„Die Digitalisierung spielt in der Medizin – wie in vielen anderen Lebensbereichen – eine immer größere Rolle und viele Potentiale werden bisher nicht genutzt. Die Professur für Medizininformatik soll dabei helfen diese Möglichkeiten besser zu nutzen und sowohl die Patientenversorgung als auch die klinische Forschung zu verbessern“, beschreibt Dekan Prof. Dr. Bernd Weber die Motivation der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn, die neue Professur einzurichten. „Es ist erklärte Strategie am Universitätsklinikum Bonn die Zeiträume zwischen innovativen Ideen der Digitalisierung und dem Nutzen für Patienten zu verringern."
Es geht um mehr als den reinen Transport von Daten
Wearables – kleine, am Körper oder in Körpernähe getragene Computersysteme – können Daten wie Puls, Körpertemperatur oder körperliche Aktivität präzise erfassen und in Kombination mit Applikationen (Apps) beispielsweise auf dem Smartphone bewerten. „Je mehr vom Laien selbst generierte gesundheitsrelevante Daten mit klinischen Daten verknüpft werden, desto besser kann ärztliches Personal individualisiert über die Therapie entscheiden. Zur Erhebung steht uns ein breites Repertoire an technischen Möglichkeiten zur Verfügung – also sind in Bezug auf ‘wie und welche Daten’ der Kreativität wenig Grenzen gesetzt“, sagt Prof. Jonas.
Im Rahmen seiner Forschung interessiert er sich aktuell vor allem für Veränderungen und Verläufe körperlicher und geistiger Fähigkeiten, da diese Hinweise auf die Verfassung eines Patienten geben. „Ein Frühwarnsystem für Demenz wäre der ‘Goldene Gral“, soweit würde ich jedoch derzeit nicht gehen“, konstatiert Prof. Jonas. „Aber verknüpft die Ärztin oder der Arzt beispielsweise das erfasste Bewegungsmuster mit den klinischen Daten eines Knie-Patienten, kann er aus dem Verlauf vor und nach der Operation wertvolle Rückschlüsse ziehen, beispielsweise bezüglich einer gezielteren, individuell angepassten Nachsorge oder dem Therapieerfolg.“
Sprachmuster haben eine enorme Aussagekraft
Bei einer neurodegenerativen Erkrankung lässt sich aus einem digital erfassten Bewegungsmuster ablesen, ob der Betroffene aufgrund der Angst vor Stürzen nicht mehr Treppen steigt oder das Haus verlässt. „Nur früh erkannt, kann diese entstehende Spirale unterbrochen worden“, sagt Prof. Jonas. Bei Demenz und Alzheimer legt er auch ein besonderes Augenmerk auf Muster in der Erstellung von Sprachnachrichten. Dabei geht es ihm aber nicht um die Inhalte, sondern um Grammatik, Interpunktion, Schreibgeschwindigkeit oder Verzögerungen vor längeren Wörtern. „Dies alles kann wertvolle Hinweise liefern, ob eine Person Defizite in der Kognition entwickelt“, sagt Prof. Jonas.
„Bei meiner Forschung geht es um empfindliche Daten aus Lebenssituationen in Kombination mit klinischen Daten. Deren Schutz ist mir ganz wichtig“, sagt Prof. Jonas. Hier hat er bereits viel Erfahrung gesammelt, unter anderem bei der Entwicklung einer Warn-App für Depression über die verwendete Sprache in Nachrichten. Aus einem Wörterkatalog und den Daten kann ein Algorithmus depressive Schlagworte erkennen und bestimmten Symptomen zuordnen. Bei einer gehäuften Verwendung negativer Wörter, die auf einen Suizidgedanken hinweisen, wird der Alarm nur an eine vom Verwender bestimmte Person gesendet. Zudem werden Daten nicht zentral, sondern nur auf dem Gerät des Nutzers gespeichert und verarbeitet.
Gesicherte Daten für eine bessere Versorgung von morgen
Aber der Aufwand lohnt sich für Prof. Jonas: „Ich möchte mittels digitaler Technologien meinen medizinischen Kolleginnen und Kollegen Daten an die Hand geben, mit denen sie beste Entscheidungen für ihre Patienten treffen können, und für die Forschung selbstverständlich anonymisierte Daten.“ So freut er sich mit seinem Amtsantritt in Bonn wieder dem SMITH (Smart Medical Information Technology for Healthcare) Konsortium anzugehören. Es soll im Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Medizininformatik-Initiative (MII) Daten aus der Krankenversorgung bundesweit digital vernetzen und so für die medizinische Forschung nutzbar machen. Bonn gehört zu den sieben der zehn am SMITH Konsortium beteiligten Universitätsklinika, die ein standortübergreifendes Datenintegrationszentrum (DIZ) aufbauen.
„Auch möchte ich mit meiner Arbeit einen Beitrag zur starken Forschung zu neurodegenerativen Erkrankungen auf dem Venusberg-Campus leisten“, sagt Prof. Jonas. Neben den Neurowissenschaften an der Medizinischen Fakultät sowie dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) macht das starke Forschungsumfeld einer Exzellenzuniversität einen besonderen Reiz von Bonn für ihn aus – aber auch die Lage direkt am Rhein. Denn der Patchworkvater von vier Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren liebt den Wassersport und freut sich auf die Abenteuer per Ruderboot oder Kajak, die Rhein und Sieg für ihn bereithalten.