca Hoffmann in einer anderen Situation dazu brachten, auf eine vermeintliche Spam-Anfrage auf ihrem Facebook-Account zu antworten – eine Entscheidung, die ihr Leben verändern sollte.
Rückblende: Zu Beginn ihres Studiums in London hatte sie es zufällig auf die Webseite des Imperial College geschafft. Dort berichtete sie Studieninteressierten vom Alltag an der Uni. Zur gleichen Zeit suchte eine Ghanaische NGO in Europa nach Mitstreiter:innen, die bei Mathe-Camps Jugendliche unterstützen könnten. Die Verantwortlichen stießen über die Uni-Webseite auf Hoffmann und schrieben sie an. „Hey, would you like to teach some Maths in Ghana?” – einige E-Mails und wenige Monate später saß die damals 21-Jährige im Flieger zu ihrem ersten Besuch in Ghana.
„Diese Reise änderte alles für mich. Ich merkte, dass mein Bild von der Welt überhaupt nicht repräsentativ war“, sagt sie. Seitdem ist die Arbeit auf dem Afrikanischen Kontinent ein fester Bestandteil ihres Lebens. Regelmäßig reist sie in verschiedene afrikanische Länder und richtet Mathe-Camps aus, vor allem mit der in Kenia ansässigen African Mathematics Initiative. „Wir wollen zum Beispiel Schülerinnen und Schülern, unabhängig davon, wie gut sie in Mathe sind, ein anderes Selbstbewusstsein und auch den Spaß an der Sache vermitteln. Meistens geben sie zu früh auf“, ist sich Franca Hoffmann sicher. Sie holt von ihrem Schreibtisch ihr neuestes Projekt: ein Kartenspiel, mit dem man sich mathematisch weiterbilden kann.
Mut zur Veränderung
Elf Jahre lang lebte die gebürtige Kölnerin bereits im Ausland – meist nicht mehr als ein oder zwei Jahre an einem Ort. Sie blickt durch ihr neues Büro, in dem noch einige nicht ausgepackte Koffer vom California Institute of Technology in den USA stehen, ihrer letzten Station. Der Raum an der Uni Bonn hat nun die Chance, zu einem festen Anker zu werden. Ein Biedermeier-Tisch aus dem 19. Jahrhundert, passende Stühle und ein Nähtischchen in einer Ecke des Raums offenbaren, dass Hoffmann auch eine traditionelle Seite hat. „Die Möbel haben meinen Großeltern gehört und sind seit über 150 Jahren in unserer Familie. An diesem Tisch habe ich früher schon meine Mathehausaufgaben gemacht“.
Warum wurde die Mathematik zum verbindenden Element in ihrem Leben?
„In der Mathematik steckt viel Potenzial. Komplizierte Dinge in einer einfachen Formel ausdrücken zu können, das ist eine innere Schönheit der Welt“, sagt sie.
„Aus meiner Forschung heraus kann ich Dinge bewegen, die ich ohne sie nicht bewirkt hätte“, ist sie sich sicher. „Gleichzeitig ist es toll, wenn man einen kleinen Baustein zur Erweiterung des menschlichen Wissens beitragen kann.“ So darf man gespannt sein auf die nächsten Kapitel in der fabel- und formelhaften Welt der Franca Hoffmann.
Fotos: Volker Lannert