Vor zehn Jahren begann sein Leidensweg: Auf dem Nachhauseweg von der Arbeit nahm ein Auto Walter N. die Vorfahrt. Ein Rettungshubschrauber brachte ihn ins Krankenhaus. Neben Prellungen, einem angeknacksten Halswirbel und Kopfverletzungen war sein rechtes Kiefergelenk gebrochen. Aufgrund von Gleichgewichtsstörungen verlor der Vater von drei Kindern seinen Job als Busfahrer. Immer wieder musste Walter N. in die Klinik und in die Reha. Noch heute müssen er und seine Familie sich tagtäglich mit den Unfallfolgen auseinandersetzen - vor allem auch die Kinder. "Nichts ist mehr so wie vorher", sagt Walter N.
Sein rechter Kiefer war in einer Fehlstellung verheilt, und die Zähne standen nicht mehr richtig zueinander. Es bildete sich eine Knochenverbindung zwischen Schädelbasis und Kiefergelenk. Walter N. hatte eine Gelenkversteifung, eine so genannte Ankylose. Er konnte seinen Kiefer nicht mehr richtig bewegen und nur noch Brei und Suppe essen. Da seine Zähne aufgrund der geringen Mundöffnung nicht behandelt werden konnten, bekam er zusätzliche Zahnprobleme. Das Bonner Universitätsklinikum schlug Walter N. eine Kiefergelenkprothese vor. "Diese ist oft der letzte Rettungsanker. Unsere Patienten haben durchschnittlich vorher drei erfolglose Operationen", sagt Professor Dr. Dr. Rudolf Reich, Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum Bonn.
Prothese bei starker Gelenkversteifung eine neue Option
Bis vor kurzen waren Kiefergelenkprothesen nicht üblich, weil es häufiger zu chronischen Entzündungen kam. Doch die Prothesen neuester Generation - der Schaft aus Titan, der Gelenkkopf aus Chrom-Molybdän-Stahl, und eine Pfanne aus hoch verdichtetem Polyethylen - verursachen diese unerwünschte Nebenwirkung nicht mehr. Denn im Gegensatz zu dem früher verwendeten Teflon hat das neue Material der Gelenk-Pfanne keinen Abrieb. Dieser konnte bei den alten Prothesen ins Lymphsystem wandern und so Entzündungen auslösen.
Bei Walter N. entschieden sich die Bonner Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen für ein vorgefertigtes System, da genügend Kieferknochen vorhanden war. Ist der Unterkiefer jedoch verkürzt - beispielsweise aufgrund eines Tumors, einer entzündlichen Einschmelzung des Gelenks oder einer angeborenen Fehlbildung - gibt es Prothesen, die in den USA mittels Computertomographie speziell für den Patienten angefertigt werden. Anhand eines Kunstharzmodells kontrollieren die Bonner Ärzte im Vorfeld die geplante Prothese auf perfekten Sitz. "Kann der Kiefer nicht mit körpereigenen Knochen rekonstruiert werden, ist das eine ausgezeichnete Chance, den fehlenden Kieferknochen zu ersetzen. Auf dem dünnen Prothesenstück kann eigener Knochen aufgebaut werden, in den dann Zahnimplantate eingesetzt werden können", sagt Professor Reich.
Knapp am Gesichtsnerv vorbei
Ziel einer Kiefergelenkprothese ist, einen guten Biss, Kaukraft sowie eine gute Mundöffnung für die Patienten zu erreichen. Außerdem spielt natürlich auch der ästhetische Aspekt eine Rolle. Dazu bedarf es neben einer exakten Vorplanung und Auswahl der geeigneten Prothese vor allem auch großer Geduld und erhebliches Fingerspitzengefühls. "Wir müssen sehr fein und mit hoher Konzentration arbeiten. Denn wir operieren ganz nah am Gesichtsnerv", sagt Professor Reich. Kurz vor dem Ohr hat dieser seinen Ursprung und verästelt sich von dort über die Wange. Eine Verletzung des Gesichtsnervs hätte Lähmungen zur Folge. "Kiefergelenkchirurgie ist ein sehr spezielles Fachgebiet und erfordert unter anderem viel Wissen über Gelenkmechanik", sagt Professor Reich.
Die Hoffnung auf eine bessere Lebensqualität ging für Walter N. in Erfüllung, der sich als LKW-Fahrer selbst eine neue Existenz aufgebaut hat: "Die Prothese ist hervorragend." Er kann seinen Mund sehr viel besser öffnen als vorher und fast alles essen. "Ganz Festes geht noch nicht - aber endlich wieder ein weicher Apfel oder ein zartes Schnitzel", freut sich Walter N. Jetzt nehmen sich die Bonner Ärzte noch seiner ramponierten Zähne an. So hat für Walter N. die Zeit mit vielen Klinikaufhalten und Arztbesuchen bald ein Ende.
Kontakt für die Medien:
Professor Dr. Dr. Rudolf Reich
Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie
Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde des Universitätsklinikums Bonn
Telefon: 0228/287 - 22452
E-Mail: rudolf.reich@ukb.uni-bonn.de
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Glückliches Trio: Oberarzt Dr. Marcus Teschke. Walter N. und Professor Reich (v. li.) (c) Dr. Inka Väth / Uni Bonn
"Endlich wieder ein saftiges Schnitzel" "Endlich wieder ein saftiges Schnitzel"
Bonner Ärzte implantierten ein künstliches Kiefergelenk
Ein Motorradunfall änderte sein Leben: Sein Kiefergelenk brach, wuchs falsch zusammen und versteifte. Walter N. konnte nicht mehr richtig kauen. Doch alle Operationen am Kiefer hatten keinen Erfolg. Hilfe fand er endlich am Universitätsklinikum Bonn. Die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen setzen Walter N. eine Kiefergelenkprothese ein. Jetzt kann er seinen Mund öffnen und wieder fast alles essen. Die Bonner Universitäts-Klinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie ist das einzige Krankenhaus in Deutschland, das die Material-Kosten einer Kiefergelenkprothese von rund 6.000 Euro bei den Gesetzlichen Krankenkassen abrechnen kann.
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