Vor dem Ägyptischen Museum in Bonn am Regina-Pacis-Weg 7 findet sich der neue Gedenkstein für Prof. Dr. Helene Wieruszowski. Der Ort wurde bewusst gewählt: Bis zu ihrer Zerstörung im Jahr 1944 war im Galerieflügel des kurfürstlichen Schlosses die Universitätsbibliothek untergebracht, die ehemalige Arbeitsstätte von Wieruszowski. Doch einen Namen machte sie sich als Mittelalter-Professorin in den USA, berichtet Prof. Dr. Matthias Becher vom Institut für Geschichtswissenschaften: "Das Werk Helene Wieruszowskis zeichnet sich durch eine bemerkenswerte inhaltliche und methodische Breite aus. Sie wäre sicherlich für jede deutsche Universität eine Zierde gewesen."
Der Stolperstein wurde maßgeblich durch die ULB finanziert, die sich im Rahmen eines Projekts zur Ermittlung von NS-Raubgut auch um eine erneute kritische Bearbeitung der Geschichte des Hauses in der NS-Zeit bemüht. "Im Rahmen der Provenienz-Forschung an der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn blickt man nicht nur auf das Thema Raubgut, sondern auch auf die Menschen dahinter: die Täter*innen und Opfer in der Zeit des Nationalsozialismus", erklärt ULB-Direktor Dr. Ulrich Meyer-Doerpinghaus. "Helene Wieruszowski wurden nicht nur in ihrem Werdegang als Forscherin viele Steine in den Weg gelegt, sondern nach 1933 auch das Recht auf Arbeit genommen. Doch trotz aller Umstände hielt sie an ihrer Forschung und ihrem Ziel fest." Mit dem Stolperstein möchten ULB und Universität Bonn an ihren Werdegang erinnern. Es ist einer der ersten Stolpersteine in Bonn, die von den Rechtsnachfolgern früherer Dienstgeber für verfolgte Mitarbeitende gestiftet wurden. Die Verlegung wurde durch die Gedenkstätte übernommen, die sich in Bonn um die Gedenksteine kümmert. Vor Ort vertreten waren die wissenschaftliche Leiterin Astrid Mehmel und der wissenschaftliche Mitarbeiter Björn Dzieran der Gedenkstätte.
Die Verlegung des Steins fand am 13. Dezember statt, dem 130. Geburtstag Wieruszowskis. Bei der begleitenden Gedenkveranstaltung mit rund 70 Teilnehmenden, durch die Historikerin Prof. Dr. Andrea Stieldorf führte, erinnerte Projektmitarbeiter Tobias P. Jansen an Leben und Wirken der Wissenschaftlerin, insbesondere mit Blick auf ihre Jahre in Bonn in den 1920er und 1930er Jahren. Wieruszowski galt als äußerst intelligente Frau. Doch habilitieren konnte sie sich nicht: Nach ihrer Promotion 1918 wurde ihr Habilitationswunsch von der Universität Köln abgelehnt mit Verweis auf ihr Geschlecht: Die Philosophische Fakultät hielt "die Habilitation einer zweiten Dame in Geschichte nicht für opportun“. Bezüglich eines zweiten Versuchs in Bonn im Jahr 1932 gibt Hannah Arendt, die später zeitgleich mit Wieruszowski im New Yorker Exil weilte, an, man habe sie wegen ihrer jüdischen Herkunft verweigert. Vor Ort vertreten waren die wissenschaftliche Leiterin Astrid Mehmel und der wissenschaftliche Mitarbeiter Björn Dzieran.
Über Helene Wieruszowski
Helene Wieruszowski kam am 13. Dezember 1893 in Elberfeld zur Welt. Ihr Vater, Alfred Ludwig Wieruszowski, bekleidete das Amt des Senatspräsidenten am Oberlandesgericht und war später Honorarprofessor an der Universität in Köln. Das Elternhaus galt als äußerst progressiv in Bezug auf Frauenbildung und förderte sie. Nach ihrem Abitur in Köln begann sie 1913 ihr Studium in Geschichte, Germanistik und Philosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sie setzte ihr Studium in Heidelberg, Bonn und Berlin fort. 1918 promovierte sie in Bonn bei Wilhelm Levison mit ihrer Arbeit über "Die Zusammensetzung des gallischen und fränkischen Episkopats bis zum Vertrag von Verdun". Sie war eine der ersten Frauen, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland promovieren konnten.
Nachdem ihr die Habilitation in Köln verwehrt blieb, legte sie das Staatsexamen ab, um Lehrerin zu werden. Ihr Referendariat musste sie nach dem Tod der Mutter 1920 abbrechen, um den väterlichen Haushalt zu führen und die Erziehung der jüngeren Schwester zu übernehmen. Anstatt den Weg ins Lehramt fortzusetzen, nahm sie verschiedene Positionen im wissenschaftlichen Bereich an. So arbeitete sie von 1922 bis 1924 als Forschungsassistentin bei der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde in Köln und von 1924 bis 1926 am Preußischen Historischen Institut in Rom. 1928 begann sie als Bibliothekarin an der Universitätsbibliothek in Bonn zu arbeiten und nebenbei zu forschen. 1932 versuchte sie sich erneut zu habilitieren, diesmal in Bonn. Obwohl sie protestantisch getauft und erzogen worden war, griff die rassistische NS-Gesetzgebung: 1933 wurde sie beurlaubt und am 1. Februar 1934 aus ihrer Position als Bibliothekarin entlassen.
Sie versuchte vergeblich, Anstellungen im In- und Ausland an deutschen Einrichtungen zu finden. Ohne große Netzwerke oder finanzielle Unterstützung führten sie ihre Forschungen nach Spanien und Italien, bis sie 1940 in die USA emigrierte. Dort lehrte sie an verschiedenen amerikanischen Universitäten und erreichte letztendlich ihr Ziel, das ihr in Deutschland verwehrt geblieben war: Am City College in New York wurde sie ab 1949 zur assistant professor ernannt und später zur associate professor befördert. Eine Rückkehr nach Deutschland nach Ende des zweiten Weltkrieges konnte sie sich nicht vorstellen: Zu sehr hatte sich das Land durch den Nationalsozialismus und den zweiten Weltkrieg verändert. 1961 wurde sie emeritiert und setzte ihre Forschungen über Politik und Kultur im mittelalterlichen Spanien und Italien fort. 1971 kehrte sie nach Europa zurück und ließ sich bei Lugano nieder. Helene Wieruszowski verstarb am 9. November 1978 in Sorengo.
Schwerpunkt ihrer Forschung war zu Beginn, wie Gerechtigkeit, Moral und Herrschaftsanspruch vor dem 16. Jahrhundert verhandelt wurden. Im Zentrum stand dabei die Frage nach dem „Machiavellismus vor Machiavelli“. Der politische Theoretiker und Philosoph Niccolò Machiavelli hatte in seinem 1532 veröffentlichten "Il Principe" (der Fürst) den Begriff und die Vorstellung der Staatsräson in die politische Diskussion eingeführt, mit dem Ziel, den Staat um jeden Preis zu erhalten. Später konzentrierte sie sich insbesondere auf antipäpstliche Publizistik Friedrichs II. und Philipps des Schönen.
Über Stolpersteine
Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das im Jahr 1992 begann. Mit im Boden verlegten 10x10 Zentimeter großen Gedenksteinen soll an die Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus (NS-Zeit) verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Sie werden meist vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der NS-Opfer niveaugleich in das Pflaster beziehungsweise den Belag des jeweiligen Gehwegs eingelassen.
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