Für ihre Analyse führte das Konsortium die klinischen und genetischen Daten von fast 50.000 Patienten, die positiv auf das Virus getestet wurden, sowie von zwei Millionen Kontrollpersonen aus zahlreichen Biobanken, klinischen Studien und genetischen Direktanbietern wie 23andMe zusammen.
Die Forschenden identifizierten 13 für eine Infektion relevante Orte im Genom, Loci genannt. Zwei davon wiesen bei Patienten ostasiatischer oder südasiatischer Abstammung eine höhere Häufigkeit auf als bei denen europäischer Abstammung – was die Bedeutung der Vielfalt in genetischen Datensätzen unterstreicht. “Wir waren bei der Erfassung der genetischen Vielfalt sehr viel erfolgreicher als in der Vergangenheit, weil wir uns gezielt bemüht haben, Populationen auf der ganzen Welt zu erreichen”, sagt Mark Daly, Direktor am Institute for Molecular Medicine Finland (FIMM) und Mitglied am Broad Institute des MIT und Harvard.
Das Team hob einen dieser beiden Loci besonders hervor, in der Nähe des FOXP4-Gens, das mit Lungenkrebs in Verbindung gebracht wird. Die FOXP4-Variante, die mit einem schweren Verlauf von COVID-19 assoziiert ist, erhöht die Expression des Gens. Das deutet darauf hin, dass die Hemmung des Gens eine mögliche therapeutische Strategie sein könnte. Andere Loci, die mit schwerer COVID-19 assoziiert sind, umfassen DPP9 – ein Gen, das ebenfalls an Lungenkrebs und Lungenfibrose beteiligt ist – und TYK2, das bei einigen Autoimmunerkrankungen eine Rolle spielt.
Eine der größten genomweiten Assoziationsstudien
Bei der Untersuchung handelt es sich um eine der größten jemals durchgeführten genomweiten Assoziationsstudien. Die Ergebnisse könnten nach Einschätzung der Forschenden dazu beitragen, Angriffspunkte für künftige Therapien zu finden und mehr über Infektionskrankheiten zu erfahren. Die COVID-19 Host Genetics Initiative wurde im März 2020 von Andrea Ganna, Gruppenleiter am Institute for Molecular Medicine Finland (FIMM) der Universität Helsinki, und Mark Daly, Direktor des FIMM und Institutsmitglied am Broad Institute des MIT und Harvard, gegründet. Die Initiative hat sich zu einer der umfangreichsten Kooperationen in der Humangenetik entwickelt und umfasst derzeit mehr als 3.300 Autoren und 61 Studien aus 25 Ländern. In die aktuelle Nature-Publikation sind 47 Studien aus 19 Ländern involviert.
Aus Deutschland hat die Bonner Studie zur COVID-Genetik (BoSCO) ihre Daten zur Untersuchung der genetischen Risikofaktoren beigetragen. Seit Mai 2020 können sich Personen, die mit SARS-COV-2 infiziert waren an der Studie beteiligen – unabhängig davon, ob sie Symptome hatten. Die Teilnehmer geben eine Speichelprobe ab und füllen einen Fragebogen aus. Zusätzlich wurden durch Zusammenarbeit mit weiteren Kliniken auch schwerbetroffene Patientinnen und Patienten für die Studie gewonnen.
“Das breite Spektrum an Symptomen unserer Studienteilnehmer:innen ermöglicht es uns, genetische Risikofaktoren für verschiedene Aspekte der COVID-19-Erkrankung zu untersuchen”, sagt Dr. Kerstin Ludwig, Emmy-Noether Gruppenleiterin am Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn, die die BoSCO-Studie leitet. “Die nun erhaltenen Ergebnisse sind auf mehreren Ebenen relevant: Zum einen ermöglichen sie, die molekularen Vorgänge während der Corona-Infektion besser zu verstehen. Zum anderen können sie aber in Perspektive auch dazu beitragen, unter Infizierten diejenigen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf frühzeitig zu erkennen”, betont Prof. Dr. Markus Nöthen, Direktor des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Bonn und Co-Autor der Studie. Er ist Mitglied des Exzellenzclusters ImmunoSensation2 und des Transdisziplinären Forschungsbereiches „Leben und Gesundheit“ der Universität Bonn.
Erheblicher Spielraum für Verbesserungen bei COVID-19
Ben Neale vom Broad Institute in den USA und Co-Senior-Autor der Studie betont, dass Impfstoffe zwar einen Schutz gegen die Infektion bieten würden. Es gebe aber noch erheblichen Spielraum für Verbesserungen bei der COVID-19-Behandlung, die durch genetische Analysen weiterentwickelt werden können. Darüber hinaus könnte eine Verbesserung der Behandlungsansätze dazu beitragen, die Pandemie in eine endemische Krankheit umzuwandeln. Diese wäre dann eher lokal begrenzt und könnte in der Bevölkerung in geringer, aber konstanter Häufigkeit auftreten – ähnlich wie die Grippe.
Beteiligte Institutionen und Förderung:
Unter Federführung der Universität Bonn waren an der Studie folgende deutsche Institutionen beteiligt: Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, Universität Duisburg-Essen, Universität des Saarlandes, Universität zu Köln, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Medizinische Hochschule Hannover.
Die Koordinierung zwischen den deutschen Institutionen wurde durch die Deutsche COVID19-Multiomics-Initiative unterstützt. Diese erhält finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).
Publikation: COVID-19 Host Genetics Initiative: Mapping the human genetic architecture of COVID-19, Nature, https://doi.org/10.1038/s41586-021-03767-x