Seit mehr als 10.000 Jahren nutzt der Mensch Kühe für die Milch- und Fleischgewinnung, als Düngerlieferant und Zugtier. In kalten Zeiten hüllte er sich in wärmende Felle oder das Leder der Tiere. Kurzum: Rinder halfen dem Menschen, unter widrigen Umständen zu überleben. Die Produktionsbedingungen haben sich im Lauf der Zeit aber stark gewandelt. Ursprünglich gaben Kühe etwa acht Liter Milch am Tag, um ein Kalb zu ernähren. Moderne Hochleistungskühe bringen es heute auf täglich 50 Liter – mit teils drastischen Folgen. „Das System der Milchwirtschaft ist schon seit Längerem nicht ausbalanciert“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Büscher, Sprecher des neuen Zentrums für Integrierte Milchwirtschaftliche Forschung an der Universität Bonn (CIDRe).
Stark gestiegene Milchleistung führt zu Problemen
Wegen der stark gestiegenen Milchleistung brauchen Kühe in den ersten 100 Tagen nach der Kalbung häufig deutlich mehr Energie, als sie mit dem Futter aufnehmen können. „Dieses Ungleichgewicht kann zu Fett- und Muskelabbau führen sowie Stoffwechselkrankheiten auslösen“, sagt die Veterinärmedizinerin Dr. Susanne Plattes, Koordinatorin des CIDRe. Die Hochleistungsmilchkühe sind anfälliger für Fruchtbarkeitsstörungen oder Infektionen an Klauen und Euter. „Das Wohlbefinden der Tiere rückt aus ethischen und ökonomischen Gründen in den Mittelpunkt“, berichtet Dr. Plattes. „Wenn eine artgerechtere Haltung zu besseren Produkten führt, liegen auch die wirtschaftlichen Vorteile auf der Hand.“
Folgen für die Umwelt
Handfest sind auch die Umweltauswirkungen der modernen Milchproduktion: Aus den Mägen des Milchviehs können Gase entweichen, die den globalen Klimawandel weiter anheizen. Die zentrale Frage der am CIDRe beteiligten Forscher aus Agrarwissenschaften, Informatik, Physik, Veterinärmedizin, Ökonomie und Sozialwissenschaften lautet deshalb: Wie lässt sich das komplexe System der Milchwirtschaft in eine ausgewogene Balance führen? Über die reine Milchleistung hinaus sollen sowohl die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere als auch der Umweltschutz bei der Erzeugung auf einen Nenner gebracht werden. Damit verbunden sind auch sozioökonomische Fragen – etwa wie viel Geld den Verbrauchern eine nachhaltige Milchwirtschaft wert ist.
Einzigartige Forschung im Versuchsstall Frankenforst
Erst einmal müssen viele Daten gesammelt werden, um dann das System der Milchwirtschaft auch hinsichtlich des Wohlbefindens der Tiere und des Umweltschutzes zu optimieren. Eine zentrale Rolle nimmt dabei der Versuchsstall Frankenforst der Universität Bonn auf diesem Forschungsgebiet ein. „Er ist einzigartig in ganz Deutschland und ermöglicht Wissenschaft auf höchstem Niveau“, sagt Prof. Büscher. Zahlreiche Messfühler erfassen dort etwa, wie viel Futter eine Kuh frisst und wie viel sie sich bewegt. Wasseraufnahme, Milchfluss und –inhaltsstoffe sowie Herzfrequenz sind weitere Parameter, die digital aufgezeichnet werden und anhand derer die Wissenschaftler feststellen können, wie es um jede einzelne Kuh bestellt ist. Das Verhalten der Tiere wird in Zusammenarbeit der Universität Halle-Wittenberg analysiert.
Umfassende Messdaten sollen ein Simulationsmodell ermöglichen
Die Wissenschaftler wollen das System der Milchwirtschaft möglichst vollständig mithilfe der Messdaten erfassen und darauf aufbauend Modelle entwickeln. „Damit können wir dann verschiedene wichtige Fragen beantworten“, sagt Dr. Plattes. „Etwa wie sich Lösungen des Zielkonflikts zwischen größerer Bewegungsfreiheit und der damit verbundenen höheren Ammoniak- und Geruchsemission finden lassen.“ Darüber hinaus interessiert die Wissenschaftler, ob Kühe mit hoher Milchleistung ein erhöhtes Gesundheitsrisiko aufweisen. Aber auch ökonomische Fragestellungen werden bearbeitet, wie etwa die unterschiedliche Entwicklung der Wirtschaftlichkeit der Milchviehhaltung auf Acker- und Grünlandstandorten.
Förderung junger Forscher
„In den letzten Jahren ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der milchwirtschaftlichen Forschung an der Landwirtschaftlichen Fakultät deutlich intensiviert worden“, sagt der Dekan Prof. Dr. Karl Schellander. „CIDRe wird im Rahmen dieses Schwerpunktthemas die Stärken der Beteiligten bündeln, die interdisziplinäre Forschung intensivieren und dazu beitragen, die Sichtbarkeit im In- und Ausland zu erhöhen.“ Das Zentrum dient auch der besonderen Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses - unter anderem in der Theodor-Brinkmann-Graduiertenschule, die Master-Studiengänge und die strukturierte Doktorandenausbildung der Fakultät unter einem Dach vereint. Außerdem soll das CIDRe eine interdisziplinäre Sommerschule abhalten.
Informationen zum Zentrum für Integrierte Milchwirtschaftliche Forschung: www.CIDRe.uni-bonn.de
Kontakt:
Prof. Dr. Wolfgang Büscher (Sprecher)
CIDRe (Center of Integrated Dairy Research)
Tel: 0228/732396
buescher@uni-bonn.de
Dr. med. vet. Susanne Plattes (Koordinatorin)
CIDRe (Center of Integrated Dairy Research)
Tel: 0228/739418 oder 06552/6009915
cidre@uni-bonn.de
Wellness für die Milchkuh Wellness für die Milchkuh
Zentrum für Integrierte Milchwirtschaftliche Forschung soll ausgewogene Milchproduktion ermöglichen
Schmeckt die Butter besser, wenn sich die Kuh wohlfühlt? Wie viel darf der Liter Milch kosten? Wie sieht die Milchkuh der Zukunft aus? Was hat ein Glas Milch mit Umweltschutz zu tun? Stehen Kühe auch in Zukunft auf der Weide? Nach Antworten auf diese Fragen sucht das neue Zentrum für Integrierte Milchwirtschaftliche Forschung (Center of Integrated Dairy Research) – kurz „CIDRe“. Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen arbeiten in dem nun gegründeten Zentrum der Universität Bonn für eine ausgewogene und nachhaltige Milchwirtschaft zusammen.
Im Versuchsstall Frankenforst:
- Futterwiegetröge (blau) erfassen automatisch, wie viel Nahrung die Kühe aufnehmen.
© Foto: Marcus Gloger/Uni Bonn
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