Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zelle, da sie die Energie für die zellulären Prozesse produzieren. Damit die Kraftwerke funktionieren können, brauchen sie molekulare Arbeiter – mehr als 1.000 verschiedene Proteine. Diese mitochondrialen Proteine werden im Cytosol, dem flüssigen Bestandteil des Zellplasmas, als sogenannte Vorstufenproteine hergestellt. Sie enthalten Signale, die den Transport zu den Mitochondrien und die Erkennung an ihrer Oberfläche vermitteln.
„Es kann passieren, dass diese Proteine abgebaut werden müssen, da ihre Aufnahme in die Mitochondrien gestört ist“, erklärt Prof. Dr. Thomas Becker vom Institut für Biochemie und Molekularbiologie der Universität Bonn, Koordinator des neuen Schwerpunktprogramms. Die Anhäufung solcher nicht-importierten Vorstufenproteine kann zum Untergang der Zelle führen. Es werden Faktoren außerhalb der Mitochondrien benötigt, um eine Anreicherung dieser Proteine zu verhindern. Dazu gehören Faltungshelfer, molekulare Chaperone genannt, oder Abbaumaschinen wie das Proteasom, die Bestandteile des Proteostase-Netzwerks sind. Störungen im zellulären Proteostase-Netzwerk oder in den Mitochondrien können neurodegenerative Erkrankungen hervorrufen und sind an der Alterung beteiligt.
Im neuen Schwerpunkprogramm wollen Becker und seine Kolleginnen und Kollegen die Mechanismen erforschen, die die Vorstufenproteine zu den Mitochondrien transportieren und die nicht-importierten Vorstufenproteine in der Zelle abbauen. „Wir werden auch untersuchen, wie diese molekularen Mechanismen aufeinander abgestimmt werden, um die Funktion und Entstehung der Mitochondrien zu gewährleisten“, sagt Becker. „Unsere Studien werden zum Verständnis der molekularen Mechanismen beitragen, die der Alterung und neurodegenerativen Erkrankungen zugrunde liegen.“
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
In dem Schwerpunktprogramm werden Forschende mit unterschiedlichen Expertisen zusammenkommen, um Antworten auf die offenen Fragen des Transports und des Abbaus von mitochondrialen Vorstufenproteinen zu finden. So beschäftigen sich einige der Forschenden schwerpunktmäßig mit der mitochondrialen Biogenese, einige mit der zellulären Proteostase. „Eine umfassende Analyse ist ohne die Expertise beider Forschungsfelder nicht möglich“, betont Thomas Becker, Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich „Life and Health“ der Universität Bonn. „Wir erhoffen uns, gemeinsam neue Einblicke in die fundamentale zellbiologische Frage zu erlangen, wie Zellorganellen wie die Mitochondrien in das zelluläre Proteostase-Netzwerk eingebettet sind, um deren Funktion und Entstehung zu kontrollieren.“
An der Initiative sind verschiedene Institute von mehreren deutschen Universitäten beteiligt – darunter die Universität Bochum (Prof. Dr. Konstanze Winklhofer), die Universität Kaiserslautern (Prof. Dr. Johannes Herrmann), die Universität Konstanz (Prof. Dr. Elke Deuerling) und die Universität Frankfurt (Dr. Christian Münch).
Schwerpunktprogramme (SPP) der DFG
Schwerpunktprogramme (SPP) sind überregionale Forschungsverbünde, in denen wissenschaftliche Grundlagen besonders aktueller oder sich gerade bildender Forschungsgebiete untersucht werden sollen. Insgesamt hat die DFG jetzt sechs neue Schwerpunktprogramme eingerichtet, die im Jahr 2024 starten sollen. Die Programme untersuchen jeweils ein Oberthema – in diesem Fall ist es die „Integration der Mitochondrien in das zelluläre Proteostase-Netzwerk“. Zur Mitarbeit in einem SPP fordert die DFG interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf, Projektanträge zu stellen. Die sechs neuen Verbünde, die aus 33 eingereichten Initiativen ausgewählt wurden, erhalten zunächst drei Jahre lang insgesamt rund 44 Millionen Euro.