Evolution ist ein Prozess der schrittweisen Veränderung. Organismen unterscheiden sich daher in der Regel umso stärker voneinander, je länger es her ist, dass sich ihre Entwicklungswege getrennt haben. Deutlicher noch als in ihrem äußeren Erscheinungsbild zeigt sich dieser Zusammenhang in ihren Genen. Durch Vergleich der Erbanlagen vieler Arten lässt sich daher ihr Stammbaum rekonstruieren.
Genau das haben die an der Studie beteiligten Wissenschaftler getan. „Wir haben für insgesamt 213 verschiedene Arten im Schnitt jeweils über 1.000 Gene analysiert, die in diesen Pflanzen aktiv sind“, erklärt Prof. Dr. Maximilian Weigend vom Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen der Universität Bonn. „Unsere Studie ist damit für die Gruppe der Asteriden die bislang größte weltweit.“
Zu den Asteriden zählen so unterschiedliche Arten wie Kaffee, Heidekraut oder auch die in Madagaskar vorkommende Wasserähre, die einem Schwimmfarn ähnelt. Insgesamt umfasst die Gruppe rund 100.000 Arten und damit fast ein Viertel aller Blütenpflanzen weltweit. Entsprechend stark unterscheiden sie sich in ihrem Aussehen und den ökologischen Nischen, die sie besetzen.
Unsichere Steine im Stambaum-Mosaik
Die Gruppe gliedert sich in eine Reihe von Ordnungen, von denen sich jede wiederum in verschiedene Pflanzenfamilien aufdröselt. Für viele dieser Untergruppierungen war ihre Stellung im Stammbaum bislang umstritten. Wären die Verwandtschaftsverhältnisse ein Mosaik, so wüsste man also für zahlreiche Steine noch nicht sicher, wohin sie genau gehören.
Die aktuelle Studie ändert das nun ein Stück weit. „Wir haben die untersuchten Arten so gewählt, dass sie alle Pflanzen-Ordnungen und fast sämtliche Familien der Asteriden abdecken“, betont Weigend. „Gerade Untergruppierungen, deren Abstammung noch unklar ist, waren dabei besonders gut repräsentiert.“
Die Wissenschaftler konnten dadurch einige offene Fragen klären, etwa zur Stellung der Raublattartigen, zu denen beispielsweise das Vergissmeinnicht zählt. An anderen Stellen wurden dagegen neue Fragen aufgeworfen – die Forscher wissen jetzt also, an welchen Punkten des Mosaiks sie das Erbgut weiterer Pflanzen sequenzieren und so noch genauer hinschauen müssen. Die Studie sei insofern ein wichtiger Schritt, auf dem die Projektbeteiligten und andere Arbeitsgruppen nun aufbauen könnten.
Ein Großteil der untersuchten Arten stammen aus Bonn
99 der insgesamt 201 neu untersuchten Pflanzen stammen aus dem Botanischen Garten der Universität Bonn. „DNA aus lebendigen Pflanzen erlaubt aufgrund ihrer hohen Qualität sehr viel genauere Rückschlüsse als die von Herbariums-Exemplaren, die schon Jahrzehnte in Museen aufbewahrt werden“, sagt Weigend. „Um die untersuchten Arten in der freien Wildbahn zu sammeln, müssten Sie in mehr als 40 verschiedene Länder reisen und wären damit wohl über Jahre beschäftigt.“ Die Lebendsammlungen in Botanischen Gärten seien eine zunehmend wichtige Ressource für Forschung und Entwicklung, da an ihnen mit modernen Methoden immer neue Fragestellungen beantwortet werden könnten, betont der Wissenschaftler. „Gleichzeitig wird es juristisch immer schwieriger, Zugriff auf Pflanzenmaterial aus anderen Ländern zu erhalten, was die Bedeutung der Sammlungen weiter unterstreicht.“
Die Sequenzierung von je vielen hunderten Genen in über 200 Arten generiert eine riesige Datenmenge. Diese per Computer auszuwerten, stellt enorme Anforderungen an Software und Hardware. „Die Auswertung der Sequenzen erfolgte vor allem bei unseren Partnern der Pennsylvania State University und der Fudan University“, erläutert Maximilian Weigend. „Derartige Untersuchungen lassen sich heute praktisch nur in Kooperation durchführen.“
Die Ergebnisse ermöglichen es, die Evolution der Blütenpflanzen genauer als bisher nachzuvollziehen. Das sei zwar Grundlagenforschung, habe aber auch handfeste praktische Implikationen, betont der Botaniker – etwa wenn man verstehen wolle, wie Pflanzen in der Vergangenheit auf sich geänderte klimatische Bedingungen reagiert haben und damit auch, welche Folgen gegenwärtige oder zukünftige Veränderungen der Umweltbedingungen haben könnten. „Zudem zählen wichtige Nutzpflanzen des Menschen zu den Asteriden, von der Kartoffel über die Kiwi bis hin zum Kaffee“, erklärt er.
Viele Arten produzieren außerdem wichtige Wirkstoffe, die eine Grundlage für künftige Medikamente sein könnten. Und wer nach einer Alternative zu einem pflanzlichen Wirkstoff sucht, schaut sich dazu am besten in einer verwandten Art um. Weigend: „Auch aus diesem Grunde ist es wichtig, den Stammbaum der Asteriden möglichst genau zu kennen.“
Publikation: Caifei Zhang, Taikui Zhang, Federico Luebert, Yezi Xiang, Chien-Hsun Huang, Yi Hu, Mathew Rees, Michael W. Frohlich, Ji Qi, Maximilian Weigend und Hong Ma: Asterid phylogenomics/ phylotranscriptomics uncover morphological evolutionary histories and phylogenetic placement for numerous whole genome duplications; Molecular Biology and Evolution, DOI: 10.1093/molbev/msaa160
Kontakt:
Prof. Dr. Maximilian Weigend
Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen
Telefon: +49-(0)228/73-2121
E-Mail: mweigend@uni-bonn.de