Wird heute in Japan, Korea oder China Recht gesprochen, fußt dies zum großen Teil auf Regelungen des antiken Rom. Denn Asien orientiert sich in seinen Rechtsordnungen an westlichen Standards - und die europäische Rechtstradition wurzelt im Römischen Recht, dessen Leitbegriffe - wie Freiheit, Schutz der Persönlichkeit und des Eigentums, Vertragstreue etc. - auch die unseren sind. „Rund 80 Prozent der Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs liegt Römisches Recht zugrunde“, sagt Prof. Dr. Rolf Knütel, emeritierter Professor für Römisches Recht und Bürgerliches Recht an der Universität Bonn. Der Jurist arbeitet seit 1987 mit seinen Kollegen Prof. Dr. Berthold Kupisch (Münster), Prof. Dr. Thomas Rüfner (Trier, in Nachfolge von Prof. Dr. Okko Behrends, Göttingen) und Prof. Dr. Hans Hermann Seiler (Hamburg) als Herausgeber an einer zeitgemäßen Übersetzung des „Corpus Iuris Civilis“. Die einzige deutsche Übersetzung dieses grundlegenden Werkes ist 180 Jahre alt und damit hoffnungslos überholt.
Viele Regelungen waren nicht so „geschwätzig“ wie heute
Das Gesetzeswerk wurde im Auftrag des oströmischen Kaisers Justinian zwischen 528 und 534 n. Chr. unter Bezug auf wesentlich ältere Quellen zusammengestellt. Den ersten Teil bilden die „Institutionen“, ein Lehrbuch, das nach der Zahl der Auflagen zum führenden Dutzend der Weltliteratur gehört. Die „Digesten“, was etwa „Geordnete Sammlung“ bedeutet, sind mit ihren 50 Büchern das Herzstück des Corpus Iuris. Sie bestehen aus Fragmenten rechtswissenschaftlicher Schriften aus der Zeit von ca. 100 vor bis 300 nach Christus. Sie formulierten Rechtsfragen und -lösungen konzentriert in wenigen Zeilen. „Unsere Zeit ist viel geschwätziger“, schmunzelt der Bonner Rechtswissenschaftler. „Die heutige Rechtsprechung braucht meist viele Seiten.“ Das „Corpus Iuris Civilis“ geriet über Jahrhunderte in Vergessenheit; es erfuhr Ende des 11. Jahrhunderts ausgehend von Bologna eine Renaissance und erlangte maßgebliche Bedeutung in fast ganz Europa; in Teilen Deutschlands galt es bis 1900. „Im Gegensatz zum Germanischen Recht, das etwa mit Gottesurteilen arbeitete, gingen die römischen Juristen rational vor“, berichtet Prof. Knütel. „Sie prüften genau, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit eine bestimmte Rechtsfolge eintritt.“
Erbrechtsfiguren und Erblasserwille
Die Wissenschaftler haben nun den fünften Band herausgegeben, weiterhin mit dem lateinischen Text links und der Übersetzung rechts auf jeder Seite. Es handelt sich dabei um die Übersetzung der Digestenbücher 28 bis 34, die das römische Erbrecht zum Gegenstand haben. „Von dem, der testiert, ist für die Zeit der Testamentserrichtung Vollbesitz seiner Geisteskraft, nicht aber körperliche Gesundheit zu verlangen.“ Diese Aussage, die vor rund 2.000 Jahren getroffen wurde, wirkt auch heute noch modern. „Hier sind die Formen des heutigen Erbrechts bereits vorgebildet“, sagt Prof. Knütel. Teilweise waren die Regeln unbürokratischer als heute: Wer nach dem Römischen Recht etwas vererben wollte, konnte das durch mündliche Erklärung vor Zeugen tun. Auch heute noch gilt ein weiteres Prinzip aus dem antiken Rom: Es muss immer nach dem ernsthaften Willen des Erblassers entschieden werden. Wenn das nicht möglich ist, muss eine Lösung gefunden werden, die seinem Willen möglichst nahe kommt. Übrigens findet römisches Recht seit langem auch beim Europäischen Gerichtshof Beachtung.
Erforschung der Wurzeln des heutigen Rechts
Mit dem neuen Band legen die Herausgeber einen weiteren Teil ihrer modernen Übersetzung des unsterblichen Werks vor, das eine Frucht gut tausendjähriger Rechtsentwicklung in der Antike ist. „Vom Corpus Iuris Civilis sind so entscheidende und nachhaltige Einflüsse auf die weltweite Rechtsentwicklung ausgegangen wie von keinem anderen Gesetzgebungswerk“, sagt Prof. Knütel. Nicht nur Juristen sehen es nach der Bibel sogar als das wichtigste „Buch“ des Abendlandes an. Die Krupp-Stiftung förderte das Langzeitprojekt zur Übersetzung des Corpus Iuris Civilis bislang mit 465.000 Euro und unterstützt die wissenschaftliche Arbeit noch bis zum Jahr 2020. Mit gutem Grund: „Das Studium des Römischen Rechts führt zu einem vertieften Verständnis, weil es die Wurzel des heutigen Rechts ist“, sagt Prof. Knütel.
Publikation: Knütel, Kupisch, Rüfner, Seiler (Hrsg.): Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung, Band V, Digesten 28-34, Text und Übersetzung, Verlag C.F. Müller, Heidelberg, 704 S., 228 Euro
Kontakt:
Prof. em. Dr. Rolf Knütel
Institut für Römisches Recht und Vergleichende Rechtsgeschichte
Tel. 0228/325232
rknuetel@uni-bonn.de
14. Februar 2013
Die Bibel der Juristen Die Bibel der Juristen
Forscher übersetzen ein 1500 Jahre altes Gesetzeswerk, das noch im heutigen Recht stark nachwirkt
Viele moderne gesetzliche Regelungen gehen auf die antiken Römer zurück. Der emeritierte Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Rolf Knütel von der Universität Bonn übersetzt mit Fachkollegen seit 25 Jahren das Gesetzeswerk von Kaiser Justinian ins Deutsche. Die rund 1500 Jahre alte Rechtsammlung überrascht durch ihre Modernität. Selbst die heutigen Gesetzbücher in Lateinamerika und Ostasien fußen auf diesem Werk. Die Autoren haben nun den fünften Band veröffentlicht, diesmal zum Thema Erbrecht.
Der Rechtswissenschaftler Prof. em. Dr. Rolf Knütel
- von der Universität Bonn mit dem fünften Band der Übersetzung des Corpus Iuris Civilis.
© Foto: Volker Lannert/Uni Bonn
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Der Rechtswissenschaftler Prof. em. Dr. Rolf Knütel
- von der Universität Bonn mit dem fünften Band der Übersetzung des Corpus Iuris Civilis.
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