Bei Biohybriden handelt es sich um Strukturen, die teils biologisch und teils künstlich hergestellt sind. „Wir haben es hier mit einem zukunftsträchtigen neuen Forschungsfeld zu tun, das einen Potenzialbereich der Chemie darstellt und das wir in der TRA ,Matter‘ etablieren wollen“, sagt Prof. Dr. Peter Vöhringer, Sprecher des Transdisziplinären Forschungsbereichs „Bausteine der Materie und fundamentale Wechselwirkungen“ (TRA ,Matter‘) der Universität Bonn. Ziel ist es, hybride Systeme herzustellen, bei denen ein synthetischer, für eine bestimmte Funktion maßgeschneiderter Baustein an eine natürliche biologische Komponente geknüpft ist. Das können zum Beispiel Proteine, Nukleinsäuren oder Biomembranen sein. „Wir versprechen uns von solchen Hybridstrukturen verbesserte Funktionalität in zahlreichen Schlüsseltechnologien wie zum Beispiel der chemischen Katalyse, der Energiekonversion oder der molekularen Sensorik“, betont Peter Vöhringer.
Nachwuchs verstärkt fächerübergreifende Forschung
„Alena Khmelinskaia und Patrycja Kielb sind zwei herausragende Wissenschaftlerinnen, die an der Schnittstelle verschiedener Fächer kreative neue Forschungsansätze entstehen lassen. Deswegen freuen wir uns sehr, dass wir sie als Argelander-Professorinnen gewinnen konnten“, sagt Prof. Dr. Andreas Zimmer, Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs der Universität Bonn. „Die Professuren sind ein ganz wichtiger Teil des transdisziplinären Konzepts unserer Universität.“
Das Ziel der Argelander-Professuren (benannt nach dem Bonner Astronomen Friedrich Wilhelm August Argelander, †1875) ist es, das Forschungsprofil der im Zuge der Exzellenzförderung etablierten Transdisziplinären Forschungsbereiche an den Schnittstellen zwischen Disziplinen systematisch auszubauen. Nachwuchsforschende erhalten dadurch die Möglichkeit, ihre unabhängige akademische Karriere aufzubauen.
„Für mich sind die Berufungen der Aufbruch in eine neue Entwicklung in der Fachgruppe Chemie der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät“, sagt Peter Vöhringer. „Zusammen mit einer Reihe visionärer Köpfe in der Fachgruppe und im Transdisziplinären Forschungsbereich arbeiten wir daran, neue Forschungsfelder zu erschließen und innovative Projekte zu starten.“
Design und Selbstorganisation von Proteinen
Die Biophysikerin Alena Khmelinskaia beschäftigt sich im LIMES-Institut der Universität Bonn damit, wie sich Proteine selbst organisieren – ein allgegenwärtiges Phänomen in allen Bereichen des Lebens, auch bei Viren. Proteinbausteine sind so programmiert, dass sie durch das Zusammenwirken von Molekülen miteinander interagieren und viele verschiedene Architekturen annehmen, die von unzähligen Kristallen und Fäden bis hin zu dreidimensionalen Baugruppen reichen. Die physikalischen Wechselwirkungen, die der Selbstorganisation von Proteinen zugrunde liegen, möchte Alena Khmelinskaia mit ihrer Forschungsgruppe entschlüsseln. Dazu kombiniert sie moderne theoretische Berechnungsverfahren, Versuche im Reagenzglas und biophysikalische Methoden. Es entstehen neuartige Protein-Nanopartikel, die es in der Natur noch nicht gibt. „Diese Proteine sind im Vergleich zu ihren natürlichen Gegenstücken sehr stabil und unempfindlich gegenüber Veränderungen“, sagt Alena Khmelinskaia. „Das macht sie zu attraktiven Werkzeugen, um das Zusammenspiel von Wechselwirkungen beim Bau von proteinbasierten Materialien zu untersuchen“. Die 30-Jährige promovierte 2018 am Max-Planck-Institut für Biochemie und war zuletzt als Postdoktorandin am Institut für Proteindesign an der University of Washington tätig.
„Das Design neuartiger Proteinkomplexe ist ein hochspannendes Forschungsgebiet mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten an den Schnittstellen zwischen Biochemie, Biomedizin, Biophysik und theoretischer (Bio)chemie“, sagt Prof. Dr. Günter Mayer, Mitglied in den TRAs `Matter´ und `Life & Health´ sowie Forschungsgruppenleiter am LIMES-Institut. „Dr. Khmelinskaias Arbeiten bieten exzellente Möglichkeiten, um neue Kooperationen mit Kolleginnen und Kollegen innerhalb der TRAs `Matter´ und `Life & Health´ einzugehen und neue innovative Forschungsrichtungen im Bereich der Biohybride an der Universität zu etablieren.“
Zusammenspiel von Physik und Biochemie
Die Biophysikerin Patrycja Kielb, deren Professur am Institut für Physikalische und Theoretische Chemie des Fachbereichs Chemie angesiedelt ist, interessiert sich dafür, wie die Natur komplizierte Redoxprozesse ausführt – also chemische Reaktionen, bei denen Elektronen von einem Reaktionspartner auf einen anderen übertragen werden. Solche Transformationen sind für Schlüsselprozesse in Umwelt und Leben notwendig, zum Beispiel für den Biomasseabbau oder die Zellatmung, und können für nachhaltige und umweltfreundliche Zukunftstechnologien genutzt werden. Das Herzstück dieser Prozesse in der Natur sind sogenannte Metalloenzyme. Sie beherbergen natürliche Redoxbausteine wie Metallionen und Redoxaminosäuren und sind in der Lage, biochemische Reaktionen optimal durchzuführen. „Mit meiner Forschungsgruppe möchte ich herausfinden, wie wir die unglaubliche Effizienz solcher natürlichen biologischen Systeme nutzen und weiterentwickeln können, um künstliche biohybride Systeme für bioelektronische Geräte zu entwickeln“, sagt Patrycja Kielb. Solche Geräte verbinden Elektroden und biologische Komponenten miteinander und können in der Medizin-, Nano- und Energietechnik Anwendung finden.
„Die Universität Bonn ist für mich der perfekte Ort, um ein multidisziplinäres Labor aufzubauen, und ich freue mich auf viele spannende Kooperationen“, betont Patrycja Kielb. Ihr experimenteller Ansatz kombiniert Protein-Engineering und Biochemie, Biophysik sowie bioanorganische und physikalische Chemie. Die 33-Jährige promovierte 2017 an der Technischen Universität Berlin und war zuletzt Postdoktorandin am California Institute of Technology (Caltech) und der Universität Potsdam.
Finanzierung über WISNA
Die beiden neu besetzen Professuren werden über das Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (WISNA) finanziert. Es handelt sich dabei um insgesamt sechsjährige W1-Professuren mit Zwischen- und Endevaluierung. Bei erfolgreichem Verlauf dient diese sogenannte Tenure-Track-Phase als Sprungbrett auf eine anschließende W2-Professur mit unbefristeter Anstellung.
Transdisziplinäre Forschung an der Universität Bonn
Im Transdisziplinären Forschungsbereich „Bausteine der Materie und fundamentale Wechselwirkungen“ wollen Forschende die Natur auf unterschiedlichen Längenskalen untersuchen, um zu verstehen, wie die Bausteine der Materie miteinander wechselwirken und komplexe Strukturen entstehen. Die beiden neuen Argelander-Professuren in der TRA bauen auch thematische Brücken zu weiteren Transdisziplinären Forschungsbereichen der Universität: dem Transdisziplinären Forschungsbereich „Leben und Gesundheit“ und teilweise auch zu dem Transdisziplinären Forschungsbereich “Innovation und Technologie für eine nachhaltige Zukunft“.