Diese Küstenfossilien, die mehr als 270 Arten von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen enthalten, sind laut dem Forschungsteam die ersten, die im äquatorialen Atlantik ausgegraben wurden. Sie geben Aufschluss über die Umwelt- und Klimabedingungen, die in der Region herrschten, und zwar sowohl während einer sehr warmen Periode in der letzten Zwischeneiszeit vor 128.000 bis 116.000 Jahren als auch während der darauffolgenden Kaltzeit, der letzten Eiszeit vor 100.000 bis 15.000 Jahren.
Die Klimaschwankungen der letzten 2,5 Millionen Jahre haben zu radikalen Veränderungen in der Verteilung der Organismen auf dem gesamten Globus geführt. Insbesondere das letzte Interglazial vor 128.000 bis 116.000 Jahren ist durch einen höheren Meeresspiegel und wärmere Temperaturen als heute gekennzeichnet. Dieser Zeitraum entspricht den für das Jahr 2100 vorhergesagten globalen Bedingungen. Über die Fauna und Flora der äquatorialen Küstengebiete des letzten Interglazials rund um den Atlantik war wenig oder gar nichts bekannt, bis beim Bau der Ariane-6-Startrampe auf dem europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana fossile Tone entdeckt wurden.
Mit ausdrücklicher Genehmigung des Nationalen Zentrums für Raumfahrtstudien (CNES) wurden zwischen 2017 und 2021 in Kourou Zehntausende von Fossilien ausgegraben. Durch die Bündelung ihres Fachwissens ist es Paläontologen, Geologen und Biologen erstmals gelungen, die vergangenen Ökosysteme in Französisch-Guayana genau zu rekonstruieren. Zunächst charakterisierten die Wissenschaftler eine Ansammlung von Küstenfossilien, die aus der Zeit vor etwa 130.000 bis 115.000 Jahren stammen.
Laut den beiden Studienleitern Pierre-Olivier Antoine von der Universität Montpellier und Arnauld Heuret von der Universität Guyane umfassten die rekonstruierten marinen und terrestrischen fossilen Lebensgemeinschaften mehr als 270 Arten, darunter Foraminiferen, Mollusken, Knochenfische, Bryozoen, Dekapoden, Haie und zahlreiche Pflanzen. Alle in Kourou gefundenen fossilen Exemplare gehören zu heutigen Arten, von denen einige inzwischen vom Aussterben bedroht sind.
Die Ergebnisse belegen einen kurzen Zeitraum mit hohem Meeresspiegel während der letzten Zwischeneiszeit, als das Gebiet ein Mangroven-Ökosystem und Flachwasser-Lebensräume beherbergte, zu denen auch sehr vielfältige Molluskengemeinschaften gehörten. Laut Austin Hendy vom Natural History Museum in Los Angeles zeigt diese Vielfalt, dass es sehr starke Verbindungen zwischen den Küstengewässern der Karibik und der Guyanas gab, wahrscheinlich mit geringerem Einfluss der Megaströme aus dem Amazonasgebiet. Nach dem Rückzug des Ozeans vor etwa 110.000 Jahren, der mit der globalen Abkühlung der letzten Eiszeit zusammenhängt, deuteten die vor Ort entdeckten Pflanzenfossilien – wie Pollen, Phytolithen und Holzkohle - darauf hin, dass es bis vor etwa 50.000 Jahren Savannen und trockenere lokale Bedingungen mit Episoden natürlicher Brände gab, erklärt Carina Hoorn von der Universität Amsterdam.
Die Untersuchungen von Prof. Dr. Martin Langer vom Institut für Geowissenschaften/Paläontologie der Universität Bonn konzentrierten sich auf die marinen Mikrofossilien (Foraminiferen). Sie dienen als Archive für die Rekonstruktion der Umweltbedingungen, die Höhe des Meerespiegels und das Ablagerungsmilieu für den Zeitraum des letzten Interglazials vor 128.000 bis 116.000 Jahren. „Anhand der Mikrofossilanalysen konnten wir zeigen, dass der Meeresspiegel zirka 4 bis 6 Meter über dem heutigen Niveau, die Temperaturen etwa 2 bis 4 Grad höher als heute und die Küstenlinie in Französich-Guyana von Mangroven-Wäldern gesäumt war“, sagt der Wissenschaftler.
Graslanddominierte Pollen, Pflanzenreste und Holzkohlen aus jüngeren Ablagerungen belegen Langer zufolge einen marinen Rückzug und trockenere Bedingungen während des Beginns des letzten Glazials vor rund 110.000 bis 50.000 Jahren, mit einer von Savannen dominierten Landschaft und Episoden von Feuer. Die Holzkohlen aus den letzten Jahrtausenden deuten auf die Anwesenheit des Menschen hin. „Unsere Ergebnisse liefern wichtige Informationen über die Ökologie und Biogeografie unberührter tropischer Küstenökosysteme des Pleistozäns, die insbesondere im Hinblick auf die vom Menschen verursachte globale Erwärmung von Bedeutung sind“, sagt der Wissenschaftler der Universität Bonn.
Den Autoren zufolge ermöglichen die Ergebnisse ein besseres Verständnis der Ökologie und Biogeografie der tropischen Küstenökosysteme des Äquatorialatlantiks vor dem Einfluss des Menschen sowie der potenziellen langfristigen Auswirkungen des laufenden Klimawandels auf die derzeitigen auch gefährdeten Arten. Pierre-Olivier Antoine hofft, dass „diese Arbeit zu einem besseren Verständnis der großen ökologischen Umwälzungen beitragen wird, die die Region bis zum Jahr 2100 erleben könnte“.