“Kinder und Jugendliche durchlaufen in ihrer Schullaufbahn an verschiedenen Stellen Sortierprozesse”, sagt Dr. Hanno Kruse, der seit kurzem eine Emmy Noether-Nachwuchsgruppe am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn leitet. Ein Beispiel ist der Übergang nach der Grundschule in verschiedene weiterführende Schulformen. “Schulische Sortierprozesse haben eine hohe gesellschaftliche Bedeutung”, sagt der Soziologe. “Sie bereiten nicht nur individuelle Schullaufbahnen, sondern beeinflussen auch, wie stark Ungleichheiten in einer Gesellschaft ausgeprägt sind, etwa nach Ethnie, Geschlecht oder sozialer Schicht.” Denn nicht alle Personen durchlaufen schulische Sortierprozesse gleich.
Einige Sortierprozesse sind nicht darauf angelegt, Kinder und Jugendliche zwischen Schulen zu verteilen, sondern innerhalb dieser Bildungsstätten. Kruse: “Schulleitungen und Lehrkräfte teilen Kinder und Jugendliche in spezifische Schulklassen und Kurse ein - mit deutlichen Auswirkungen auf die sozialen Beziehungen unter den Schülerinnen und Schülern.” Denn Klasseneinteilungen entscheiden maßgeblich über den Schulalltag von Kindern und Jugendlichen. Sie beeinflussen, mit wem sie tagtäglich zusammentreffen und gemeinsam Freundschaften, Identitäten und Verhaltensweisen herausbilden. Ob sich diese Verhaltensmuster entlang von ethnischen, geschlechter- oder schichtspezifischen Gruppengrenzen herausbilden oder nicht, hängt somit maßgeblich von innerschulischen Sortierentscheidungen ab.
Auswirkungen auf Beziehungen, Identitäten und Verhaltensweisen
Die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe “Sortier- und Peerprozesse in der Schule” (SPINS) konzentriert sich auf die Sortierentscheidungen über Klassenzusammensetzungen von Schulleitungen und Lehrkräften. “Wir gehen der Frage nach, welche Auswirkungen diese Entscheidungen auf die sozialen Beziehungen, Identitäten und Verhaltensweisen der Schülerinnen und Schüler haben”, erläutert Kruse. Schulleitungen und Lehrkräfte stehen vor jedem neuen Schuljahr vor der Entscheidung, wie die neuen Schülerinnen und Schüler auf die Schulklassen verteilt werden. Viele Schulen achten auf eine ausgeglichene Geschlechterzusammensetzung. Seltener ist eine Sortierung nach zuvor besuchter Grundschule. Manchmal zählen auch die Wünsche der Schülerinnen und Schüler, mit wem sie gerne in eine Klasse gehen würden. Auch musische Schwerpunkte oder Sprachlernklassen können Kriterien für Sortierprozesse sein.
Großer Einfluss der Schulleitungen und Lehrkräfte
“Schulleitungen und Lehrkräfte haben mit scheinbar kleinen Sortierentscheidungen großen Einfluss auf die Peerdynamiken der Klassen”, sagt Kruse. Wie sich mit diesem Potential Zusammenhalt stärken und soziale Gräben in den Klassen vermeiden lassen, untersucht das Projekt. Das Forschungsteam will neben einer Reihe von Sekundärdatenanalysen ein bundesweit angelegtes Feldexperiment durchführen. Es wird von einer mehrjährigen Befragung begleitet, die sich an Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler richtet. Amtliche Daten der lokalen Schulbehörden sollen mit einfließen. Es sind auch Kooperationen mit der Universität zu Köln und der Princeton University (USA) geplant.
Leiter der Emmy Noether-Nachwuchsgruppe
Hanno Kruse (Jahrgang 1985) studierte Soziologie und Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität Berlin und der Universität Mannheim. Nach der Promotion forschte er an der Universität zu Köln. Vor seinem Start als Leiter der Emmy Noether-Nachwuchsgruppe an der Universität Bonn war er Assistenz-Professor an der Universität Amsterdam. Kruse ist Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich “Individuen, Institutionen und Gesellschaften” an der Universität Bonn.
Das Emmy Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft eröffnet herausragend qualifizierten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern die Möglichkeit, sich durch die eigenverantwortliche Leitung einer Nachwuchsgruppe binnen sechs Jahren für eine Hochschulprofessur zu qualifizieren.
Internet: https://hannokruse.com/spins/