27. Juli 2011

Kosmische Geisterfahrer Kosmische Geisterfahrer

Astronomen der Universität Bonn entdecken Überreste eines gigantischen Crashs in unserer Milchstraße

Kleine Galaxien begleiten die Milchstraße durch das Weltall. Nach der gängigen Lehrmeinung haben sie sich in einem frühen Stadium des Universums gebildet und wurden dann als „Tramper“ mitgenommen. Ergebnisse von Forschern um Professor Dr. Pavel Kroupa von der Universität Bonn deuten nun aber darauf hin, dass es sich bei den „Mitfahrern“ um die uralten Überreste eines gigantischen Crashs von Galaxien handeln könnte - mit weitreichenden Konsequenzen.

Galaxien auf Kollisionskurs:
Galaxien auf Kollisionskurs: - Das Hubble-Teleskop schoss diese Aufnahme von zwei rund 300 Millionen Lichtjahren entfernten Galaxien (NGC 4676), die wahrscheinlich zu einer einzigen Galaxie verschmelzen. Ein ähnlicher Crash könnte mit unserer Milchstraße stattgefunden haben, vermuten Astronomen der Universität Bonn. © Foto: NASA/ESA
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Die Milchstraße, die Heimatgalaxis unseres Sonnensystems, ist umgeben von etwa 24 kleineren Galaxien - den so genannten Satellitengalaxien. Diese umkreisen die Milchstraße und begleiten sie durch das All. Ihre Herkunft ist umstritten. Im gängigen Bild der Wissenschaft bestehen sie hauptsachlich aus Dunkler Materie - eine unsichtbare Substanz, die aufgrund ihrer Masseanziehung die Ansammlungen aus Sternen zusammenhalten soll. Die Satellitengalaxien hätten sich demnach bereits im frühen Universum gebildet und wurden erst später von der Milchstraße eingefangen. Diese Hypothese geriet in den letzten Jahren allerdings vermehrt in die Kritik.

Die Satellitengalaxien sind nicht gleichförmig um die Milchstraße verteilt, sondern bilden eine riesige, die Milchstraße umgebende Scheibe, in der sie sich auch zu bewegen scheinen. Ferner liegt die Scheibe senkrecht zur Galaxie. „Dies alles ist im Standardmodell der Kosmologie nicht vorgesehen“, erklärt Professor Pavel Kroupa vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn. Dieses Standardmodell geht vom Urknall aus, einem sehr heißen und dichten Frühzustand des Universums, nach dem sich das Weltall immer mehr ausdehnt. „Dabei entstehen unzählige Kleingalaxien, welche entweder zu großen Galaxien zusammenschmelzen oder als Satellitengalaxien übrigbleiben.

Die Forschungsergebnisse der Bonner Astronomen deuten nun aber in eine andere Richtung: In dem alternativen Szenario kollidierten vor etwa zehn Milliarden Jahren zwei junge Scheibengalaxien. Eine der Galaxien raste senkrecht - ähnlich einer Kreissäge - in die noch junge Milchstraße und wurde dabei förmlich zerfetzt. Aus diesem Galaxienschrott könnten sich neue Sternsysteme - so genannte Gezeitenzwerggalaxien - gebildet haben, die heute noch als Satellitengalaxien zu beobachten sind. Tatsächlich sind viele solcher Galaxienkollisionen bekannt. Diesen kosmischen Crash der jungen Milchstraße haben die Astronomen im Computer modelliert. Das Projekt umfasste knapp 100 simulierte Galaxienkollisionen und verschlang insgesamt zwei Monate Rechenzeit.

Galaxien bewegen sich gegenläufig um die Milchstraße

„Wir konnten zeigen, dass solch eine Kollision die Anordnung der Satellitengalaxien in einer Scheibe und außerdem deren Bewegung um die Milchstraße erklärt“, erläutert Marcel Pawlowski, Doktorand von Prof. Kroupa und Mitglied der Bonn-Cologne Graduate School of Physics and Astronomy. Eine besondere Rolle spielen hierbei „Geisterfahrer“. Während sich die meisten Satellitengalaxien offenbar in der selben Richtung um die Milchstraße bewegen, gibt es mindestens eine Galaxie mit Namen Sculptor, die genau entgegengesetzt unterwegs ist. Bislang war nicht bekannt, ob solche gegensätzlichen Umläufe in einer Galaxienkollision entstehen. „Mit unserer Studie konnten wir erstmals nachweisen, dass gegenläufige Orbits im Galaxien-Schrott offenbar ganz normal sind und auch erwartet werden“, sagt Pawlowski.

Die Auswirkungen der Ergebnisse sind weitreichend. „Weil mittlerweile viele Indizien für diesen kosmischen Urcrash sprechen, kristallisiert sich immer klarer hervor, dass die Standardkosmologie praktisch ausgeschlossen wird“, betont Kroupa. Die Bildung von Gezeitenzwerggalaxien sei ein natürlicher Prozess, der im Universum beobachtet wird. „Wir können also sicher sein, dass Gezeitenzwerggalaxien entstehen“, sagt Prof. Kroupa. Gleichzeitig müsste es aber nach dem Standardmodell auch kosmologische Zwerggalaxien mit völlig anderen Eigenschaften geben. „Man sieht aber nur eine Art von Zwerggalaxien“, führt der Astronom aus. „Diesen Widerspruch kann man nur auflösen, wenn man das kosmologische Modell verändert.“

Die aktuellen Ergebnisse werden in Kürze in der Zeitschrift „Astronomy and Astrophysics“ veröffentlicht: M.S. Pawlowski, P. Kroupa und K.S. de Boer: Making Counter-Orbiting Tidal Debris. The Origin of the Milky Way Disc of Satellites. Astronomy & Astrophysics. Die Publikation ist bereits jetzt im Internet zugänglich: http://arxiv.org/abs/1106.2804.

Kontakt:

Prof. Dr. Pavel Kroupa
Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn
Tel. 0228/736140  und  0177 9566127
pavel@astro.uni-bonn.de

Marcel Pawlowski
Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn
Tel. 0228/733649  und   0176 99284614

mpawlow@astro.uni-bonn.de

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