UM WAS GEHT ES?
Das sogenannte Rechtsmissbrauchsverbot ist dafür gedacht, dass Recht nicht zweckentfremdet, umgangen oder in anderer Weise missbräuchlich ausgenutzt wird. Insbesondere im Arbeits- und im Gesellschaftsrecht zeigen sich noch Lücken in der Anwendung dieses Verbots.
GIBT ES HIERZU EIN KONKRETES BEISPIEL?
Das Rechtsmissbrauchsverbot lässt sich anhand der „räuberischen Aktionäre“ veranschaulichen. Diese durchsuchen Beschlüsse ihrer Aktiengesellschaft akribisch auf Formfehler und drohen der Gesellschaft gegebenenfalls mit Beschlussanfechtung, falls diese ihnen die Klage nicht durch hohe Geldzahlungen „abkauft“.
IST DIESES VORGEHEN DER AKTIONÄRE ILLEGAL?
Die Aktionäre machen hierbei vordergründig lediglich von ihrem gesetzlichen Anfechtungsrecht Gebrauch, das die rechtliche Überprüfung von Gesellschaftsbeschlüssen ermöglichen soll. Jedoch besteht Einigkeit darüber, dass die Zweckentfremdung dieses Rechts zur persönlichen Bereicherung derart verwerflich ist, dass sie auch bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der Anfechtungsklage keinen Erfolg haben soll. Dies lässt sich erreichen, indem die Anfechtungsklage als rechtsmissbräuchlich verworfen wird. Das Rechtsmissbrauchsverbot bietet also eine Möglichkeit, um Verhaltensweisen abzuwehren, die zwar nach dem Wortlaut des Gesetzes erlaubt sind, nach dessen Sinn und Zweck jedoch verboten sein sollten.
TRITT DIE ZWECKENTFREMDUNG HÄUFIG AUF?
Solche Verhaltensweisen sind in der Praxis häufig anzutreffen.
WIE KAMEN SIE ZU DIESEM THEMA?
Die Idee für das Thema kam meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Greiner, nachdem er sich vertieft mit einem anderen Anwendungsbereich des Rechtsmissbrauchsverbots auseinandergesetzt hat, der die Praxis seit einiger Zeit beschäftigt: Der Abwehr überlanger Befristungsketten, die durch eine „geschickte“ Ausnutzung arbeitsvertraglicher Gestaltungsmöglichkeiten konstruiert werden.
WARUM BEFASSEN SIE SICH MIT DIESEM THEMA?
Zur Auswahl des Themas Rechtsmissbrauch hat uns der Umstand bewogen, dass sich die Rechtsprechung häufig schwer damit tut, stringente und solide Rechtsmissbrauchskontrollen vorzunehmen. Dadurch schöpft sie das Potential des Rechtsmissbrauchsverbots nicht aus und bietet wenig Rechtssicherheit. So hat sich etwa im Bereich des Befristungsmissbrauchs eine Rechtsprechung entwickelt, die zwar einzelne Missbrauchsfälle erfolgreich abgewehrt hat, jedoch Schutzlücken lässt und einige Unsicherheiten aufweist.
WAS IST DAS ZIEL IHRER DISSERTATION?
Die Doktorarbeit soll die Effektivität von Rechtsmissbrauchskontrollen steigern, indem sie Maßstäbe entwickelt, anhand derer sich Verhaltensweisen in zuverlässigerer Weise als bislang auf ihre Missbräuchlichkeit überprüfen lassen.
WIE LAUTET DIE QUELLE?
Ansgar Kalle: Das Rechtsmissbrauchsverbot in Dogmatik und Praxis, 2024, Mohr Siebeck, 601 Seiten, 129 Euro.
WO KANN ICH MEHR ERFAHREN?
Ansgar Kalle Geboren 1995; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bonn; 2020 Erste juristische Staatsprüfung; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht in Bonn; 2023 Promotion; Rechtsreferendariat am Landgericht Bonn. https://orcid.org/0009-0004-6482-1497, E-Mail: akalle1@uni-bonn.de