28. September 2022

Start-up Story: Fearless Vivien Start-up Story: Fearless Vivien

Dr. Vivien Karl ist Alumna der Universität Bonn und hat im Oktober 2021 ihr eigenes Unternehmen gegründet. Zwischen 2015 und 2019 studierte sie an der Uni Pharmazie. DR. VIVIEN KARL ist ein Start-up, dessen Ziel es ist, das intime Wohlbefinden von Frauen in unterschiedlichen Lebensphasen zu stärken. Mit natürlichen, ästhetischen und wissenschaftsbasierten Intimpflegeprodukten möchte die Gründerin auf die Bedürfnisse von Frauen eingehen und damit einen verstaubten Markt durchbrechen. Nun ist die NRW-Gründerstipendiatin in der Cosmopolitan für den SupportHer Award 2022 in der Kategorie „fearless“ nominiert und spricht mit dem Transfer Center enaCom über ihren Werdegang und wie fearless man sein muss, um ein eigenes Start-up zu gründen.

Die Gründerin Dr. Vivien Karl
Die Gründerin Dr. Vivien Karl © Sophie Feist
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enaCom: Viele Pharmazeuten arbeiten als Apotheker und sind Unternehmer, aber eine eigene Produktentwicklung ist ein ganz anderer Schritt. Hast Du schon immer eine unternehmerische Einstellung verspürt oder hat sich das mit der Zeit und aus der Geschäftsidee entwickelt?

Vivien Karl: Unternehmerisch gedacht habe ich schon als kleines Kind, als ich aus Langeweile auf dem Dorf vor unserem Haus Getränke an vorbeifahrende Fahrradfahrer*innen verkauft habe, um mein Taschengeld aufzubessern. Pharmazie habe ich lediglich studiert, weil ich mit meiner Abiturnote nicht Medizin studieren durfte. Ich wusste nie so richtig, was ich beruflich machen möchte. Eins stand jedoch fest: Klassische Apothekerin möchte ich nicht werden. Das Studium ging zu schnell vorbei, sodass ich eine Promotion dranhing, um mich zu finden. Während meiner Promotion arbeitete ich nebenbei in der Apotheke und hatte hier zum aller ersten Mal die Produktidee. Ich fragte mich, wieso so viele Frauen unter Vaginaltrockenheit leiden (14 Mio. alleine in Deutschland) und die Produkte, die hiergegen helfen sollen, erstens schädliche Inhaltsstoffe enthalten und zweitens so vermarktet werden, dass man sich dafür schämt. Ich hatte die Vision eines tollen Intimpflegeproduktes, das die Haut hochwertig pflegt und das man sich gerne ins Badezimmer stellt, weil es so ästhetisch ist. Ich entwickelte zunächst das Produkt, meist nachts und am Wochenende in der Apothekenrezeptur, neben meiner Vollzeitpromotion und dem Nebenjob. Die Creme testete ich an ca. 100 betroffenen Frauen und diese waren begeistert von der Wirkung. Zu dieser Zeit hörte ich viele Start-up Podcasts und erkannte mich in der Energie und dem Feuer dieser Unternehmer*innen wieder. Ich fand endlich das, wonach ich seit so langer Zeit gesucht hatte: meinen ganz eigenen Weg, fernab der klassischen Laufbahn einer Pharmazeutin. Fortan lief alles parallel: Ich publizierte Paper in hochrangigen Journals, baute mein Business-Wissen von Null auf, gründete das Unternehmen, schrieb die Doktorarbeit, suchte eine Mitgründerin und schloss unsere erste Finanzierungsrunde ab.

In der Cosmopolitan bist Du in der Kategorie „fearless“ für den Supporther Award 2022 nominiert. Was bedeutet „fearless“-sein für Dich und Dein Start-up?

„Fearless“ sein heißt für mich, aus der Komfortzone heraus zu kommen. Ich musste selber viele Hürden und Vorurteile überwinden, um mich und mein Start-up weiter zu entwickeln. Aber es hat sich allemal gelohnt. Oft kämpfen wir mit Selbstzweifeln, fühlen uns nicht stark genug oder unwissend. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass das totaler Quatsch ist. Man wächst mit der Zeit und auf dem Weg. Das einzige, was uns fehlt, sind (weibliche) Vorbilder. Menschen zu sehen, die Dinge anpacken, dabei authentisch bleiben und damit erfolgreich sind, waren meine Antreiber. Ich wünsche mir sehr, so etwas zurückgeben zu können. Neulich schrieb mir eine Fremde auf Instagram, dass sie sich früher nicht einmal zutraute zu studieren. Nachdem sie meine Geschichte gelesen hatte, will sie nun sogar promovieren. Wie fearless ist das denn?

Wahrscheinlich bist Du als Apothekerin es gewohnt mit Tabuthemen umzugehen. Wie reagiert Deine Umwelt auf dein Produkt und dein Unternehmen?

Die Reaktionen meiner Umwelt auf Themen wie Vaginaltrockenheit, Intimcreme oder Menopause sind ganz unterschiedlich. Viele reagieren mit Belustigung und versuchen, ihre Unsicherheit mit Scherzen zu überdecken. Andere wiederum sind sehr interessiert und wollen mehr wissen. Die meisten allerdings versuchen neutral zu bleiben. Ich sehe ihnen aber an, dass sie am liebsten das Thema wechseln und im Erdboden versinken würden. Zugegebenermaßen spiele ich gerne mit den Reaktionen meiner Gesprächspartner*innen, provoziere hier und da ein bisschen und lege den Finger auch mal dorthin, wo es richtig unangenehm wird. Wir sind auf der Mission, das Thema Intimgesundheit in die Mitte unserer Gesellschaft zu holen. Frauen sollen ganz offen und mit jedem über ihre Intimpflege sprechen können, wie über ihre Gesichtspflege. Das geht nur, indem wir mutig und laut voran gehen.

Die Relevanz Deines Produktes für Frauen in der Menopause ist schnell nachzuvollziehen. Hast Du schon vor der konkreten Produktidee ein spezielles Interesse an der Zielgruppe Frauen gehabt?

Ich muss ehrlich sagen: Nein. Erst mit dem Thema Vaginaltrockenheit bin ich auf all die Hürden gestoßen, die Frauen in den Wechseljahren überwinden müssen. Diese tollen Frauen sind mitten in der Blüte ihres Lebens und ihrer Karrieren. Beides wird durch die Symptome der Menopause massiv beeinträchtigt. Durch den demographischen Wandel wird das ein immer drängenderes Problem unserer Zeit. Mal ganz abgesehen davon, dass es auch mich einmal betreffen wird, war ziemlich schnell klar, dass ich mich zunächst auf diese Frauen fokussieren möchte. Kurz- und mittelfristig entwickeln wir jedoch Produkte rund um Frauengesundheit für jede Lebensphase.

Du hast thematisch im Bereich Deines pharmazeutischen Studiums gegründet. Inwiefern hat dieses Dich auf die Gründung vorbereitet?

Ich bin naturwissenschaftlich breit und sehr gut ausgebildet worden und habe dadurch ein grundlegendes medizinisch-pharmazeutisches Verständnis. Allerdings lehrte mich das Studium sowie die Promotion viel mehr Selbstorganisation, Durchhaltevermögen und autodidaktische Fähigkeiten. Besonders letzteres war unabdingbar, um ohne Vorwissen in der Start-up-Welt durchzustarten.

Wenn Du an die Universität Bonn zurückdenkst – was oder wer hatte insbesondere Einfluss auf Dein Gründungsvorhaben?

An der Uni Bonn habe ich das wissenschaftliche Arbeiten gelernt. Das hat mich sehr geprägt, weshalb wissenschaftsbasierte Produkte Teil der DNA von DR. VIVIEN KARL sind.

Viele Gründer*innen zögern über ihre Idee zu sprechen, weil sie denken, die Idee könnte geklaut werden. Wie war das bei dir?

Ich habe auch anfangs nicht über meine Idee gesprochen. Aber nicht, weil ich Angst hatte, man könnte sie mir klauen. Ich habe mich schlichtweg geschämt für meine kleine, fixe Idee. Ich hatte Angst davor, was wohl die Menschen in meiner Umgebung sagen würden, wenn sie davon erfahren, dass ich nach meiner hochqualifizierten Ausbildung ein Start-up gründen möchte. Auf meinem Weg habe ich dann von anderen Gründer*innen gelernt, dass man so viel wie nur möglich mit Menschen über die eigene Idee sprechen sollte. Nur durch Feedback kann sich die Idee formen und wachsen. Am Ende des Tages ist jeder Mensch einzigartig und nur du kannst dein Start-up auf deine Art und Weise nach vorne bringen. Sollte es wirklich Konkurrent*innen geben, belebt das bestenfalls nur den Markt. Seit ich das alles verinnerlicht habe, liebe ich den Austausch mit meiner „Konkurrenz“. Das sind meistens top smarte Frauen, von denen ich viel lernen kann. Die Welt da draußen ist groß genug für uns alle. Dir wird schon niemand die Butter vom Brot nehmen.

Was würdest Du Gründungsbegeisterten an der Uni Bonn sonst noch raten, die selbst vor der Entscheidung stehen zu gründen?

Denke nicht zu viel nach. Fange noch heute an, der Rest folgt. Baue dir aktiv ein passendes Netzwerk auf. Nimm Hilfe an. Höre auf dein Bauchgefühl.

Du bist alleine gestartet und hast dann eine Mitgründerin gefunden. Wie wichtig war dies für Dich und was war Dir dabei besonders wichtig? Hättest Du auch alleine weitergemacht?

Mir war ziemlich schnell klar, dass ich eine*n Mitgründer*in brauche. Nicht nur für das Business, sondern viel mehr für mich persönlich. Ich bin kein Mensch, der gerne alleine arbeitet, brainstormt oder Dinge entscheidet. Ich möchte jemanden auf Augenhöhe mit dem man gemeinsam durch Höhen und Tiefen geht. Mir zuliebe und dann letztlich auch für das Start-up, war es einfach die richtige Entscheidung, mir eine Mitgründerin an die Seite zu holen, die menschlich und beruflich gut zu mir passt. Julia weiß, was sie will, steht voll hinter unserer Vision und jeder Tag, den ich ohne sie am Start-up gearbeitet habe, war nur halb so schön. Trotzdem hätte ich das Start-up auch ohne Mitgründerin weitergemacht.

Du hast parallel promoviert, gegründet und gearbeitet. Was hat Dich in dieser bestimmt anstrengenden Zeit motiviert? Wie hast Du das durchgehalten?

Ich bin extrem zielstrebig und setze mir schnell Dinge in den Kopf, von denen ich nicht mehr ablasse. Das war schon immer so. Es war nie eine Frage, ob ich alles schaffe. Ich habe es einfach gemacht, ohne darüber nachzudenken, weil ich beides ganz unbedingt wollte: Die Promotion auf jeden Fall zu Ende bringen – aufgeben war keine Option – aber das Start-up auch nicht warten lassen. Das war ganz sicher nicht leicht und ich habe extrem viele Höhen und noch mehr Tiefpunkte erlebt. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass ich wahnsinnig privilegiert bin, denn ich habe eine sehr empowernde Erziehung genossen, bin während meines Studiums unterstützt worden und habe kaum strukturelle Benachteiligung erfahren. Das macht mich sehr demütig.

Wo stehst Du aktuell in Deiner Gründung? Was sind die nächsten großen Schritte und Visionen?

Aktuell befinden wir uns in der Vorbestellungsphase unseres ersten Produktes, der Intimcreme No. 1. Die Vorbestellungen liefen super an, da viele auf die Creme gewartet haben. Jetzt gilt es, unsere Creme auch deutschlandweit bekannter zu machen und neue Kundinnen zu gewinnen. Gleichzeitig mache ich mich an die Entwicklung des zweiten Produktes. Denn das ist meine Passion: tolle, wissenschaftsbasierte Produkte entwickeln, die das Wohlbefinden von Frauen nachhaltig stärken.

Du hast während Deiner Zeit als NRW-Stipendiatin bereits kürzlich ein Pre-Seed-Investment im sechsstelligen Bereich vom Angel Club Better Ventures und von Ignore Gravity Ventures erhalten. Herzlichen Glückwunsch dazu! Was hast du aus diesen Erfahrungen gelernt? Wofür wirst Du diese Finanzierung verwenden?

Vielen Dank! Geld einzusammeln, ist aufgrund der wirtschaftlichen Lage derzeit eine Herausforderung und das bekommen viele Start-ups zu spüren. Ich habe versucht, darauf zu vertrauen, es auch ohne externes Investment zu schaffen. Das fiel mir zuweilen sehr schwer, denn wir hatten bis zum Abschluss der Finanzierungsrunde mit extremen Existenzängsten zu kämpfen. Darüber spricht in der Start-up-Welt nur niemand. Alles sieht nach außen oft sehr glamourös und einfach aus, aber im Hintergrund erlebt man eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Die Finanzierung verwenden wir vor allem für Marketing, Produktentwicklung und das Team.

Du hast an einem Programm für Female Founders (Grace Summer Accelerator 2021) teilgenommen. Würdest Du dies allen Gründerinnen empfehlen, auch zum Beispiel Gründerinnen, die in anderen Branchen wie im Deeptech unterwegs sind?

Das Grace Accelerator Programm war für mich ein absoluter Glücksfall. Ich hatte als Apothekerin überhaupt keine Ahnung von Business. Kaum zu glauben, dass ich mittlerweile Finanzpläne schreiben, Finanzierungsrunden abschließe und mir ein großes, wertvolles Netzwerk in der Szene aufgebaut habe. Das alles war für mich nur möglich, weil ich damals bei Grace teilgenommen habe. Das Programm hat mich mit dem Grundwissen und den passenden Kontakten ausgestattet. Für mich persönlich war es wichtig einen „Safe Space“ aus einer Frauengruppe zu haben, bei der ich mich für keine Frage schämen muss. Bei Grace darf sich jede Frau, unabhängig von der Idee, bewerben. Insbesondere Frauen in Tech werden oft gesucht und von der Szene gerade gehyped. Die beste Zeit zu starten, ist also jetzt!

Du hast vor ein paar Wochen Deine ersten Bestellungen für Dein Produkt entgegengenommen. Wie hat sich das angefühlt? Was ging Dir dabei durch den Kopf?

Das Gefühl, das erste Produkt zu verkaufen, ist kaum zu beschreiben. Ich wusste ja nicht einmal, ob überhaupt jemand die Creme kauft. Wir haben dann still und heimlich erst einmal den Newsletterabonnent*innen Bescheid gesagt und sofort kam eine Bestellung nach der nächsten rein. Wir haben im Büro gejubelt, gehüpft und konnten es kaum glauben. Ich musste, wie bei allen Milestones, daran denken, wie ich damals alleine in der Apotheke diese Rezeptur gerührt und entwickelt habe, einfach nur aus einem Bauchgefühl heraus. Es ist Wahnsinn, wozu wir im Stande sind, wenn wir etwas gefunden haben, was uns antreibt.

Beim Transfer Center enaCom der Uni Bonn seid Ihr sowohl mit einer konkreten Gründungsidee als auch als völlige Neueinsteiger*innen in das Thema Gründen und Unternehmertum genau richtig. Wir unterstützen sowohl Studierende als auch Wissenschaftler*innen, Mitarbeiter*innen und Alumni der Uni.

www.uni-bonn.de/enacom

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