Am 30. Juni 2011 beschloss der Bundestag den Abschied von der Kernenergie. Über die Kosten dieser „Energiewende“ wird heftig gestritten. Meist geht es dabei um den Bau neuer Hochspannungsleitungen. Doch es könnte noch teurer kommen: Vielleicht muss die Bundesrepublik hohe Schadenersatzzahlungen an den schwedischen Stromkonzern Vattenfall leisten, sagt Prof. Dr. Matthias Herdegen, Direktor des Instituts für öffentliches Recht und des Instituts für Völkerrecht an der Universität Bonn. Auch Deutschland habe sich nämlich den Regeln des „internationalen Wirtschaftsrechts“ verpflichtet, das ausländischen Unternehmen den Schutz ihrer Investitionen in der Bundesrepublik Deutschland garantiert.
Seit Jahren befasst sich der Bonner Jurist mit den Rechtsprinzipien des grenzüberschreitenden Wirtschaftslebens; die Ergebnisse hat er in seinem neuen Handbuch „Principles of International Economic Law“ gesammelt. „Internationales Wirtschaftsrecht ist eine anspruchsvolle Materie, die in Vorlesungen die Besten anzieht“, sagt Prof. Herdegen. Aber so komplex sie ist, so wichtig sei die Materie: „Sie können den Wirtschaftsteil einer Tageszeitung eigentlich gar nicht mehr verstehen, wenn Sie sich mit diesen Fragen nicht befassen.“
Ein internationales Schiedsgericht entscheidet
Im internationalen Wirtschaftsgeschehen spielen nicht nur die Bestimmungen der Genfer Welthandelsorganisation WTO eine Rolle, sondern auch ein komplexes Geflecht aus vielen weiteren bi- und multilateralen Verträgen. Auch mit Schweden, der Heimat des Energiekonzerns Vattenfall, der an drei Atomkraftwerken in Schleswig-Holstein beteiligt ist – zwei davon wurden 2011 zwangsabgeschaltet. „Das internationale Wirtschaftsrecht umfasst im wesentlichen drei Gebiete“, erläutert Prof. Herdegen. „Handelsordnung, Währungsrecht – und den Schutz der Investitionen, die Unternehmen weltweit tätigen.“ So greifen also im Fall Vattenfall die Bestimmungen einschlägiger Verträge zwischen Deutschland und Schweden: Das „Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten“ in Washington muss entscheiden, ob Deutschland das schwedische Unternehmen hiernach zu entschädigen hat. „Es könnte zum Beispiel urteilen, dass die »Energiewende« einer Verletzung des Vertrauensschutzes oder einer Teilenteignung gleichkommt. Deutschland müsste dann den Konzern entschädigen.“
Das Wirtschaftsrecht hindere kein Land an freien politischen Entscheidungen, präzisiert der Bonner Professor – es verlange aber, dass sie „fair and equitable“ erfolgen, also partnerschaftlich und verhältnismäßig. So etwa beim Import von Saatgut, das genetisch verändert, oder von Rindfleisch, das mit Hormonen behandelt wurde – beides ist in den USA völlig selbstverständlich, sorgt in Deutschland oder bei der EU jedoch immer mal wieder für Aufregung. „Ein Staat darf den Import von Waren beschränken, wenn er Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung befürchtet“, erläutert Prof. Herdegen. „Das Wirtschaftsrecht fordert aber, dass er das auf der Basis konkreter wissenschaftlicher Gutachten begründet – und nicht bloß mit diffusen Ängsten oder Ablehnung durch die Verbraucher.“
Ein zentrales Prinzip ist „Good Governance“
Ein „ganz zentrales Prinzip“ der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist für Prof. Herdegen die „Good Governance“, die korrekt geführte Verwaltung und Regierung. Die nütze nicht allein der Wirtschaft, sondern auch den Menschen: „Wenn im Umgang eines Staates mit ausländischen Unternehmen und Investoren Rechtsstaatlichkeit, Fairness und Transparenz herrschen, dann übertragen sich diese Standards auch auf den Umgang dieses Staates mit seiner Bevölkerung. Wir nennen das den »Spill-Over-Effekt«.“ Eine zweite Säule sei, dass „internationales Wirtschaftsrecht nicht mehr als Einbahnstraße angesehen wird. Wir beobachten seine zunehmende Vernetzung mit Standards der Menschenrechte, des Umwelt-, Sozial- und Arbeitsrechts.“ Weitere große Veränderungen im gegenseitigen Umgang von Politik und Wirtschaft gebe es seit Ausbruch der Weltfinanzkrise und der Staatsschuldenkrise im Euroraum. „Der Staat ist wieder zum zentralen Akteur geworden – eine Position, die manche eigentlich bereits verlassen glaubten.“ Der Bonner Experte bilanziert: „Der Staat wird nie in der Lage sein, den Markt zu ersetzen. Aber der Markt muss immer auch ein rechtlich reguliertes Geschehen sein.“
Publikation: Herdegen, Matthias: Principles of International Economic Law. Oxford University Press, 536 S., 95 £ (Hardcover), 39,99 £ (Paperback)
Kontakt:
Prof. Dr. Matthias Herdegen
Direktor des Instituts für öffentliches Recht und des Instituts für Völkerrecht
Tel. 0228 / 73-5570 oder 73-5580
herdegen@uni-bonn.de
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An der Uni Bonn ist ein englischsprachiges Standardwerk des internationalen Wirtschaftsrechts entstanden
Ein schwedischer Stromkonzern verklagt die Bundesrepublik wegen der Energiewende auf Schadenersatz? Die EU ist gegen die Einfuhr von hormonbehandeltem Rindfleisch aus Amerika? Solche Problemfälle der weltweiten Wirtschaftsbeziehungen regelt das „Internationale Wirtschaftsrecht“. Der Jurist Prof. Dr. Matthias Herdegen von der Universität Bonn untersucht die Prinzipien dieser überaus komplexen Materie und hat sie jetzt in einem mehr als 500-seitigen Buch zusammengefasst.
Prof. Dr. Matthias Herdegen,
- Direktor des Instituts für öffentliches Recht und des Instituts für Völkerrecht an der Universität Bonn, mit seinem neuen Buch "Principles of International Economic Law".
© Foto: Volker Lannert/Uni Bonn
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