Einmal jährlich würdigt die Paul Ehrlich-Stiftung eine Nachwuchswissenschaftlerin oder einen Nachwuchswissenschaftler für herausragende Leistungen in der Biomedizin. Benannt ist der renommierte Preis nach dem Mediziner und Forscher Paul Ehrlich († August 1915) und dem Chemiker und Wissenschaftshistoriker Ludwig Darmstaedter († Oktober 1927). In diesem Jahr ist die Wahl auf die Entwicklungsbiologin Prof. Dr. Elvira Mass vom Life and Medical Sciences Institut (LIMES) der Universität Bonn gefallen. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie wird die traditionell am 14. März in der Frankfurter Paulskirche stattfindende Preisverleihung um ein Jahr verschoben.
„Elvira Mass hat mit ihrer Forschung eine ganz neue Sichtweise auf die Rolle von Zellen des angeborenen Immunsystems bei der Embryonalentwicklung von Geweben und Organen ermöglicht“, betont Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Hoch, Rektor der Universität Bonn und Doktorvater von Elvira Mass. „Ihre herausragende Leistung zeigt sich auch darin, dass sie jetzt innerhalb eines Jahres zwei der bedeutendsten Nachwuchsforschungspreise in Deutschland gewonnen hat. Darauf kann sie, und können wir an der Universität Bonn, sehr stolz sein.“ Im vergangenen Jahr war der Wissenschaftlerin bereits der Heinz Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft verliehen worden.
Perspektivenwechsel beim Blick auf die Funktion von Organen
Bis vor wenigen Jahren galt die Auffassung, dass es Immunzellen aus dem Knochenmark sind, die das Gewebe nach Auffälligkeiten durchforsten, damit Organe gesund und leistungsfähig bleiben. Elvira Mass zeigte in einer Reihe von Experimenten, dass diese Zellen jedoch auf Vorläuferzellen im Dottersack zurückgehen, der den Embryo bis zur Ausbildung der Placenta ernährt und dann abgebaut wird. Die Vorläuferzellen wandern aus dem Dottersack in die entstehenden Organe, begleiten deren Entwicklung und bleiben auch nach der Geburt ein Leben lang präsent. Bei den Immunzellen handelt es sich um sogenannte Gewebe-Makrophagen, also um Fresszellen des angeborenen Immunsystems. Ihre primäre Aufgabe besteht darin, aufzuräumen und alles zu beseitigen, was nicht zu einem gesunden Organ gehört. Allerdings produzieren sie auch Botenstoffe und schaffen Nährstoffe herbei, sodass sie dafür sorgen, dass Neues entsteht.
„Mit ihren hochkarätigen wissenschaftlichen Arbeiten hat Elvira Mass besonders unser Verständnis über die Rolle der Makrophagen in der Entwicklung und Funktion des Gehirns bereichert“, betont Prof. Dr. Waldemar Kolanus, Geschäftsführender Direktor des LIMES-Instituts der Universität Bonn. „Sie hat sich durch Geschick und Engagement sehr schnell ein hohes Renommee in der Life-Science-Szene der Uni erarbeitet und damit in ihren jungen Jahren bereits echte Führungsqualitäten bewiesen. Wir vom LIMES-Institut gratulieren ihr zu dieser erneuten, fantastischen Auszeichnung“, sagt er.
Hinweis auf Fehlfunktion kam aus der Medizin
Die Forschungsarbeiten von Elvira Mass haben auch Konsequenzen für die Medizin, denn Organerkrankungen könnten auch auf eine Fehlfunktion der Makrophagen-Vorläuferzellen aus dem Dottersack zurückgehen. Dass dies tatsächlich der Fall ist, hat Mass für einige Organe der Maus gezeigt, zum Beispiel für das Gehirn, wo die ansässigen Makrophagen Mikroglia heißen.
Der Hinweis auf eine relevante Fehlfunktion kam aus der Medizin. Es gibt eine Form von Krebs, bei dem sich die Gewebe-Makrophagen unkontrolliert vermehren und bei der die Kranken mit der Zeit Anzeichen für eine Neurodegeneration oder eine Bewegungsstörung entwickeln. Diesen als Histiozytosen bezeichneten Tumoren liegt meistens eine spezielle Mutation zugrunde. Mass hat diese Mutation bei Mäusen in die Vorläuferzellen im Dottersack geschleust und verfolgt, wie sich die Tiere entwickelten. Dabei zeigte sich, dass die mutierten Mikroglia-Zellen nicht mehr ihren angestammten Aufgaben nachgehen, sondern die Nervenzellen in ihrer Nachbarschaft attackieren und beseitigen. Das führte bei den Mäusen früher oder später zu Lähmungen und passt damit zum klinischen Bild einer Histiozytose.
In Zukunft möchte die Nachwuchspreisträgerin untersuchen, welche Umweltfaktoren die epigenetische Prägung in den Vorläuferzellen des Dottersacks derart verändern, dass sich daraus Konsequenzen für die Gesundheit der Organe ergeben. Dafür wird sie mit einem kürzlich zugesprochenen „Starting Grant“ des Europäischen Forschungsrats (1,5 Millionen Euro Fördersumme) unter anderem den Einfluss von Nanopartikeln auf die Makrophagen untersuchen. Teilchen, die kleiner als 500 Nanometer sind, gelangen über die Plazenta ins Blut des Embryos und könnten damit auch der Fürsorge-Funktion der Gewebe-Makrophagen schaden.
Seit langem eng mit der Universität Bonn verbunden – Kurzbiografie von Elvira Mass
Elvira Mass (34) studierte Biologie an der Universität Bonn und promovierte am dortigen Life and Medical Sciences Institut (LIMES). 2014 wechselte sie in das Labor von Frederic Geissmann ans King’s College in London und folgte ihm wenige Monate später an das Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York. Von dort kehrte sie 2017 als Gruppenleiterin an das LIMES-Institut der Universität Bonn zurück. 2019 wurde sie W2-Professorin für „Integrated Immunology“ an der Universität Erlangen-Nürnberg. 2020 wechselte sie auf eine W2/W3-Professur ans LIMES-Institut. Sie ist Vorstandsmitglied im Exzellenzcluster „ImmunoSensation2“ und Bonner Forum Biomedizin sowie Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich „Leben und Gesundheit“ der Universität Bonn.
Pressemitteilung „Fördert Nanoplastik neurologische Krankheiten? ERC Starting Grant für Elvira Mass“
Kontakt:
Prof. Dr. Elvira Mass
LIMES-Institut der Universität Bonn
Tel.: 02 28 / 73 6 28 48
E-Mail: elvira.mass@uni-bonn.de