Dass nicht alle Menschen von denselben Sorgen gequält werden, leuchtet ein: Wer wenig Geld auf der hohen Kante hat, fürchtet sich vermutlich eher davor, seinen Job zu verlieren, als jemand, der materiell abgesichert ist. Doch wie steht es mit den Reichen, wie mit der Bildungselite? Haben auch sie typische Ängste? Und wenn ja: welche?
Dr. Andreas Schmitz von der Abteilung für Soziologie der Universität Bonn hat den Zusammenhang zwischen Schichtzugehörigkeit und Ängsten untersucht. Zusammen mit Kollegen aus Norwegen hat er dazu Umfragedaten von knapp 4.000 Norwegern ausgewertet. Diese waren 2011 zu ihren Sorgen und Befürchtungen interviewt worden. Zusätzlich hatten sie ihren schulischen und beruflichen Werdegang sowie ihre finanzielle Situation zu Protokoll gegeben.
„Wenn wir die geäußerten Befürchtungen mit den sozioökonomischen Angaben in Beziehung setzen, sehen wir auffällige Häufungen“, erklärt Schmitz. Das betrifft beispielsweise die schon eingangs angesprochene Furcht vor Arbeitslosigkeit: Bei Menschen mit wenig Einkommen und geringer Bildung wird diese fünfmal so oft genannt wie bei der ökonomischen Elite. Dagegen ist etwa die Angst vor dem Treibhauseffekt besonders oft bei Menschen mit einem hohen Bildungsstand anzutreffen – weitgehend unabhängig von ihrer ökonomischen Situation.
Als Bildungsbürger sorgt man sich um das Weltklima
Dieses Phänomen ist nicht auf Norwegen beschränkt. „Auch hierzulande hat jede Schicht ihre typischen Ängste“, betont Schmitz. „Und auch bei uns treibt die Sorge vor Umweltverschmutzung und Klimawandel vor allem die Gebildeten um.“ Sie gehört damit gewissermaßen zum „Habitus“ der kulturellen Elite: Als Bildungsbürger geht man nicht nur gerne ins Theater oder genießt abends einen guten Rotwein, sondern sorgt sich eben auch eher um das Weltklima. „Ängste und Lebensstile gehören zusammen“, resümiert Schmitz. „Sie sind Teil einer kohärenten Lebenswelt. Und diese hängt wiederum vom individuellen ökonomischen und kulturellen Kapital ab.“
Schon der Französische Soziologe Pierre Bourdieu hat erkannt, dass der Habitus auch ein Mittel gesellschaftlicher Abgrenzung sein kann: Wer meinen Lebensstil pflegt, meinen Geschmack teilt, meinen Dialekt spricht und, wie die neue Studie zeigt, zusätzlich meine Ängste fühlt, gehört zu meinem Milieu. Diese Distiktionsprozesse verlaufen dabei weitgehend unbewusst und in den alltäglichsten Situationen.
In West- und Nordeuropa bestimmt die Bildungselite einen großen Teil des öffentlichen Diskurses. Aus dieser Tatsache erwächst ihr eine Deutungshoheit darüber, welche Lebensstile als gesellschaftlich legitim gelten dürfen (und damit in gewisser Weise einen „Vorbildcharakter“ beanspruchen) und welche nicht: Wer etwas auf sich hält, hört nicht Hiphop, sondern hat ein Abo für die Elbphilharmonie.
Ähnlich steht es mit der Angst: Es ist richtig und erstrebenswert, sich um den Zustand der Umwelt zu sorgen – schließlich gilt diese Sorge als „objektiv begründet“, ganz im Gegensatz zu der Furcht vor einer „vermeintlichen“ Überfremdung. „Diese wird daher nicht selten in den Kontext individueller Ignoranz, wenn nicht gar der Pathologie gerückt“, sagt Schmitz. In exakt diesem Sinne seien Ängste auch ein Herrschaftsinstrument: „Dass bestimmte Befürchtungen objektiv betrachtet fundierter sind als andere, steht dabei zwar außer Frage. Indem Eliten aber die 'Überlegenheit' ihrer Sorgen kommunizieren und ihren Geltungsbereich universalisieren, inszenieren sie dabei immer auch ihre eigene gesellschaftliche Vorzüglichkeit und festigen zugleich ihre Machtposition. Gerade als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten wir diese Überlegung vor dem Hintergrund des sich intensivierenden Angstdiskurses nicht aus dem Auge verlieren.“
Publikation: Andreas Schmitz, Magne Flemmen, Lennart Rosenlund: Social class, symbolic domination, and Angst: The example of the Norwegian social space; The Sociological Review; Internet: http://journals.sagepub.com/eprint/Q9BdyAUvgtXeVQQUyGrA/full
Kontakt:
Dr. Andreas Schmitz
Abteilung für Soziologie der Universität Bonn
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