Wie würden Sie das Flammer-Syndrom beschreiben?
Menschen mit einem Flammer-Syndrom sind schlank und in Extremfällen sogar mager. Viele Symptome finden ihre Ursache in einer primären vaskulären Dysfunktion. Sie haben kalte Hände und Füße sowie einen niedrigen Blutdruck. Sie leiden häufig unter Kopfschmerzen, Migräne, Einschlafstörungen und Tinnitus. Solche Symptome sind aber nur die „Spitze vom Eisberg“: Unter der Oberfläche verbergen sich unter anderem ein spezifisches psycho-soziales Verhalten, das heißt Betroffene zeigen einen ausgeprägten Perfektionismus und eine klare Prioritätensetzung für die Bedürfnisse Anderer gegenüber den eigenen. Zudem leiden sie unter einer selbst ausgelösten Stress-Spirale. Auch haben sie eine veränderte Reaktion auf Reize wie eine unausgewogene Regulation der Körpertemperatur, Höhensensitivität, vermindertes Durstgefühl und erhöhtes Riechvermögen. Wenn wir die Symptome eines Flammer-Syndroms nach Geschlecht und Beruf einordnen, treten sie häufiger bei Frauen sowie bei Akademikern und Akademikerinnen auf.
Laut Ihrer Forschung birgt das Flammer-Syndrom noch ganz andere gesundheitliche Risiken als ein Normaldruck-Glaukom.
Prof. Dr. Josef Flammer hat seine Erkenntnisse für Patienten mit Normaldruck-Glaukom allein auf der Basis seiner engen augenärztlichen Spezialisierung gewonnen. Doch die Ergebnisse, die in unserem kürzlich erschienen Buch vorgestellt werden, beruhen auf einem breiteren Fundament – einer multi-professionellen Multi-Zentren-Studie in 15 Länder inklusive Deutschland, USA, Israel, China und Australien. Unsere Entdeckungen zeigen klar und deutlich, dass das Flammer-Syndrom von großer klinischer Bedeutung ist. Es ist beispielsweise relevant für psychiatrische Erkrankungen wie Magersucht, kardiovaskuläre, immunologische und onkologische Erkrankungen, Mund und- vaginale Trockenheit, chronische Entzündungen und verlangsamte Wundheilung sowie Schlaganfälle im jungen Alter und Brustkrebs.
Was bedeuten Ihre Erkenntnisse über das Flammer-Syndrom für die Gesundheitsversorgung?
Das Flammer-Syndrom hat einen Riesenvorteil für die Früh- und Prädiktivdiagnostik, nämlich dass die Symptome des Flammer-Syndroms sehr früh im Leben auftreten, meistens in der Pubertät. In diesem Alter hat man die seltene Chance, an umkehrbaren Gesundheitsschäden kostengünstig zu arbeiten – im Gegenteil zum fortgeschrittenen Alter, wenn sich die bereits klinisch manifestierten Krankheiten oft nur noch begrenzt effektiv behandeln lassen. Diese Chance dürfen wir nicht verpassen. Hier möchte ich erwähnen, dass heutzutage vieles über die Risiken des Übergewichtes bekannt ist. Die diagnostischen und Behandlungsmethoden sind insofern fortgeschritten. Im Gegenteil dazu wissen wir viel zu wenig über die Gesundheitsrisiken, die das Leben besonders schlanker Menschen begleiten. Dies ist der Fall bei einem Flammer Syndrom. Daher ist es an der Zeit, dieses Forschungsgebiet vielfältig zu unterstützen.
Hinweis zum neu erschienenen Buch:
Flammer Syndrome: From Phenotype to Associated Pathologies, Prediction, Prevention and Personalisation. Editor: Olga Golubnitschaja, Book series „Advances in PPPM“, Springer 2019, ISBN 978-3-030-13550-8
Vertreter der Medien sind eingeladen, Fragen an die Expertin Prof. Golubnitschaja zu stellen, die gerne für ein Gespräch zur Verfügung steht:
Prof. Dr. Olga Golubnitschaja
Leiterin der Experimentellen Radiologie
Radiologische Klinik
Universitätsklinikum Bonn
Telefon: 0228/287-15982
E-Mail: olga.golubnitschaja@ukbonn.de