Tausendfüßer zählen ebenso wie Insekten, Krebs- oder Spinnentiere zur megadiversen Gruppe der Gliederfüßer (Arthropoden). Während für Insekten und Spinnentiere die flüssigkeitsbasierte Ernährung weitverbreitet und beschrieben ist, wurde bislang nur vermutet, dass auch einige Tausendfüßer sich von flüssiger Nahrung ernähren. Ein Team um die Wissenschaftler Leif Moritz (Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Universität Bonn), Dr. Thomas Wesener (Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels) und Prof. Dr. Alexander Blanke (Universität Bonn) untersuchte nun die Köpfe von Vertretern der artenarmen und exotischen Colobognatha.
Mit Hilfe von hochauflösender Tomographie sowie histologischen Methoden und Elektronenmikroskopie entdeckten die Forschenden in allen neun untersuchten Tausendfüßerarten eine Saugpumpe, die denen von Insekten auffallend ähnelt. Sie besteht aus einer Kammer, die durch starke Muskeln geweitet werden kann. „Zusammen mit den stark abgewandelten, ausfahrbaren Mundwerkzeugen ermöglicht die Saugpumpe diesen Tausendfüßern, mehr oder weniger flüssige Nahrung einzusaugen“, erklärt Leif Moritz, Doktorand an der Universität Bonn und am LIB.
Damit konnte das Forschungsteam zeigen, dass die funktionellen Werkzeuge für eine Ernährung mit flüssigen Nährstoffen in allen großen Untergruppen der Gliederfüßer mehrmals unabhängig voneinander entstanden sind. „Die biomechanisch-morphologischen Ähnlichkeiten zwischen den Organismengruppen machen deutlich, wie stark Selektion wirken kann, sobald eine Nahrungsquelle auch nur einen leichten evolutiven Vorteil bringt“, führt Alexander Blanke, Leiter der Arbeitsgruppe für evolutionäre Morphologie an der Universität Bonn, aus.
Die Studie liefert außerdem Erkenntnisse, um die Entstehung von Artenvielfalt besser zu verstehen. Denn im Gegensatz zu den sehr artenreichen saugenden Insekten mit über 400.000 Spezies, umfasst die Gruppe der Colobognatha-Tausendfüßer nur etwa 250 Arten. „Die flüssigkeitsbasierte Ernährung allein ist folglich keine allgemeine Triebkraft für Artenreichtum“, ergänzt Thomas Wesener, Leiter der Sektion Myriapoda am LIB. Da diese Tausendfüßer meist auf feuchte Lebensräume angewiesen sind und nicht fliegen können, scheinen ihre Ausbreitungsmöglichkeiten begrenzt, und sie sind anfälliger für Umweltveränderungen. „Die heutigen saugenden Tausendfüßer sind vermutlich eine Reliktgruppe und das Überbleibsel einer einst viel größeren Vielfalt“, vermutet Alexander Blanke.
Beteiligte Institutionen und Förderung:
Neben dem Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB), Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig, und dem Institut für Evolutionsbiologie und Tierökologie der Universität Bonn sind an der Studie das Paul Scherrer Institut in Villigen (Schweiz) und das Helmholtz-Zentrum hereon in Geesthacht beteiligt. Das Projekt wurde mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), des European Research Council (ERC) und der National Science Foundation of the United States (NSF) gefördert.
Publikation: Moritz L., Borisova E., Hammel J.U., Blanke A., Wesener T.: A previously unknown feeding mode in millipedes and the convergence of fluid feeding across arthropods, Science Advances, DOI: 10.1126/sciadv.abm0577
Kontakt:
Prof. Dr. Alexander Blanke
Institut für Evolutionsbiologie und Ökologie
Universität Bonn
Tel. + 49 228 73 5130
E-Mail: ablanke@evolution.uni-bonn.de
Leif Moritz
Sektion Myriapoda
Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) Bonn
Tel. +49 228 9122-423
E-Mail: moritz.leif@gmail.com
Dr. Thomas Wesener
Sektionsleiter Myriapoda
Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) Bonn
Tel. +49 228 9122-425
E-Mail: t.wesener@leibniz-zfmk.de