Weltweit nehmen Städte immer mehr Raum ein. Siedlungsbereiche sind aber nicht nur Wohnort des Menschen, sondern auch Lebensraum für viele Tiere und Pflanzen. Siedlungen haben sich jedoch in den letzten Jahrzehnten stark verändert und mit ihnen auch die dort lebenden Tiergemeinschaften. “Lokale Besonderheiten gehen verloren und mit ihnen die spezialisierten Arten”, sagt Privatdozent Dr. Stefan Abrahamczyk vom Nees-Institut der Universität Bonn, der schon seit Jahren an botanischen und ornithologischen Themen, wie etwa der Vogelbestäubung, forscht. Vielfach überlebt überall nur eine geringe Zahl anpassungsfähiger Arten, diese aber in hoher Dichte. “Man spricht in diesem Zusammenhang von biologischer Homogenisierung”, ergänzt Darius Stiels, Vorsitzender der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft (OAG) Bonn am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig. Allerdings sind Langzeitdaten, mit denen dieses Phänomen untersucht werden kann, selten.
Ein Team der OAG und der Universität Bonn hat im Frühling und Sommer 2019 die Brutvogelgemeinschaft im Bonner Stadtteil Dottendorf kartiert. Es war in der glücklichen Lage, die Daten mit solchen aus dem Jahr 1969 vergleichen zu können. Damals hatte der spätere Ornithologe Professor Dr. Michael Wink noch als Schüler die Brutvögel in Dottendorf erfasst und seine Ergebnisse inklusive einer Karte in einem Artikel veröffentlicht. “Die Unterschiede zwischen diesen beiden Kartierungen sind überraschend”, fast Abrahamczyk das Ergebnis zusammen. Kamen 1969 noch 57 Brutvogelarten in Dottendorf vor, waren es 2019 nur noch 39. Insgesamt verschwanden 22 Arten und vier neue kamen hinzu.
Nachtigall und Wendehals kamen 1969 noch vor
Die meisten verschwundenen Arten, wie Nachtigall oder Wendehals, kamen 1969 mit maximal drei Paaren vor. Allerdings verschwanden auch einige ehemals häufige Arten wie Feldsperling oder Gartenrotschwanz. “Insgesamt fehlen heute die typischen Arten der strukturreichen Agrarlandschaft sowie einige typische Siedlungsarten”, sagt Stiels. Der Verlust dieser Arten sei einerseits mit dem Rückgang von Offenlandlebensräumen am Rande und im Umfeld von Dottendorf zu erklären. Andererseits nahmen aber auch viele Gebäudebrüter, wie Mauersegler oder Mehlschwalbe, ab oder verschwanden ganz, was wahrscheinlich mit dem Verlust von Brutplätzen begründet werden kann.
Stefan Abrahamczyk erklärt weiter: “Bei einigen Arten sind auch Effekte des Klimawandels und neu auftretende Krankheiten ein wahrscheinlicher Grund für Bestandsveränderungen.” Eine deutliche Zunahme gab es dagegen bei den Waldarten, wie Ringeltaube, Mönchsgrasmücke oder Singdrossel. Die reine Veränderung der Flächennutzung allein erklärt diese Muster jedoch noch nicht. Stattdessen profitieren wahrscheinlich die typischen Waldbewohner von den sich verändernden Gärten in Dottendorf. Viele Büsche und Bäume sind in den vergangenen Jahrzenten stark gewachsen und bilden damit Lebensraum für Vogelgemeinschaften der Wälder.
„Zu unserem großen Erstaunen konnten wir, trotz des massiven Verlustes der Artenvielfalt, weder einen Rückgang der Zahl der Brutpaare noch eine Abnahme der Biomasse feststellen“, sagt Darius Stiels. Seltenere Arten wurden offenbar durch Vertreter häufigerer Arten zahlenmäßig kompensiert. So war allein bei der Ringeltaube eine Zunahme von vier auf 58 Paare zu verzeichnen. “Diese Vögel haben erfolgreich Städte als Brutlebensraum erobert”, sagt Stefan Abrahamczyk. Das sei jedoch nur ein schwacher Trost für das Verschwinden vieler anderer Arten. Viele der lokal ausgestorbenen Arten sind auch großräumig gefährdet. Obwohl die Studie auf Dottendorf begrenzt war, dürften ähnliche Veränderungen an vielen Orten zu beobachten sein, sind die Wissenschaftler überzeugt.
Publikation: Abrahamczyk S., Liesen J., Specht R., Katz E.-C., Stiels D.: Long-term shifts in a suburban breeding bird community in Bonn, Germany, Journal “Bird Study”, DOI: 10.1080/00063657.2021.1931659