Lysosomen sind zentraler Teil der zelleigenen Müllabfuhr. Die von einer fettähnlichen Membran umgebenen Bläschen funktionieren wie eine Recycling-Fabrik im Miniformat: Sie zerlegen defekte Zellbestandteile, schädliche Moleküle oder nicht mehr benötigte Proteine in ihre Einzelteile. Diese stellen sie der Zelle dann wieder zur Verfügung. „Der Prozess ist immens wichtig“, betont Dr. Dominic Winter vom Institut für Biochemie und molekulare Biologie am Universitätsklinikum Bonn. „Wenn er nicht korrekt funktioniert, können Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson die Folge sein.“
Lysosomen sind sehr komplex aufgebaut. Man kennt inzwischen mehrere hundert Proteine, die für ihre Funktion eine Rolle spielen. Es könnten sogar noch deutlich mehr sein: Wenn man Lysosomen aus Zellen isoliert und ihre Zusammensetzung mit Spezialgeräten analysiert, findet man oft mehr als 5.000 unterschiedliche Zelleiweiße. „Allerdings lässt sich nicht sagen, wie viele davon tatsächlich für die Arbeit der Lysosomen wichtig sind“, sagt Winter. „Es kann sich auch um Moleküle handeln, die gerade in ihnen zerlegt werden. Andere hängen vielleicht von außen an ihrer Membran, ohne irgendeine Aufgabe zu erfüllen. Und auch bei der Isolierung der Lysosomen gibt es meist eine Menge unerwünschten Beifang.“
100 neue potentielle lysosomale Proteine entdeckt
Die Forscherinnen und Forscher haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sie einen großen Teil dieser unbeteiligten Moleküle identifizieren können. Von den 5.000 Proteinen, die typischerweise mit herkömmlichen Methoden gefunden werden, blieben so noch gut 1.000 übrig. „Wir haben diesen Schritt für sechs sehr unterschiedliche Zelltypen durchgeführt, darunter etwa Leber- und Krebszellen“, erklärt der Wissenschaftler. „Einige hundert dieser 1.000 Proteine waren in fast sämtlichen Lysosomen vorhanden – egal, aus welchem Gewebe diese stammten. Darunter waren neben den bereits bekannten lysosomalen Eiweißen auch etwa 100 neue. Wir halten es für wahrscheinlich, dass diese ebenfalls für die Funktion der Nano-Schredder eine wichtige Rolle spielen.“
Was sich von Zelltyp zu Zelltyp unterschied, war die Menge, in der jedes dieser Proteine vorkam. „Die Lysosomen von Leberzellen sind zum Beispiel randvoll mit Abbau-Enzymen“, sagt Winter, der auch Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich „Leben & Gesundheit“ der Universität Bonn ist. „Das ist auch plausibel – eine wichtige Funktion der Leber ist die Zerlegung unterschiedlicher Moleküle. In den von uns untersuchten Krebszellen enthielten die Lysosomen dagegen sehr viele Transporter-Proteine.“
Tumoren benötigen für ihr Wachstum viel Energie; gleichzeitig sind sie oft schlecht durchblutet. Sie „verdauen“ daher das umgebende Gewebe und nutzen die Abbauprodukte zur Energiegewinnung. Die Verdauung findet in den Lysosomen statt, die die zerlegten Moleküle dann zurück in die Zelle transportieren müssen – daher die vielen Transporter. Die Nano-Schredder unterscheiden sich also je nach den Anforderungen des Gewebes, in dem sie vorkommen. „In jedem der sechs Zelltypen, die wir untersucht haben, haben die Lysosomen eine ganz spezifische Protein-Ausstattung“, betont Winter. „Wir sind meines Wissens die erste Arbeitsgruppe, die das zeigen konnte.“
Protein-Fingerabdruck liefert Hinweise auf Krankheits-Mechanismen
Die Ergebnisse sind einerseits für die Grundlagenforschung interessant. Andererseits werfen sie auch ein neues Licht auf die Rolle der Lysosomen bei bestimmten Krankheiten. Weltweit gibt es mehr als 1.600 Studien zu unterschiedlichsten Störungen, die auf eine Beteiligung lysosomaler Proteine hindeuten. So weiß man seit längerem, dass bei der Parkinson-Erkrankung die Lysosomen in ganz spezifischen Nervenzellen verändert sind. „Wir können nun eine Art Protein-Fingerabdruck dieser Lysosomen nehmen und mit dem von Gesunden vergleichen“, erläutert Winter. „Das könnte Hinweise darauf geben, wie die Funktion der zellulären Schredder bei Betroffenen verändert ist und warum das zu neurologischen Problemen führt.“ Langfristig könnte das auch helfen, neue Ansatzpunkte für Medikamente zu finden.
Die Studie wurde zwar am Universitätsklinikum durchgeführt, ist aber letztlich auch ein multinationales Projekt: Die drei Hauptautorinnen stammen aus drei verschiedenen Ländern - die DAAD-Stipendiatin Dr. Fatema Akter aus Bangladesh, ihre Kollegin Srigayatri Ponnaiyan aus Indien und die Doktorandin Sara Bonini aus Italien.