Bei der Bestäubung von Blütenpflanzen haben sich verschiedene Strategien herausgebildet. Dabei spielt die Häufigkeit und die Effizienz des Blütenbesuchers eine Rolle. Hier gibt es große Unterschiede zwischen den verschiedenen Tiergruppen. Weltweit sind Insekten, besonders Bienen, die häufigsten Bestäuber. Bienen haben meist recht kleine Aktivitätsradien während andere Bestäubergruppen wie Kolibris deutlich größere Strecken fliegen. “Man ging bisher davon aus, dass Pflanzen dann ihre Bestäubergruppe von Bienen zu Kolibris wechseln, wenn die Aktivität und damit die Bestäubungseffizienz von Bienen zu gering oder zu unvorhersehbar ist, zum Beispiel im Hochgebirge”, sagt Privatdozent Dr. Stefan Abrahamczyk vom Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen an der Universität Bonn. Etwa in Nebelwäldern tropischer Hochgebirge ist es für Bienen häufig zu feucht beziehungsweise zu kalt.
Warum gibt es allerdings Pflanzen in Regionen mit großer Bienenvielfalt und -Häufigkeit, die trotzdem zu Bestäubern wie Kolibris, Fledermäusen oder sogar kleinen, bodenlebenden Säugetieren wie Mäuseartige, Lemuren oder Honigbeutler gewechselt haben? In der aktuellen Studie haben Dr. Abrahamczyk und seine Kolleginnen und Kollegen gezeigt, dass die Gründe für den evolutionären Wechsel von Bestäubergruppen deutlich komplexer sind als bisher gedacht. Wenn im Laufe der Evolution aus einer Ursprungsart zwei neue entstehen, weil das Verbreitungsgebiet etwa durch Gebirgsauffaltung oder eine Eiszeit geteilt wird, dann nennt man die beiden neu entstandenen Arten ein Schwesterartenpaar.
Die Forscher analysierten drei Schwesterartenpaare aus unterschiedlichen Pflanzenfamilien hinsichtlich ihrer Reproduktionsstrategien. Eine Schwesterart ist jeweils kolibribestäubt und die andere bienenbestäubt. Alle Arten gingen aus bienenbestäubten Vorfahren hervor und kommen in Gebieten in Nordamerika vor, die sich durch große Vielfalt und Häufigkeit von Bienen auszeichnen. Mittels einer Reihe von Bestäubungsexperimenten stellte sich heraus, dass alle kolibribestäubten Arten einen deutlich höheren Samenansatz hatten und die Samen über eine deutlich höhere Keimungsrate verfügten, wenn sie aus einer Bestäubung mit Pollen eines anderen Pflanzenindividuums derselben Art hervorgegangen sind.
“Aus diesen Ergebnissen lässt sich schließen, dass sich Kolibribestäubung in den Populationen bienenbestäubter Arten entwickelt hat, die besonders stark auf Fremdbestäubung angewiesen sind, sich also nicht selbstbefruchten können”, sagt Abrahmamczyk. Durch ihren größeren Aktivitätsradius im Vergleich zu Bienen und ihren häufigen Wechsel zwischen verschiedenen Pflanzenindividuen der gleichen Art können Kolibris besonders Pflanzen, die sich nicht selbst befruchten, deutlich effektiver bestäuben als Bienen.
Bienen besuchen häufig zuerst alle offenen Blüten an einer Pflanze, bevor sie zur nächsten fliegen. Dadurch fördern Bienen hauptsächlich Selbstbestäubung. Gegenüber Kolibris haben die Bienen noch einen anderen Nachteil: Sie putzen sich intensiv während des Fluges und deponieren den ausgekämmten Pollen in ihren Pollenhöschen, um ihn an ihre Larven zu verfüttern. Dadurch gelangt nur ein geringer Teil des Pollens auf die Narbe und kann die Samenanlagen befruchten. Kolibris hingegen sind an Pollen nicht interessiert.
“Diese neu gewonnenen Erkenntnisse lassen sich auch auf die Evolution andere Bestäubungssysteme, wie Fledermaus- oder Nachtfalterbestäubung, hinsichtlich ihrer Häufigkeit und Effizienz übertragen”, sagt Abrahamczyk. Die Resultate bieten einen tieferen Einblick in die Evolution von Pflanze-Bestäuber-Interaktionen. Sie zeigen, dass die Eigenschaften der Pflanze und des Bestäubers für das Verständnis dieser Evolution berücksichtigt werden müssen.
Beteiligte Institutionen:
Neben der Universität Bonn ist die Xi’an Jiaotong-Liverpool University, Szuhou (China) beteiligt.
Publikation: Stefan Abrahamczyk, Maximilian Weigend, Katrin Becker, Lea Sophie Dannenberg, Judith Eberz, Nayara Atella-Hödtke, Bastian Steudel: Influence of plant reproductive systems on the evolution of hummingbird pollination, Ecology and Evolution, DOI: 10.1002/ece3.8621
Kontakt:
Privatdozent Dr. Stefan Abrahamzczyk
Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen
Universität Bonn
Tel. +49-(0)228-73 4649
E-Mail: sabraham@uni-bonn.de