Herr Dr. Matzner, können Sie kurz das Prinzip des Therapieansatzes beschreiben?
Dr. Matzner: Als Folge des Enzymdefekts lagert sich in bestimmten Zellen des Nervensystems eine fettartige Substanz ab, die normalerweise von dem betroffenen Enzym abgebaut wird. Es gibt die Möglichkeit das intakte Enzym biotechnologisch herzustellen und in die Blutbahn der Patienten zu injizieren. Von dort findet es seinen Weg in die betroffenen Zellen und kann die Ablagerungen abbauen. Da jedoch alle Zellen des Körpers, auch solche die gar keine Ablagerungen entwickeln, um das Enzym konkurrieren, muss eine sehr hohe Enzymdosis injiziert werden. Dies macht diese Therapieform, die als Enzymersatztherapie bezeichnet wird, immens teuer und kann zu erheblichen Nebenwirkungen führen. Um die Kosten zu senken, die Nebenwirkungen zu vermeiden und die therapeutische Effizienz zu erhöhen, haben wir das Enzym in einem dreistufigen Prozess gentechnologisch so verändert, dass es vermehrt in die betroffenen Zellen des Gehirns gelangt, dort schneller arbeitet als das normale Enzym und darüber hinaus auch noch sehr viel langsamer abgebaut wird. Theoretisch kann das derart veränderte Enzym die gespeicherte Substanz fast 50-mal effizienter abbauen als das normale Enzym.
Wie haben Sie die ersten Hinweise zur Wirksamkeit des genetisch modifizierten Enzyms erhalten?
Dr. Matzner: Oft führen ja Zufallsbefunde zu neuen Erkenntnissen, und das war auch in unserem Fall so. Der erste Hinweis, dass die Aktivität des normalen menschlichen Enzyms weit unter „seinen Möglichkeiten“ liegt, war, dass die Enzymvariante, die Mäuse herstellen, sehr viel aktiver ist. Wir fragten uns, warum das so ist. Schließlich gelang es uns, die für die hohe Aktivität des Mausenzyms verantwortliche Eigenschaft zu identifizieren und auf das menschliche Enzym zu übertragen. Nachdem wir anfänglich nicht wussten, nach was wir eigentlich suchen müssen, bedeutete das vor allem viel Arbeit und systematisches Vorgehen. Ähnlich war es auch bei der Stabilisierung. Hier ergab ein Forschungsprojekt mit ganz anderer Zielrichtung, dass es einen Bereich des menschlichen Enzyms gibt, das gleich von mehreren zellulären Verdauungsenzymen angegriffen wird. Diesen Bereich kannten wir, weil wir ihn uns 20 Jahre vorher schon wegen einer anderen Funktion sehr genau angesehen hatten. Durch das Verbinden neuer und alter Ergebnisse fanden wir dann den Schlüssel, um das Enzym vor den Angriffen zu schützen. Neben dem Zufall kann also auch die Möglichkeit, sich mit einem Thema kontinuierlich über viele Jahre zu beschäftigen, eine wichtige Rolle spielen.
In Ihrer Forschung spielen unter anderem Mausmodelle eine wichtige Rolle – warum sind Sie für die Weiterentwicklung des Therapieansatzes unverzichtbar?
Dr. Matzner: Leider sind Tierversuche derzeit noch unentbehrlich, um experimentelle Therapien bis zur klinischen Anwendung weiterentwickeln zu können. Das gilt für MLD genauso wie für andere neurologische Erkrankungen oder auch Krebserkrankungen. Der Grund dafür ist, dass es keine Zellkultursysteme gibt, die die Bedingungen in einem lebenden Organismus in ihrer gesamten Komplexität nachbilden können. Es ist deshalb unmöglich, verlässliche Vorhersagen über therapeutische Effizienz und Nebenwirkungen allein aus Zellkulturexperimenten zu treffen. Dieser Standpunkt wird auch ganz klar von den Arzneimittelzulassungsbehörden in Europa und den USA vertreten. Sie fordern vor der Genehmigung klinischer Machbarkeitsstudien zwingend Nutzen-Risiko-Abschätzungen aus Tierversuchen. Für geschätzte 49.000 MLD-Patienten weltweit gibt es derzeit keine Therapie. Die Belastung für die Patienten ist enorm. Sie erleben einen zunehmenden Verlust an motorischen und kognitiven Fähigkeiten und versterben nach Jahren intensivmedizinischer Fürsorge. Da erste Symptome typischerweise bereits um das zweite Lebensjahr auftreten, ist auch das Leid der Eltern und Angehörigen immens. Unter Abwägung der Belastung der Tiere, des menschlichen Leids und der Aussicht dieses mildern zu können, leiten wir ab, dass Tierversuche in unserem Fall ethisch gerechtfertigt sind. Da es kein natürliches Tiermodell der MLD gibt, mussten wir erst ein Mausmodell entwickeln. Die Mäuse zeigen frühe Symptome der Erkrankung, bleiben aber glücklicherweise von einem schweren Krankheitsverlauf verschont. In Zusammenarbeit mit dem Veterinäramt der Stadt Bonn, den Tierschutzbeauftragten der Universität Bonn und dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW haben wir Protokolle erarbeitet, um diese Tiere zu behandeln und ein möglichst mausgerechtes Umfeld zu gewährleisten. Beispielsweise werden die Mäuse in sozialen Gruppen mit Kletter-, Wühl- und Versteckmöglichkeiten gehalten. Statistische Verfahren helfen uns, die notwendigen Tierzahlen auf ein Minimum zu reduzieren. Es sei nochmal betont, dass es nach derzeitigem Stand der Wissenschaft nicht möglich ist, eine Therapie der MLD oder anderer Stoffwechselerkrankungen ohne Tierversuche zu entwickeln. Das macht Tiermodelle bei aller damit verbundenen Problematik so wichtig und wertvoll.
Was sind die nächsten Schritte bei der Entwicklung der Enzymersatztherapie?
Dr. Matzner: Wir haben mit Zellkulturexperimenten und Tierversuchen zeigen können, dass unser gentechnologisch verändertes Enzym die Tür zu einer erfolgreichen Behandlung von MLD ganz weit aufstößt. Im nächsten Schritt muss das durch Behandlung von Patienten auch tatsächlich belegt werden. Der Gesetzgeber hat hier sehr hohe Hürden geschaffen, um einem Herumexperimentieren an Menschen effektiv vorzubeugen. Die Testung kann deshalb nur an spezialisierten Kliniken im Rahmen einer administrativ, personell und methodisch sehr aufwendigen klinischen Studie durchgeführt werden. Eine solche Studie dauert mehrere Jahre und kostet weit über 100 Millionen US Dollar. Solche Beträge können nur große Pharmafirmen stemmen. Im nächsten Schritt müssen wir deshalb unser Know-how in eine Kooperation mit einem Unternehmen einbringen, das eine klinische Testung anstrebt. Natürlich wünschen wir uns, die weiteren Schritte wissenschaftlich zu begleiten, um Einfluss zum Beispiel auf Planung und Lösung eventuell auftretender Probleme nehmen zu können. Wir sind derzeit im Gespräch mit Unternehmen weltweit und sind optimistisch, was eine zeitnahe klinische Studie betrifft.
PROvendis hat Sie bei zahlreichen Vertragsabschlüssen begleitet – welche Unterstützung schätzen Sie besonders?
Dr. Matzner: Als Wissenschaftler sind Sie nicht unbedingt mit den Regeln und Mechanismen des Marktes und internationalem Vertragswesen vertraut. Zumindest ist das in unserem Fall ganz eindeutig so. PROvendis übernimmt hier ganz entscheidende Funktionen. Sie reichen vom Bewerben unseres Produkts auf Messen, Patentanmeldungen im In- und Ausland, Geheimhaltungsabkommen, Materialübergabeverträgen, Kooperationsverträgen bis zu Lizenz- und Optionsverträgen. PROvendis hat, in enger Zusammenarbeit mit uns, an die 30 solcher Verträge mit inner- und außereuropäischen Firmen abgeschlossen. Dafür stehen PROvendis auch Rechtsanwälte mit Erfahrung im internationalen Recht zur Seite. Das alles ist für einen Wissenschaftler, der Kopf und Hände für die Forschung freihalten möchte, nicht zu leisten. Am meisten freut mich an der Zusammenarbeit mit PROvendis die schnelle Kommunikation und hohe Flexibilität auch unter schwierigen Rahmenbedingungen, wie sie manchmal an Universitäten herrschen.