“Ich bin ein Held ohnegleichen”, lautet eine weitere Inschrift. Prof. Morenz ist davon überzeugt, dass die Betonung der Männlichkeit zum einen Stärke gegen potenzielle Feinde, aber auch Voraussicht und Weisheit ausdrücken sollte. Anchtifi rückte sich geschickt in die Nähe der Götter Horus und Hemen, obwohl er kein Pharao, sondern aus heutiger Sicht eher so etwas wie ein regionaler “Warlord” war. “Ich bin Anfang des Menschen und Ende der Menschen” – diesen messianischen Anspruch hinterließ der selbsternannte Anführer nicht gerade bescheiden auf einem der 30 Pfeiler seiner Felsgrabanlage. Diese befindet sich im Süden Ägyptens, etwa 30 Kilometer südlich vom heutigen Ort Luxor.
Im Vergleich zu anderen altägyptischen Texten wirkt der Tenor der Selbstpräsentation für moderne Leser nahezu verstörend. “Einzigartig” nennt sie Morenz. Die Inschriften auf den Säulen sind autobiografisch gehalten und nach den Erkenntnissen des Wissenschaftlers mythisch verklärt. Damit wollte der selbsternannte Herrscher Respekt und Ehrfurcht einflößen. Er scheute keine Mühen. “Zum Ausdruck des Neuen wurde sogar ein neues Zeichen entwickelt: die Hieroglyphe Krokodilsschwanz”, berichtet Morenz. “Sie steht für Zerstörungspotenzial.”
Nubische Söldner waren eine Machtbasis
In einer Zeit, in der der pharaonische Zentralstaat nach mehreren Jahrhunderten scheinbarer Stabilität immer mehr in regionale Mächte zerfiel, inszenierte sich Anchtifi als “Liebling der Götter” und als “starker Kerl”. Mit diesen Zuschreibungen wollte er in seiner Region für den absoluten Neubeginn stehen. Die Inschriften des Felsengrabes beziehen sich auch auf schlimme Bürgerkriegserfahrungen. Anchtifi will sie überwinden und eine neue Ordnung etablieren. Das hat einen realen Hintergrund: Am Ende des 3. Jahrtausends operierten Nubier als Söldner in den verschiedenen kleineren Machtzentren. “Die Krieger waren eine wichtige Machtbasis für Anchtifi”, erläutert Morenz.
Großspuriges Prahlen nach göttlichem Plan
“Aus meiner Sicht spricht vieles dafür, dass es sich in dieser Radikalität nicht nur um `Groß-Sprech´ handelt, sondern dass Anchtifi sich tatsächlich als Retter und Erlöser sah”, sagt Morenz. Die Texte seien absolut einzigartig im ägyptischen Textuniversum. Das großspurige Prahlen in der Selbst-Präsentation Anchtifis habe System und zeige die völlig ungewöhnliche Überhöhung seiner Person. Es spreche viel dafür, dass die provokanten Textpassagen keine verbalen Ausrutscher sind. Sie sind vielmehr schlüssig formuliert und folgen dem göttlichen Plan, sich als Befreier zu positionieren.
Morenz befasst sich seit seiner Studienzeit mit Anchtifi
“Wegen der extremen Besonderheiten habe ich die Inschriften lange nicht in ihrer Radikalität wahrgenommen”, fasst Morenz zusammen, der sich bereits seit seiner Studienzeit in Halle und Leipzig mit Anchtifi befasst. Von 2002 bis 2004 war der Wissenschaftler auch an Ausgrabungen der Liverpooler archäologischen Mission beteiligt. Morenz kam im Lauf der Jahre immer wieder auf die Texte zurück und diskutierte sie mit Fachkolleginnen und -kollegen. Die Forschungen gehen gemeinsam mit dem Liverpooler Team weiter und sind auch am Exzellenzcluster der Universität “Bonn Center for Dependency and Slavery Studies” (BCDSS) verortet.
“Zunächst wirkte die Selbstpräsentation auf sieben Säulen des Felsgrabes allein wie großspuriges Prahlen”, berichtet Morenz. “Aber die neuartige Rolle seiner messianischen Über-Männlichkeit wurde wohl tatsächlich für Anchtifi konzipiert”, zieht der Wissenschaftler ein Fazit. Nach ausgiebiger Befassung mit Anchtifi steht für Morenz fest: Einem solchen Machtmenschen und Egomanen würde er lieber nicht begegnen. Doch auch mehr als 4.000 Jahre nach Anchtifi gibt es noch diesen Typus. Morenz: “Mir kommen dabei unsere neuen Autokraten in den Sinn.”