„Wer an Landwirtschaft denkt, assoziiert hiermit selten Unternehmen wie Google oder Amazon“, erklärt Erstautorin Monja Sauvagerd, die am Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik der Universität Bonn in der Abteilung von Prof. Dr. Monika Hartmann promoviert. „Unsere Studie zeigt, dass digitale Plattformen nicht nur effizientere landwirtschaftliche Praktiken ermöglichen können, sondern auch dazu tendieren, bestehende Marktstrukturen zu verstärken und neue Abhängigkeiten zu schaffen. Big-Tech-Unternehmen stellen nicht nur die technologische Infrastruktur bereit, sondern agieren auch als strategische Partner der Agrarkonzerne. Ihr Einfluss auf den Agrarsektor wächst, da sie Schlüsseltechnologien wie Cloud-Dienste und KI-Modelle bereitstellen.“
Oligopolistische Plattformisierung: Neue Kooperationen
In ihrer Arbeit führen die Forschenden den Begriff der „oligopolistischen Plattformisierung“ ein, um die enge Zusammenarbeit zwischen multinationalen Agrarkonzernen wie Bayer, John Deere und BASF und Technologiegiganten wie Amazon, Google und Microsoft zu beschreiben. Im Gegensatz zur Entstehung von Plattformen in anderen Sektoren verstärkt diese Dynamik bestehende Machtstrukturen, anstatt sie grundlegend zu verändern. Dies birgt das Risiko weiterer Konzentration.
Digitale Plattformen wie John Deeres „Operations Center“ oder Bayers „Climate FieldView“ ermöglichen es Agrarbetrieben, Entscheidungen auf Grundlage von Echtzeitdaten zu treffen. Sensoren, Satelliten und Traktoren generieren Daten, die in sogenannten „digitalen Zwillingen“ integriert werden können, um landwirtschaftliche Prozesse zu simulieren und zu optimieren. Dies verspricht nicht nur eine effizientere Nutzung von Ressourcen wie Wasser und Düngemitteln, sondern auch höhere Ernteerträge.
Effizienz trifft Abhängigkeit
Die Studie zeigt, dass diese Technologien auch Herausforderungen mit sich bringen. Viele Plattformen werden von wenigen großen Konzernen kontrolliert, wodurch die Gefahr besteht, dass die landwirtschaftlichen Betriebe zunehmend von diesen Unternehmen abhängig werden. Gleichzeitig fehlt es an Verbindungen zwischen den Plattformen der einzelnen Unternehmen: Daten bleiben somit oft in abgeschotteten Systemen („Silos“), was es Landwirten erschwert, mehrere Plattformen zu nutzen. Beispielsweise sind die Plattformen der großen Landmaschinenhersteller so gestaltet, dass sie nur eingeschränkt mit Produkten anderer Hersteller kompatibel sind. Dies begrenzt die Wahlmöglichkeiten von Landwirtinnen und Landwirten und bindet sie an einzelne Anbieter.
Gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen
Die Arbeit beleuchtet außerdem, wie Agrarkonzerne und Big-Tech-Unternehmen datengetriebene Geschäftsmodelle entwickeln, die weit über die traditionelle Landwirtschaft hinausgehen. Plattformen unterstützen nicht nur die Entscheidungsfindung, sondern verbinden diese auch direkt mit ihren Produkten, wie zum Beispiel Saatgut oder Pflanzenschutzmitteln. Ebenso arbeiten Unternehmen an Tools zur Messung von Kohlenstoffemissionen, um nachhaltigere Praktiken zu fördern und Landwirtinnen und Landwirten den Zugang zu CO₂-Zertifikaten zu ermöglichen. Trotz ihres Potenzials sind diese datengetriebenen Geschäftsmodelle bislang in der Regel nicht profitabel. Stattdessen werden sie durch die etablierten Geschäftsbereiche der Konzerne querfinanziert, um langfristig Marktanteile zu sichern.
„Die Plattformisierung der Landwirtschaft unterscheidet sich von anderen Branchen dadurch, dass sie die Marktstellung etablierter Agrarunternehmen eher stärkt als schwächt“, betont Sauvagerd. „Vor dem Hintergrund der dynamischen Entwicklungen in diesem Bereich stellt sich die Frage, wie der Zugang zu technologischen Infrastrukturen und Daten fair gestaltet werden kann, so dass die Position von Landwirtinnen und Landwirten nicht weiter geschwächt wird.“