„Automorphic Forms and Arithmetic“ (AuForA) – so heißt das Projekt des Mathematikers Prof. Dr. Valentin Blomer. Es liegt im Bereich der mathematischen Grundlagenforschung. Blomer untersucht darin Zusammenhänge zwischen klassischen zahlentheoretischen Objekten wie ganzzahligen Matrizen oder ganzzahligen Lösungen von Gleichungen auf der einen Seite und auf der anderen Seite komplexen und hochstrukturierten Funktionen, den sogenannten automorphen Formen.
Im Zentrum stehen drei fundamentale und seit mehr als 15 Jahren ungelöste mathematische Vermutungen, deren konzeptionelle Gemeinsamkeit das statistische Verhalten automorpher Formen in gewissen Familien ist. Das Projekt soll dabei helfen, für diese drei Vermutungen wesentliche Fortschritte und Lösungen zu erzielen. Mit dem ERC Advanced Grant stehen Blomer in den kommenden fünf Jahren rund zwei Millionen Euro für seine Forschung zur Verfügung.
Nach seinem Studium der Mathematik und Informatik an der Universität Mainz promovierte Valentin Blomer 2002 an der Universität Stuttgart und habilitierte sich drei Jahre später an der Universität Göttingen, wo er von 2004 bis 2005 Juniorprofessor war. Danach wechselte er zunächst als Assistant Professor an die Universität Toronto und erhielt dort später eine volle Professur. 2009 wurde er Professor an der Universität Göttingen, seit 2019 ist er an der Universität Bonn. Der Advanced Grant ist nicht seine erste Förderung des ERC – von 2010 bis 2015 hatte der Spezialist für analytische Zahlentheorie bereits einen Starting Grant inne. Valentin Blomer ist Mitglied des Exzellenzclusters Hausdorff Center for Mathematics und des Transdisziplinären Forschungsbereichs „Modelling“ der Universität Bonn.
Experimente an Teilchenbeschleunigern theoretisch vorhersagen
Im Projekt „Loop Corrections from the Theory of Motives“ (LoCoMotive) des Physikers Prof. Dr. Claude Duhr geht es darum, möglichst genaue theoretische Vorhersagen für Experimente an Teilchenbeschleunigern zu machen – allen voran am Large Hadron Collider (LHC) am CERN in Genf. An Teilchenbeschleunigern werden subatomare Teilchen, zum Beispiel Protonen, die Bausteine des Atomkerns, mit sehr hohen Energien zum Kollidieren gebracht. Dabei entstehen neue subatomare Teilchen, wie zum Beispiel das Higgs Boson, das vor zehn Jahren am LHC am CERN zum ersten Mal experimentell nachgewiesen wurde. Genaue theoretische Vorhersagen für Teilchenbeschleuniger verlangen das Auswerten von sogenannten Schleifenkorrekturen (Englisch: Loop Corrections), deren Berechnung oft sehr kompliziert ist.
Claude Duhrs Projekt „LoCoMotive“ untersucht, inwiefern moderne mathematische Methoden, speziell aus dem Bereich der sogenannten Theorie der Motive, angewandt werden können, um Schleifenkorrekturen effizient auszuwerten. Das Projekt situiert sich demnach im Grenzgebiet der Teilchenphysik und der Mathematik, mit dem Ziel abstrakte Mathematik konkret anzuwenden, um theoretische Vorhersagen von nie da gewesener Genauigkeit zu erzielen. Der ERC Consolidator Grant beschert Duhrs Vorhaben eine Förderung von rund zwei Millionen Euro.
Nach seinem Studium an der Université Catholique de Louvain in Belgien promovierte der Physiker Claude Duhr 2009 an selbiger Universität. In den darauffolgenden zwei Jahren arbeitete er als Postdoktorand an der Durham University in Großbritannien und danach zwei Jahre lang an der ETH Zürich in der Schweiz. Es folgten Forschungs- und Lehrtätigkeiten an den Universitäten in Louvain-la-Neuve und Durham, und von 2014 bis 2021 war Duhr am CERN in Genf tätig. Seit 2021 ist er Professor am Physikalischen Instituts der Universität Bonn. Sein übergeordneter Schwerpunkt ist die Mathematik der Präzisionsphysik.
Neue Quantenzustände in offenen Systemen
Der Physiker Dr. Julian Schmitt möchte in seinem Projekt eine Strategie entwickeln, mit der neue und besonders stabile Quantenzustände in offenen Systemen erzeugt und beobachtet werden können. Sein Interesse richtet sich dabei auf Zustände der Materie, die einen topologischen Charakter besitzen, den sie aufgrund ihrer Kopplung an die Umgebung erhalten. Hintergrund: Die Topologie, also die mathematische Untersuchung von Formen und ihrer geometrischen Eigenschaften, ist ein wichtiges universelles Grundkonzept für unser heutiges Verständnis von Materiezuständen im Kleinen wie im Großen – von atomaren Systemen bis hin zur Astrophysik. Darüber hinaus weisen topologische Materialien ein besonders hohes Maß an Robustheit auf und sind damit insbesondere aus technologischer Sicht hochinteressant. Anders als bislang angenommen muss Offenheit nicht unbedingt eine Begrenzung für solche topologischen Systeme darstellen, sondern kann, wie von Schmitt vorgeschlagen, sogar ein Werkzeug zur Erzeugung von topologischen Zuständen werden.
In seinem Projekt „TopoGrand“ plant Schmitt die Entwicklung eines neuartigen photonischen Systems, das Bose-Einstein-Kondensate aus Lichtteilchen in Anordnungen kleinster optischer Mikroresonatoren einsperrt. Das Ziel: neuartige topologische Zustände aus Licht zu erzeugen und zu beobachten. Bahnbrechend ist hierbei insbesondere, dies bei Raumtemperatur zu tun. Julian Schmitts Ansatz und die so möglich werdenden Experimente können für diverse Anwendungen relevant sein, beispielsweise für die Informationsverarbeitung auf photonischen Chips. Aus der Perspektive der Grundlagenphysik wird er mit seinem Projekt die sich abzeichnenden Verbindungen zwischen Photonik, Systemen aus kondensierter Materie und Quantencomputern erforschen. Der ERC Starting Grant für das Projekt ist mit rund 1,5 Millionen Euro dotiert.
Nach seinem Physikstudium und der Promotion an der Universität Bonn forschte Julian Schmitt an der University of Cambridge als Postdoktorand und ist seit mehr als zwei Jahren Junior Principal Investigator an der Universität Bonn. Sein Fachgebiet ist die experimentelle Forschung mit Quantensystemen aus Licht und Materie. In seiner bisherigen Forschungstätigkeit hat er zu wichtigen Erkenntnissen in der Physik niedrigdimensionaler Quantengase beigetragen. Hierzu arbeitete er an Experimenten mit photonischen und ultrakalten atomaren Systemen, in denen Quanteneffekte unter extremen Bedingungen und mit großer Flexibilität kontrolliert und untersucht werden können. 2020 erhielt er einen Independence Grant des Exzellenzclusters ML4Q.
Abzählende Geometrie von algebraischen Flächen
Die enumerative (oder abzählende) Geometrie ist ein klassisches Gebiet der Mathematik, das sich mit der Frage beschäftigt, wie viele Gebilde von einem bestimmten Typ auf einem geometrischen Raum, oder genauer einer algebraischen Varietät, existieren. Das Studieren und eventuelle Lösen dieser Zählprobleme hilft dabei, neue Aspekte der Geometrie dieser Räume zu verstehen und führt oft zu interessanten neuen algebraischen Strukturen sowie zu neuen Verbindungen zwischen der Geometrie und anderen Teilbereichen der Mathematik.
In dem Projekt „Correspondences in enumerative geometry: Hilbert schemes, K3 surfaces and modular forms“ (K3Mod) untersucht Prof. Dr. Georg Oberdieck die enumerative Geometrie von algebraischen Flächen, insbesondere der sogenannten K3-Fläche. Der Fokus liegt dabei darauf, Korrespondenzen zwischen verschiedenen enumerativen Theorien zu beweisen und dadurch neue Einblicke in diese Theorien zu gewinnen. Ein zentrales Ziel ist es, die Gromov-Witten-Theorie von Hilbert-Schemata von Punkten auf algebraischen Flächen zu bestimmen. Zu Oberdiecks Herangehensweise gehört es, Symmetrien der Erzeugendenfunktionen der Invarianten zu beweisen und dadurch eine Verbindung zu Modulformen, einem klassischen Teilgebiet der Zahlentheorie, herzustellen. Das erlaubt es, komplizierte Strukturen durch das Bestimmen von einigen wenigen Koeffizienten zu berechnen.
Das „K3Mod“-Projekt ist Teil der algebraischen Geometrie, zeichnet sich aber auch durch zahlreiche Verbindungen mit der Darstellungstheorie, der Zahlentheorie und der Physik aus. Es wird über den ERC Starting-Grant mit rund 1,5 Millionen Euro gefördert.
Nach seinem Mathematikstudium an der ETH Zürich promovierte Georg Oberdieck dort 2015 bei Rahul Pandharipande, einem der führenden Experten für moderne algebraische Geometrie. Danach arbeitete er am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA, bevor er im September 2018 Bonn Junior Fellow am Exzellenzcluster Hausdorff Center for Mathematics der Universität Bonn wurde. 2020 erhielt er den renommierten Heinz Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft.