„Gemeinsam in Wissenschaft und Gesellschaft müssen wir mehr Anstrengungen unternehmen, um den Klimawandel aufzuhalten und den enormen Verlust an Biodiversität nicht weiter zuzulassen“, sagt Professor Dr. Dirk Lanzerath, Leiter des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE) der Universität Bonn und Koordinator des Projektes “RE4GREEN”. „Gerade die Verantwortung von uns Forschenden bereits im Forschungsprozess und bei der Auswahl von Forschungsthemen und -zielen ist hier ausgesprochen hoch.“ Für diese Fragestellungen schon junge Forschende zu sensibilisieren und dies auch zu einem zentralen Anliegen ethischer Verantwortlichkeit von Forschungseinrichtungen wie Universitäten zu machen, ist Gegenstand vom neu eingeworbenen EU-Projekt RE4GREEN. An dem Vorhaben beteiligen sich von der Universität Bonn neben dem Deutschen Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE) auch die Landwirtschaftliche Fakultät, das Center for Life Ethics und der Transdisziplinäre Forschungsbereich “Sustainable Futures”.
Technische Innovationen und andere Forschungsvorhaben können für Klimawandel oder Biodiversitätsverlust ebenso schädlich wie hilfreich sein. So kann ein gezielter Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Präzisionslandwirtschaft beispielsweise zu einem geringeren Einsatz von Pestiziden und niedrigerem Wasserverbrauch beitragen. Gleichzeitig sind derartige Anwendungen jedoch mit dem emissionsintensiven Betrieb von Serverfarmen und umweltschädlicher Gewinnung von Edelmetallen verknüpft. “Ethische Problemstellungen in diesem Zusammenhang wurden im europäischen Forschungsraum bisher nur oberflächlich adressiert”, sagt Lanzerath.
RE4GREEN befasst sich insbesondere damit, vorhandene forschungsethische Prinzipien um Einsichten aus der Klima- und Umweltethik zu ergänzen, um auf diese Weise einen interdisziplinären und Wirtschaftssektoren übergreifenden Beitrag zu einem umweltbewussten Gesellschaftswandel zu leisten. Die Universität Bonn übernimmt hierbei die Koordination von insgesamt 15 inner- und außereuropäischen Institutionen. Neben den europäischen Partnerinstitutionen beteiligen sich Universitäten aus Japan, Südkorea und Südafrika. Gefördert wird das Projekt für einen Zeitraum von drei Jahren mit insgesamt drei Millionen Euro.
Die EU hat bereits erste Schritte unternommen, Umweltaspekte in die Forschungsethik einzubetten. Ein Beispiel ist das „Do no significant harm“-Prinzip, das sicherstellen soll, dass keine bedeutsamen sozialen oder umweltbezogenen Zielsetzungen durch institutionelles Handeln verletzt werden. Doch werden konkretere Forderungen der Umwelt- und Klimaethik im europäischen Forschungsraum derzeit nur in geringem Ausmaß berücksichtigt, so die RE4GREEN-Forschenden. Bestrebungen hin zu einer nachhaltigeren oder „grüneren“ Wirtschaftsweise würden in vielen Fällen nicht in die Tat umgesetzt, weil Unsicherheit darüber herrsche, welche Maßnahmen als förderlich oder welche Innovationen als zielführend erachtet werden können.
RE4GREEN versucht, zukünftigen Forschungsvorhaben dahingehend eine Orientierung zu bieten: So sollen die Ergebnisse des Umwelt- und Klimaethischen Diskurses gesichtet und in praktische Leitlinien übersetzt werden. Ethische Trainings sollen es Beteiligten zukünftig erleichtern, in Hinsicht auf diese Problemfelder kompetente Entscheidungen zu treffen. „Wir brauchen einen praktischen, ethischen Rahmen, der zentrale ethische Prinzipien bewahrt und fördert und zugleich einen schnellen und effektiven Grünen Wandel in der Europäischen Union herbeiführt“, sagt Mihalis Kritikos, Policy Analyst der Europäischen Kommission. Der EU zufolge gilt es hier, größere Aufmerksamkeit für klima- und umweltbezogene Aspekte bei der Durchführung von Forschungsaktivitäten zu erzielen und diese durch entsprechende Trainings langfristig aufrecht zu erhalten. Hierzu gilt es, zunächst zentrale ethische Problemfelder auszumachen, um sie dann auf vorhandene, umweltrelevante Anwendungsbereiche übertragen zu können.
Eine Besonderheit von RE4GREEN ist die Arbeit in sogenannten “social labs”, bei denen betroffene Personengruppen aktiv in den Forschungsprozess eingebunden werden sollen. Damit soll eine akademische beschränkte Perspektive verhindert und praxistaugliche Ergebnisse erzielt werden. Die social labs sollen folgende Themenbereiche abdecken: 1. Gesundheit, Kultur und inklusive Gesellschaft sowie innere Sicherheit; 2. Digitales, Industrie und Weltraum; 3. Klima und Mobilität; 4. Energie; 5. Nahrung, Bioökonomie, Landwirtschaft und Umwelt sowie 6. Böden, Wasser, Meere und natürliche Ressourcen. Ein internationaler Beirat aus Akteurinnen und Akteuren mit vielfältiger Expertise steht “RE4GREEN” nicht nur betreuend zur Seite, sondern soll auch im Rahmen der social labs zu einer breiteren Perspektive beitragen.
Video: https://www.youtube.com/playlist?list=PLA3ac5OPI2Cx4kTRv5uODLU3l6d7Bz7PQ