Im Zentrum der Studie steht die Sterblichkeitsrate der Infektion (sog. Infektionssterblichkeit, infection fatality rate, IFR), die den Anteil der Todesfälle unter den Infizierten angibt. Diese muss von der Fallsterblichkeit unterschieden werden (case fatality rate, CFR). Die IFR ist aus verschiedenen Gründen der verlässlichere Parameter, und dessen Bestimmung wird international für SARS-CoV-2 gefordert. „Mit unseren Daten kann nun zum ersten Mal sehr gut geschätzt werden, wie viele Menschen nach einem Ausbruchsereignis infiziert wurden. In unserer Studie waren das 15 Prozent für die Gemeinde Gangelt. Mit der Gesamtzahl aller Infizierter kann die Infektionssterblichkeit (IFR) bestimmt werden. Sie liegt für SARS-CoV-2 für den Ausbruch in der Gemeinde Gangelt bei 0,37 Prozent“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn. Mit der IFR lässt sich anhand der Zahl der Verstorbenen auch für andere Orte mit anderen Infektionsraten abschätzen, wie viele Menschen dort insgesamt infiziert sind. Der Abgleich dieser Zahl mit der Zahl der offiziell gemeldeten Infizierten führt zur sogenannten Dunkelziffer. Diese ist in Gangelt rund 5-fach höher als die offiziell berichtete Zahl der positiv getesteten Personen. Legt man für eine Hochrechnung etwa die Zahl von fast 6.700 SARS-CoV-2-assoziierten Todesfällen in Deutschland zugrunde, so ergäbe sich eine geschätzte Gesamtzahl von rund 1,8 Millionen Infizierten. Diese Dunkelziffer ist um den Faktor 10 größer als die Gesamtzahl der offiziell gemeldeten Fälle (162.496 am 03.05.2020, 07:20 Uhr).
„Die Ergebnisse können dazu dienen, Modellrechnungen zum Ausbreitungsverhalten des Virus weiter zu verbessern – bislang ist hierzu die Datengrundlage vergleichsweise unsicher“, sagt Co-Autor Prof. Dr. Gunther Hartmann, Leiter des Instituts für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie am Universitätsklinikum Bonn und Sprecher des Exzellenzclusters ImmunoSensation. Die Studie gibt auch wichtige Hinweise für weiterführende Forschung zu SARS-CoV-2, etwa zum Infektionsrisiko in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen, zum höheren Schweregrad der Erkrankung unter den besonderen Bedingungen eines massiven Infektionsereignisses wie in Gangelt, oder zum Infektionsrisiko innerhalb von Familien.
20% der COVID-19 Infektionen verlaufen asymptomatisch
Auch die Symptombeschreibung ist ein Aspekt der Studie. Der für diese Infektion auffälligste Symptomkomplex ist der von Prof. Streeck zuvor beschriebene Geruchs-und Geschmacksverlust. Weiterhin zeigten in Gangelt insgesamt 22 Prozent von allen Infizierten gar keine Symptome. Es fiel auf, dass Personen häufiger Symptome hatten, die an der Karnevalssitzung teilgenommen haben. “Um herauszufinden, ob hier die körperliche Nähe zu anderen Sitzungsteilnehmern und eine erhöhte Tröpfchenbildung durch lautes Sprechen und Singen zu einem stärkeren Krankheitsverlauf beigetragen haben, planen wir weitere Untersuchungen in Kooperation mit Spezialisten für Hygiene“, führt Prof. Hartmann aus.
„Dass offenbar jede fünfte Infektion ohne wahrnehmbare Krankheitssymptome verläuft, legt nahe, dass man Infizierte, die das Virus ausscheiden und damit andere anstecken können, nicht sicher auf der Basis erkennbarer Krankheitserscheinungen identifizieren kann“, meint Prof. Martin Exner, Leiter des Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit und Co-Autor der Studie. Dies bestätige die Wichtigkeit der allgemeinen Abstands- und Hygieneregeln in der Corona-Pandemie. „Jeder vermeintlich Gesunde, der uns begegnet, kann unwissentlich das Virus tragen. Das müssen wir uns bewusst machen und uns auch so verhalten“, sagt der Hygiene-Experte.
In den untersuchten Mehrpersonen-Haushalten war das Risiko für die Ansteckung einer weiteren Person überraschend gering. „Die Infektionsraten sind bei Kindern, Erwachsenen und Älteren sehr ähnlich und hängen offenbar nicht vom Alter ab“, sagt Prof. Streeck. Es gebe auch keine signifikanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Prof. Dr. Hendrik Streeck im Interview mit uni-bonn.tv
Insgesamt 919 Teilnehmer aus 405 Haushalten
Insgesamt 600 zufällig ausgewählte Haushalte in Gangelt wurden angeschrieben und gebeten, an der Studie teilzunehmen. 919 Studienteilnehmer aus 405 Haushalten wurden vom 30. März bis 6. April sechs Wochen nach dem Ausbruch der Infektion in Gangelt befragt und getestet. Die Wissenschaftler nahmen Rachenabstriche und Blutproben. In der Akutphase der Infektion in den ersten ein oder zwei Wochen ist der PCR-Test, der den „genetischen Daumenabdruck“ von SARS-CoV-2 erfasst, sehr zuverlässig. Zwei oder drei Wochen nach der Infektion bildet das Immunsystem sogenannte Antikörper gegen das Virus, die der ELISA-Test erkennt. „Durch die Kombination von PCR- und ELISA-Test können wir sowohl akute als auch abgelaufene Infektionen erfassen“, sagt Hartmann. Vorstudien zeigten, dass der ELISA-Test sich in etwa einem Prozent der durchgeführten Untersuchungen „irrt“ und fälschlicherweise eine durchgemachte Infektion anzeigt. "Bei einem hohen Prozentsatz an Infizierten wie in Gangelt tritt dieser messtechnische Unsicherheitsfaktor in den Hintergrund", erklärt Prof. Hartmann. Bei aktuell geplanten Deutschland-weiten Studien mit einer geschätzten Infektionsrate von etwa ein bis zwei Prozent sei dieser messtechnische Unsicherheitfaktor jedoch ein Problem.
Welche Schlüsse aus den Studienergebnissen gezogen werden, hängt von vielen Faktoren ab, die über eine rein wissenschaftliche Betrachtung hinausgehen“, sagt Prof. Streeck. „Die Bewertung der Erkenntnisse und die Schlussfolgerungen für konkrete Entscheidungen obliegen der Gesellschaft und der Politik.“
In der Corona-Pandemie gelten auch beim wissenschaftlichen Publizieren andere Regeln als sonst: Renommierte wissenschaftliche Journale verlangen, dass bei der Einreichung von Arbeiten zum Thema COVID-19 das jeweilige Paper zunächst auf einem Preprint Server hochgeladen und so unverzüglich vorab der Wissenschaft und den Gesundheitsbehörden zugänglich gemacht wird (siehe: https://wellcome.ac.uk/coronavirus-covid-19/open-data). Erst dann findet das weitere Publikationsverfahren mit einer Überprüfung durch Experten im sog. Peer Review statt.
Publikation: Infection fatality rate of SARS-CoV-2 infection in a German community with a super-spreading event Hendrik Streeck, Bianca Schulte, Beate M. Kümmerer, Enrico Richter, Tobias Höller, Christine Fuhrmann, Eva Bartok, Ramona Dolscheid, Moritz Berger, Lukas Wessendorf, Monika Eschbach-Bludau, Angelika Kellings, Astrid Schwaiger, Martin Coenen, Per Hoffmann, Birgit Stoffel-Wagner, Markus M. Nöthen, Anna-Maria Eis-Hübinger, Martin Exner, Ricarda Maria Schmithausen, Matthias Schmid and Gunther Hartmann
Das Manuskript wurde inzwischen auf dem Pre-Print-Server medRxiv veröffentlicht.
Kontakt für die Medien:
Dr. Andreas Archut
Dezernat für Hochschulkommunikation
Universität Bonn
Tel.: 0228/73-7647
E-Mail: kommunikation@uni-bonn.de
Häufig gestellte Fragen (FAQs):
Wie ist die Arbeitsteilung zwischen den an der Studie beteiligten Wissenschaftlern?
Prof. Hendrik Streeck: „Solche eine große Studie kann man nicht alleine durchführen. Mehr als 80 Wissenschaftler, Ärzte, Medizinisch-Technische Assistenten und Medizinstudierende waren beteiligt.“ Studienleiter und Erstautor ist Prof. Hendrik Streeck (Direktor des Instituts für Virologie), Letztautor Prof. Gunther Hartmann (Leiter des Instituts für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie, Sprecher des Exzellenzclusters ImmunSensation). Prof. Matthias Schmid (Direktor des Instituts für Medizinische Biometrie, Informatik und Epidemiologie) und Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Exner (Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit) ergänzen das Team.
Was wurde untersucht?
Prof. Hendrik Streeck: „Nach der Karnevalssitzung in Gangelt im Kreis Heinsberg kam es zur ersten größeren Ausbreitung der COVID-19-Pandemie in Deutschland. Ein Team unter meiner Leitung begann damit, die Infizierten und ihr Umfeld zu untersuchen. Dies wurde Ende März ausgeweitet, um systematisch das Infektionsgeschehen im Kreis Heinsberg zu erfassen.“
Was sind die wichtigsten Ergebnisse der Studie?
Prof. Hendrik Streeck: „Im Zentrum der Studie steht die Infection Fatality Rate (IFR), die den Anteil der Todesfälle unter den Infizierten angibt. Aus den Daten wurde weltweit erstmalig errechnet, dass die IFR von SARS-CoV-2 bei 0,37% liegt. Je nach mathematischen Korrekturverfahren schwankt sie zwischen 0,24% und 0,43%. Bei etwa 15 Prozent aller untersuchten Personen wurde eine Infektion mit SARS-CoV-2 nachgewiesen. Die bisher bekannte Infektionsrate in der Gemeinde Gangelt lag bei 3%. Dies bedeutet, dass fünf Mal so viele Personen in der Gemeinde Gangelt infiziert waren, wie ursprünglich ermittelt. Es wurden neben Einzelpersonen auch Haushalte untersucht um herauszufinden, ob es einen Familienclustereffekt gibt. Die Studie zeigt, dass wenn ein Haushaltsmitglied infiziert ist, die Infektionswahrscheinlichkeit für eine weitere Person abhängig von der Haushaltsgröße über dem durchschnittlichen Infektionsrisiko von 15% liegt, z.B 20% darüber bei 3-Personen Haushalten. Die Infektionsraten sind bei Kindern, Erwachsenen und Älteren sehr ähnlich und hängen offenbar nicht vom Alter ab. Außerdem gibt es in der Studie Hinweise, dass es zu schwereren Krankheitsverläufen kam, wenn die Personen Karneval gefeiert haben.“
Welche Aussagekraft haben die Ergebnisse?
Prof. Gunther Hartmann: „Die Dunkelziffer ist nur auf die Gemeinde Gangelt zu beziehen. Jedoch: Die von uns bestimmte Letalität mit dem Fehlerbereich der Berechnung ist eine Eigenschaft des Virus. Dadurch kann man zum Beispiel mit einem gewissen Fehlerbereich hochrechnen, wie viele Menschen infiziert sein können. Legt man für eine Hochrechnung etwa die Zahl von 6.700 Todesfällen in Deutschland zugrunde, die mit SARS-CoV-2 zusammenhängen, ergibt sich die Zahl von 1,8 Millionen Infizierten. Die Daten können dazu dienen, Modellrechnungen zum Ausbreitungsverhalten des Virus zu verbessern. Bislang war hierzu die Datenlage sehr unsicher.“
Wie sind Sie bei der Studie vorgegangen?
Prof. Hendrik Streeck: „Wir orientierten uns an einem Protokoll der Weltgesundheitsorganisation WHO für solche Zwecke (https://www.who.int/publications-detail/population-based-age-stratified-seroepidemiological-investigation-protocol-for-covid-19-virus-infection). Insgesamt 600 zufällig ausgewählte Haushalte in Gangelt wurden angeschrieben und gebeten, an der Studie teilzunehmen. 405 Haushalte haben sich bereiterklärt, mitzumachen. Insgesamt 919 Teilnehmer gingen in das Endergebnis mit ein.“
Mit welchen Methoden wurde auf SARS-CoV-2 getestet?
Prof. Gunther Hartmann: „Vor allem in der akuten Phase der Infektion in den ersten ein oder zwei Wochen sind sogenannte PCR-Tests, für die ein Rachenabstrich erforderlich ist, sehr zuverlässig. Sie testen auf das Erbgut (Genom) von SARS-CoV-2. Zwei oder drei Wochen nach der Infektion bildet das Immunsystem sogenannte Antikörper, auch wenn keine Krankheitssymptome sichtbar sind. Diese SARS-CoV-2-Antikörper werden mit dem sogenannten „ELISA“-Test erfasst, für den eine Blutprobe notwendig ist. Wir untersuchten die Teilnehmer in Gangelt mit dem PCR- und dem ELISA-Test.“
Wie zuverlässig sind diese Tests?
Prof. Gunther Hartmann: „Die Produktangaben des Herstellers sowie Vorstudien der Bonner Wissenschaftler ergaben, dass die „Trefferquote“ des verwendeten ELISA-Tests 98 bis 99 Prozent beträgt; dies deckt sich auch mit Validierungen, die Prof. Christian Drosten in Berlin durchgeführt hat. Weniger als ein Prozent der Ergebnisse ist also „falsch positiv“ oder „falsch negativ“. Die Studie wurde in einem so genannten Hochprävalenzgebiet durchgeführt, d.h. dass dort SARS-CoV-2 sehr verbreitet ist. Eine einprozentige Fehlerquote ist hier nicht so ausschlaggebend wie in Gebieten mit deutlich weniger Infizierten. Diese Fehlerquote des ELISAs wird rechnerisch korrigiert.“
Inwieweit kann eine Verwechslung des SARS-CoV-2 mit Erkältungs-Coronaviren ausgeschlossen werden?
Dies ist weitgehend ausgeschlossen, das macht allein die hohe Spezifität des ELISAs deutlich. Zusätzlich haben wir Neutralisationsassays durchgeführt. Als Kontrolle haben wir Viren-Proben aus der Zeit vor dem Ausbruch der aktuellen Pandemie untersucht.
Wie sieht es mit der Schwere der Infektionsverläufe und den Symptomen aus?
Prof. Hendrik Streeck: „Insgesamt hatten 22,1 Prozent der Infizierten keine Symptome. Personen, die an einer Karnevalssitzung teilgenommen haben, waren deutlich häufiger von einer SARS-CoV-2-Infektion betroffen und hatten einen schwereren Verlauf als Menschen, die nicht Karneval gefeiert haben. Es könnte sein, dass es bei Karnevalsfeiern zu einer höheren Viruslast bei Erstinfektion kommt.“
Wie viele der Getesteten trugen das Virus in sich?
Prof. Hendrik Streeck: „14 % der in Gangelt Getesteten trugen während der Probennahme im April 2020 bereits Antikörper gegen den Virus in sich. Bei einem kleinen Prozentsatz (2,4%) konnten wir Viren nachweisen.“
Welche Ergebnisse liegen zu den Übertragungsraten in den Haushalten vor?
Prof. Martin Exner: „In Haushalten, in denen eine Person Virusträger ist, ist das Infektionsrisiko höher, beispielsweise steigt das Risiko um 20 % bei einem 3-Personen Haushalt. Die Neuinfektionsraten sind bei Kindern, Erwachsenen und Älteren sehr ähnlich und hängen offenbar nicht vom Alter ab. Es gibt auch keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern.“
Ohne Obduktion ist unklar, ob die Infizierten an SARS-CoV-2-Viren oder einer anderen Erkrankung gestorben sind. Wurde diese Unsicherheit bei der Ermittlung der Infection Fatality Rate (IFR) berücksichtigt?
Prof. Hendrik Streeck: „Zur Todesursache der positiv getesteten COVID-19-Verstorbenen liegen keine Angaben vor, deshalb konnte bei der Berechnung der IFR nicht weiter differenziert werden.“
Sind die Ergebnisse für Deutschland, andere Länder und die Welt repräsentativ?
Prof. Hendrik Streeck: Es handelt sich um ein Massenausbreitungsereignis (sogenanntes „super-spreading event“), das nur eingeschränkt auf ganz Deutschland oder andere Länder übertragen werden kann. Trotzdem bieten die nun vorliegenden Daten zu diesem Ereignis wichtige wissenschaftliche Ansatzpunkte, weil es sich in Gangelt um ein sehr frühes und sehr intensives Infektionsgeschehen in Deutschland handelte. Mit den Zahlen lassen sich zum Beispiel Simulationsmodelle zur Ausbreitung des Virus verbessern.
Welche Maßnahmen zur Bekämpfung lassen sich ableiten?
Prof. Hendrik Streeck: Wir haben die Daten erhoben und analysiert. Welche Schlüsse daraus gezogen werden, hängt von vielen Faktoren ab, die sich einer rein wissenschaftlichen Betrachtung entziehen. Die Bewertung der Erkenntnisse und die Ableitungen von konkreten Entscheidungen obliegen allein der Politik.“
Welchen Nutzen hat die Studie für die Wissenschaft, für die Politik und für die Gesellschaft?
Prof. Hendrik Streeck: „Erstmals wurden mit der Heinsberg-Studie in einem Hotspot umfangreiche Daten zum COVID-19-Infektionsgeschehen erhoben. Damit lassen sich wissenschaftliche Prognosen zum Ausbreitungsverhalten der Infektionserkrankung verbessern, indem Annahmen zum SARS-CoV-2-Virus nun durch wichtige Daten ergänzt werden können. Auch weist die Studie Ansatzpunkte für weitergehende Forschung aus. Im Ansatz ähnliche Studien werden jetzt vom RKI, der Charité, der LMU und der Helmholtz-Gemeinschaft durchgeführt.“
Was hat Sie zu der Studie motiviert?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: „Zu Beginn des Infektionsgeschehens in Gangelt haben wir auf Bitten des Kreisgesundheitsamtes in Heinsberg die SARS-CoV2-Diagnostik unterstützt. Dabei wurde mir klar, dass es sich hier um eine Art „Miniatur-Deutschland“ handelte, das dem Rest des Landes um einige Wochen voraus war. Deshalb lag der Gedanke nahe, dieses Ereignis mit einer wissenschaftlichen Studie zu begleiten.“
Welche Kosten waren mit der Studie verbunden? Wer hat die Studie finanziert?
Prof. Hendrik Streeck: „Das Land NRW stellte 65.000 Euro für die Durchführung der Studie zur Verfügung. Die tatsächlichen Kosten betragen ein Vielfaches dieser Summe. Während der Probennahme kamen rund 80 Medizin-Studierende zum Einsatz, die die Arbeiten als Hilfskräfte unterstützten. Auch die Kosten für die Analytik bewegen sich im oberen fünfstelligen Bereich. Rund drei Viertel der Kosten wird mit Mitteln der beteiligten Institute finanziert.“
Warum veröffentlichen Sie die Studie zunächst auf dem Preprint Server?
Prof. Gunther Hartmann: „Renommierte wissenschaftliche Journale verlangen, dass bei der Einreichung von Arbeiten zum COVID-19-Thema das jeweilige Paper auf einem Preprint Server hochgeladen und so unverzüglich der Wissenschaft und den Gesundheitsbehörden zugänglich gemacht wird (siehe https://wellcome.ac.uk/coronavirus-covid-19/open-data).“
Was sagen Sie zu der in den Medien geäußerten Kritik an der Studie?
Diskussionen und auch Kritik sind ein wesentlicher Teil des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses. Zu der vom SWR verbreiteten Kritik sagt das Forschungsteam: In der Arbeit wird die Infection Fatality Rate (IFR) für den Ort Gangelt bestimmt, nicht für Deutschland. Das von uns errechnete Konfidenzintervall für die IFR in Gangelt ist korrekt. Eine Berechnung des Konfidenzintervalls für die IFR in Gesamtdeutschland müsste zusätzliche statistische Unsicherheiten einbeziehen. Dies war jedoch nicht Ziel der Arbeit und wurde von den Autoren auch nicht als solches formuliert. Bei der im Diskussionsteil der Arbeit aufgeführten Zahl von 1,8 Millionen Infizierten handelt es sich um eine rein theoretische Beispiel-Hochrechnung, die auch ganz klar als solche gekennzeichnet ist. Die Breite des Konfidenzintervalls für die IFR in Gangelt hat keinen Einfluss auf die Beispielberechnung der Zahl 1,8 Millionen. Sie hätte höchstens einen Einfluss auf ein mögliches Konfidenzintervall für die 1,8 Millionen, also auf die Schwankungsbreite der "Punkt"-Schätzung 1,8 Millionen. Eine solche Schwankungsbreite wird im Paper aber nicht aufgeführt. Insofern existieren auch keine Widersprüche in der Arbeit.