Pflanzenzellen enthalten eine ganze Reihe spezialisierter Strukturen, die sogenannten Organellen. Zwei besonders wichtige sind die Chloroplasten und die Mitochondrien. Chloroplasten setzen mit Hilfe von Lichtenergie Kohlendioxid und Wasser zu Sauerstoff und Zucker um. Mitochondrien kehren diesen Prozess gewissermaßen um: Sie „verbrennen“ Zucker und andere Verbindungen und machen dadurch die Energie für eine Vielzahl zellulärer Prozesse verfügbar.
Beide Organellen sind in einem Punkt besonders: Sie verfügen über eigene Gene. Diese Erbanlagen sind Bauanleitungen für wichtige Moleküle, die die Organellen für ihre Arbeit benötigen. Wenn etwa ein Chloroplast ein bestimmtes Protein herstellen muss, bestellt er zunächst eine Abschrift der entsprechenden Bauanleitung. Mit diesem Konstruktionsplan kann er dann das Protein produzieren.
Die Gene der Chloroplasten und Mitochondrien enthalten häufig Fehler
„Allerdings sind die Gene der Chloroplasten und Mitochondrien oft fehlerhaft“, erklärt Elena Lesch, die am Institut für Zelluläre und Molekulare Botanik der Universität Bonn promoviert. „Die Abschriften müssen daher korrigiert werden. Sonst funktionieren die Proteine nicht, die nach ihrer Anleitung zusammengebaut werden.“ Dafür nutzen Pflanzen eine Art Tipp-Ex - spezielle Moleküle, die zur Gruppe der PPR-Proteine gehören.
Pflanzen verfügen über mindestens Dutzende, teils sogar Tausende, dieser speziellen PPR-Proteine. Jedes einzelne davon korrigiert ganz spezifische Fehler - das wäre so, wie wenn es bei der Zeitung für jedes Wort einen anderen Korrekturleser gäbe. Die PPR-Proteine werden aber nicht in den Organellen hergestellt, in denen sie zum Einsatz kommen, sondern im Innern der Zelle, im sogenannten Cytosol.
Auch im Cytosol tummeln sich jede Menge Genabschriften. Sie stammen allerdings aus dem Zellkern, wo der allergrößte Teil der vielen Tausend Pflanzengene aufbewahrt wird. Mitochondrien und Chloroplasten enthalten dagegen jeweils nur ein paar Dutzend Gene. Die Tipp-Ex-Proteine könnten theoretisch auch die Abschriften im Cytosol korrigieren. „Sie tun das jedoch nicht, sondern gehen ihrer Tätigkeit ausschließlich in den Organellen nach“, sagt Lesch. „Wir wollten wissen, warum das so ist.“
Transportmechanismus in die Organellen überfordert
Eine potenzielle Antwort ist, dass die molekularen Korrekturleser einfach zu schnell vom Cytosol in die Organellen gebracht werden. Um diese Möglichkeit zu untersuchen, versahen die Forschenden PPR-Gene im Laubmoos Physcomitrium mit einer Art molekularem Schalter. Dadurch konnten sie die Zellen gewissermaßen auf Knopfdruck dazu bringen, sehr große Mengen von PPR-Proteinen zu produzieren. „Wir konnten zeigen, dass das den Transportmechanismus überfordert“, sagt Leschs Kollegin Mirjam Thielen, die einen großen Teil der Experimente durchgeführt hat. „Die PPR-Proteine häuften sich dadurch im Cytosol an.“
Dort begannen sie nun damit, Abschriften aus dem Zellkern zu verändern. „Wir haben die vorgenommenen Änderungen analysiert“, sagt Lesch: „Dabei zeigte sich, dass die Proteine eine große Zahl von Bauanleitungen verändert hatten, die eigentlich korrekt gewesen wären. Solche falschen Eingriffe sind natürlich kontraproduktiv, da sie die Funktion von Proteinen gefährden können.“ Doch warum ist das so? Die PPR-Proteine detektieren nicht nur Fehler, sondern binden auch an sogenannte „Off-Target-Sequenzen“. Dabei handelt es sich um Stellen, die zwar einer fehlerhaften Sequenz ähneln, aber eigentlich völlig korrekt sind. „Da sich im Cytosol Abschriften von Zehntausenden Genen tummeln, wäre die Gefahr groß, dass fälschlicherweise solche Off-Target-Sequenzen fehlkorrigiert werden“, betont Lesch.
Produktion der Tipp-Ex-Moleküle wird streng reguliert
Um das zu verhindern, produziert die Pflanze normalerweise stets nur relativ geringe Mengen von PPR-Proteinen. Diese werden dann direkt in die Organellen transportiert, bevor das molekulare Tipp-Ex im Cytosol Schaden anrichten kann. Da die Zahl der Gene und damit auch ihrer Abschriften in den Chloroplasten und Mitochondrien überschaubar ist, kommt es dort in der Regel nicht zu Fehlkorrekturen.
Die Studie liefert neue Einblicke in die Zielerkennung der Korrektur-Proteine. Die Ergebnisse lassen sich daher eventuell zukünftig nutzen, um ganz gezielt bestimmte Genabschriften in Mitochondrien und Chloroplasten zu verändern und den Effekt solcher Änderungen zu untersuchen. Wegen der wichtigen Rollen dieser Organellen im Energiestoffwechsel der Pflanzen sind hier auch interessante Nutzanwendungen denkbar.