Die Astrochemie erforscht chemische Reaktionen unter den extremen Bedingungen im Weltraum. Dabei geht es einerseits darum, sogenannte Reaktionsnetzwerke – also chemische Reaktionen, die aus mehreren einzelnen bestehen – und die Evolution komplexer Materie über lange Zeiträume zu verstehen. Andererseits bieten Moleküle ein einzigartiges Instrument, um verschiedenste kosmische Umgebungen aus der Ferne zu untersuchen. Gelingt es, die chemischen Reaktionsnetzwerke im Zusammenspiel mit der physikalischen Umgebung zu modellieren, können Rückschlüsse auf die physikalische Umwelt gezogen und unser Verständnis davon, wie Galaxien, Sternensysteme und Planeten entstehen, erweitert werden. Das Forschungsfeld verbindet so die Astrophysik mit der Chemie – Themen, die die Mitglieder verschiedener Disziplinen in dem Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) ”Matter” der Universität Bonn untersuchen.
Eine Pionierin auf dem Gebiet der Modellierung astrochemischer Reaktionsnetzwerke ist die Astrochemikerin Prof. Dr. Serena Viti vom Leiden Observatory der Universität Leiden, die seit August als designierte Hertz-Professorin für Astrochemie an der Universität Bonn tätig ist. „Sie hat die Techniken der Astrochemie auch auf Objekte außerhalb unserer Galaxie ausgedehnt und damit ganz neue Bereiche im Kosmos für die astrochemische Analyse erschlossen“, sagt Prof. Sebastian Neubert, Sprecher des TRA „Matter“.
Ideale Werkzeuge, um das Universum zu untersuchen
Zwei Aspekte reizen die Astrochemikerin besonders an ihrem Forschungsfeld: „Wie weit kann chemische Komplexität im Weltraum stattfinden? Es ist nicht einfach für Moleküle, unter solch rauen Bedingungen zu überleben, und doch haben wir über 300 Moleküle entdeckt. Letztlich sind dies die Moleküle, die am Prozess der Stern- und Planetenbildung beteiligt sind“, erzählt Serena Viti. „Zum anderen sind Moleküle hervorragende Werkzeuge, um die Physik, Chemie und Dynamik des Universums zu untersuchen.“
In den kommenden zwei Jahren wird Prof. Serena Viti, die Professorin für Astronomie am Leiden Observatorium an der Universität Leiden ist, bereits anfangen, einige Stunden an der Universität Bonn zu forschen und zu lehren. Dabei werden zwei Hauptfragen im Fokus stehen: Wie bilden sich große Moleküle im Weltraum und was sind ihre Rolle bei der Stern- und Planetenbildung? Und wie kann die Interpretation von Molekülbeobachtungen optimiert werden, um die Entstehung und Entwicklung von Galaxien zu verstehen?
Die Astrochemikerin legt damit die Grundlagen, um ab August 2026 die Hertz-Professur in der TRA „Matter“ an der Universität Bonn zu übernehmen – eine Position, die ganz ihren Vorlieben entspricht: „Ich liebe es, an der Schnittstelle zwischen Astronomie, Chemie und Physik zu arbeiten. In letzter Zeit hat unsere Arbeit auch von den großen Fortschritten im maschinellen Lernen sehr profitiert. Der Schlüssel zu meiner Forschung ist die Frage, wie – für Astronomen – große Moleküle im Weltraum existieren können. Dieses Problem können nur Astronomen, experimentelle und theoretische Chemiker und Datenwissenschaftlern gemeinsam bewältigen.“
Prof. Vitis Forschung ergänzt auch ideal die Expertise für die beantragte neue Exzellenz-Clusterinitiative ”Our Dynamic Universe”, an der sie mitwirken wird. „Our Dynamic Universe“ beschäftigt sich mit der grundlegenden Frage, wie sich Galaxien mit der Zeit entwickeln. Vitis Forschung trägt durch das Aufspüren und Interpretieren von Molekülen in Galaxien dazu bei, die Geschichte dieser Galaxien zu entschlüsseln.
Über die designierte Hertz-Professorin
Prof. Serena Viti hat an der Queen Mary University of London 1994 ihren Bachelor in Astrophysik absolviert; 1997 erlangte sie ihren Doktorgrad in Astronomie am University College London (UCL). Es folgten Stationen am UCL sowie am Interplanetarischen Institut für Weltraumphysik (IFSI) in Rom, bevor sie 2012 zur Professorin am UCL berufen wurde. Ab 2016 leitete sie dort die Astrophysik-Gruppe. Seit Juni 2020 ist sie Professorin für Astrophysik an der Universität Leiden in den Niederlanden; von 2020 bis 2023 war sie auch am UCL als Professorin für Astrophysik tätig. Im Oktober 2023 verleiht ihr die UCL den Titel als Honorary Professor. Im August 2024 begann Serena Viti ihre Stelle als designierte Hertz-Professorin an der Universität Bonn.