Die Androgenetische Alopezie ist die häufigste Form des Haarausfalls beim Mann und ganz wesentlich durch erbliche Faktoren bedingt. Bisher fokussierten sich Studien primär auf häufige genetische Varianten. So konnten bisher weltweit mehr als 350 beteiligte Genorte identifiziert werden, wobei allen voran das auf dem von der Mutter vererbten X-Chromosom gelegene Androgenrezeptor-Gen zu nennen ist. Der Beitrag von seltenen genetischen Varianten an dieser häufigen Erkrankung wurde hingegen gering eingeschätzt, doch systematische Analysen hierzu fehlten bislang.
„Solche Analysen sind auch schwieriger, da hierfür Erbgut-Sequenzen anders als bei der Betrachtung häufiger Varianten systematisch durch umfangreiche Sequenzierungen von Genomen Betroffener erfasst werden müssen“, sagt Erstautorin Sabrina Henne, Doktorandin am Institut für Humangenetik des UKB und der Universität Bonn. Statistisch ist die Herausforderung, dass bei seltenen Gen-Varianten nur wenige, oder sogar nur einzelne Personen diese spezifischen Varianten tragen. „Deshalb wenden wir Gen-basierte Analysen an, die Varianten zunächst auf Basis der Gene, in denen sie liegen, zusammenfassen“, sagt Korrespondenzautorin Privatdozentin Dr. Stefanie Heilmann-Heimbach, Forschungsgruppenleiterin am Institut für Humangenetik des UKB und der Universität Bonn. So wurde unter anderem eine Art des Sequenz-Kernel-Assoziationstest (SKAT) verwendet, eine beliebte Methode zum Nachweis der Assoziation mit seltenen Varianten, sowie GenRisk, eine am Institut für Genomische Statistik und Bioinformatik (IGSB) des UKB und der Universität Bonn entwickelte Methode.
Mögliche Relevanz seltener Varianten bei erblich bedingtem Haarausfall beim Mann
Die Forschungsarbeit beruht auf Erbgut-Sequenzen von insgesamt 72.469 männlichen Probanden in der UK Biobank. Innerhalb dieser umfangreichen Datenmenge haben die Bonner Humangenetiker zusammen mit Forschenden des IGSB und des Zentrums für Humangenetik am Universitätsklinikum Marburg seltene Gen-Varianten betrachtet, die bei weniger als einem Prozent in der Bevölkerung vorkommen. Unter Anwendung moderner bioinformatischer und statistischer Methoden fanden sie Assoziationen zwischen erblichem Haarausfall beim Mann und seltenen genetischen Varianten in fünf Genen: EDA2R, WNT10A, HEPH, CEPT1 und EIF3F. EDA2R und WNT10A galten bereits als Kandidatengene auf Basis von Analysen häufiger Varianten.
„Durch unsere Studie verdichten sich die Hinweise, dass diese beiden Gene eine Rolle spielen, und dass dies durch sowohl häufige als auch seltene Varianten geschieht“, sagt Heilmann-Heimbach. HEPH liegt ebenfalls in einer genetischen Region, die bereits durch häufige Varianten impliziert wurde und zwar in der Nähe von EDA2R und dem Androgenrezeptor, also der Region, die konsistent über vergangene Assoziationsstudien hinweg am stärksten mit dem Haarausfall assoziiert wurde. „HEPH selbst wurde allerdings nie als Kandidatengen thematisiert – hier liefert unsere Studie einen Hinweis, dass es ebenfalls eine Rolle spielen könnte“, sagt Henne. „CEPT1 und EIF3F sind zwei Gene, die in genetischen Regionen liegen, die noch nicht mit dem erblich bedingten Haarausfall assoziiert wurden. Sie sind damit ganz neue Kandidatengene, mit der Hypothese, dass seltene Varianten innerhalb dieser Gene zur genetischen Veranlagung beitragen. Auch aufgrund ihrer vorbeschriebenen Funktion in der Entwicklung und dem Wachstum von Haaren, stellen HEPH, CEPT1 und EIF3F plausible neue Kandidatengene dar.“
Außerdem deuten die Ergebnisse darauf hin, dass auch Gene, von denen bereits bekannt ist, dass sie seltene Erbkrankheiten verursachen können, bei denen sowohl Haut- als auch Haare betroffen sind, wie etwa ektodermale Dysplasien, eine Rolle in der Entstehung des männlichen Haarausfalls spielen könnten. Die Forschenden hoffen, dass ihre gefundenen Puzzleteile helfen, die Ursachen des Haarausfalls besser zu verstehen und so sowohl das Risiko verlässlicher vorhersagen zu lassen, als auch die Therapiemöglichkeiten verbessern zu können.