20. Dezember 2023

Die Geburtsstätten von Sternen in der Whirlpool-Galaxie Die Geburtsstätten von Sternen in der Whirlpool-Galaxie

Forschende kartieren erstmals großflächig das dichte, kalte Gas in Sternkinderstuben einer Nachbargalaxie

Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) und unter Beteiligung der Universität Bonn hat das kalte und dichte Gas zukünftiger Sternkinderstuben in einer bislang unübertroffenen Detailschärfe in einer unserer Nachbargalaxien kartiert. Die Daten ermöglichen den Forschenden erstmals, die Bedingungen im Gas während der Frühphasen der Sternentstehung außerhalb der Milchstraße auf Größenskalen von einzelnen Sternentstehungsgebieten im Detail zu untersuchen. Die Ergebnisse sind nun in dem Journal Astronomy & Astrophysics veröffentlicht worden.

Diese Illustration zeigt die Verteilung der Strahlung des Diazenylium–Moleküls (Falschfarben) in der Whirlpool-Galaxie im Vergleich mit einem optischen Bild.
Diese Illustration zeigt die Verteilung der Strahlung des Diazenylium–Moleküls (Falschfarben) in der Whirlpool-Galaxie im Vergleich mit einem optischen Bild. - ie rötlichen Bereiche im Foto sind leuchtende Gasnebel mit heißen, massereichen Sternen. Sie durchziehen dunkle Zonen aus Gas und Staub in den Spiralarmen. Das Diazenylium in diesen dunklen Regionen deutet auf besonders kalte und dichte Gaswolken hin. © Bild: Thomas Müller (HdA/MPIA), S. Stuber et al. (MPIA), NASA, ESA, S. Beckwith (STScI) und das Hubble Heritage Team (STScI/AURA)
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Paradoxerweise beginnt die Entwicklung von heißen Sternen in einigen der kältesten Bereiche des Universums, nämlich in dichten Wolken aus Gas und Staub, die ganze Galaxien durchziehen. „Um die Frühphasen der Sternentstehung zu untersuchen, in denen sich Gas allmählich verdichtet, um schließlich Sterne zu produzieren, müssen wir diese Bereiche zunächst finden“, sagt Sophia Stuber, Doktorandin am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg und Erstautorin des Forschungsartikels. „Dafür vermessen wir gewöhnlich die Strahlung bestimmter Moleküle, die besonders häufig in diesen sehr kalten und dichten Zonen vorkommen.“ Astronominnen und Astronomen greifen dafür gewöhnlich auf Moleküle wie HCN (Blausäure oder Cyanwasserstoff) und N2H+ (Diazenylium) als chemische Sonden zurück.

Moleküle als chemische Sonden

Das große Beobachtungsprogramm SWAN (Surveying the Whirlpool at Arcsecond with NOEMA) ermöglichte den Forschenden nun, diese Messungen über einen weiten Bereich in einer anderen Galaxie vorzunehmen – bisher waren sie auf unsere Milchstraße beschränkt. Mit dem Northern Extended Millimeter Array (NOEMA), einem Radiointerferometer in den französischen Alpen, will das SWAN-Team die Verteilung der Strahlung von mehreren Molekülen in den inneren 20.000 Lichtjahren der Whirlpool-Galaxie (Messier 51) studieren. Zu den 214 Stunden Beobachtungszeit aus diesem Programm kommen noch etwa 70 Stunden aus anderen Beobachtungskampagnen mit dem 30-Meter-Einzelteleskop in Südspanien hinzu, die die Daten ergänzen.

Prof. Dr. Frank Bigiel vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn ist einer der Projektleiter von SWAN: „Die Spektrallinien der unterschiedlichen Moleküle erlauben uns gezielt Rückschlüsse auf die physikalischen Bedingungen des Gases zu ziehen, beispielsweise auf die Gasdichten. Damit können wir im Detail untersuchen unter welchen Bedingungen im interstellaren Medium sich in Galaxien neue Sterne bilden können. Zum ersten Mal können wir nun über große Bereiche einer Galaxie solche Untersuchungen vornehmen – und das in einer bisher unerreichten Auflösung, so dass wir auch einzelne Sternentstehungsgebiete unterscheiden können.“

Gaseigenschaften hängen von der Umgebung ab

In der jetzt veröffentlichten Studie haben die Forschenden sich auf die Moleküle Cyanwasserstoff und Diazenylium konzentriert. Da wir diese Galaxie in einer Entfernung von nur rund 28 Millionen Lichtjahren sehen, lassen sich sogar Merkmale einzelner Gaswolken in so unterschiedlichen Bereichen wie dem Zentrum und den Spiralarmen untersuchen. „Diesen Umstand nutzten wir, um herauszufinden, wie gut die beiden Gase die dichten Wolken in dieser Galaxie für uns aufspüren, und ob sie gleich gut dafür geeignet sind“, erklärt Stuber.

Während die Intensität der Strahlung von Cyanwasserstoff und Diazenylium über die Spiralarme hinweg in gleichem Maße ansteigt und abfällt und somit gleich gute Ergebnisse für die Bestimmung der Gasdichte liefert, finden die Astronominnen und Astronomen im Zentralbereich der Galaxie eine deutliche Abweichung. Im Vergleich zum Diazenylium steigt die Helligkeit der Emission des Cyanwasserstoffs dort stärker an. Es scheint dort also offenbar einen Mechanismus zu geben, der den Cyanwasserstoff zusätzlich zum Leuchten anregt, das Diazenylium aber nicht. Das Team vermutet, dass der aktive galaktische Kern in der Whirlpool-Galaxie dafür verantwortlich sein könnte. Dabei handelt es sich um eine energiereiche Zone rund um das zentrale massereiche Schwarze Loch. Bevor das Gas in das Schwarze Loch fällt, bildet es eine Scheibe aus, wird auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigt und durch Reibung auf Tausende Grad aufgeheizt. Dabei sendet es intensive Strahlung aus. Diese könnte in der Tat teilweise für eine zusätzliche Emission der Cyanwasserstoff-Moleküle sorgen. „Was aber genau den Unterschied der beiden Gase ausmacht, müssen wir noch erforschen“, ergänzt Dr. Eva Schinnerer, Forschungsgruppenleiterin am MPIA und ebenfalls SWAN-Projektleiterin.

Eine Herausforderung, die sich lohnt

Es scheint also, dass zumindest im Zentralbereich der Whirlpool-Galaxie Diazenylium die zuverlässigere Dichtesonde gegenüber Cyanwasserstoff ist. Leider leuchtet es dafür bei gleicher Gasdichte im Durchschnitt fünfmal schwächer, was den Messaufwand erheblich steigert. Die benötigte zusätzliche Empfindlichkeit wird durch eine deutlich längere Beobachtungszeit erkauft.

„Unserer Grundfrage, wie Sterne gebildet werden, sind wir mit diesen Untersuchungen wieder ein Stück nähergekommen“, sagt Professor Bigiel, der Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich „Matter“ der Universität Bonn ist. „Wir können unsere Daten nun mit Beobachtungen über Sternentstehungsaktivitäten zusammenbringen und zu einem Gesamtbild zusammensetzen.“ So könnten langfristig Fragen beantwortet werden wie beispielsweise: Wie dicht muss das Gas sein, damit Sterne entstehen und was sind die besten „Sonden“, bzw. Moleküle, um dieses Gas in Galaxien aufzuspüren?

Neben dem MPIA, der Universität Bonn und dem IRAM sind folgende Institutionen an der Studie beteiligt: Observatoire de Paris, Observatorio Astronómica Nacional/IGN in Madrid, Observatorio de Yebes/IGN in Guadalajara, Ohio State University, Center for Astrophysics, Harvard & Smithsonian, University of California San Diego, Europäische Südsternwarte, Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg, University of Wyoming, Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Tamkang University, Taiwan.

Sophia K. Stuber, Jerome Pety, Eva Schinnerer, et al., “Surveying the Whirlpool at Arcseconds with NOEMA (SWAN). I. Mapping the HCN and N2H+ 3mm lines”, Astronomy & Astrophysics (2023).
DOI: 10.1051/0004-6361/202348205
https://www.aanda.org/component/article?access=doi&doi=10.1051/0004-6361/202348205

Prof. Dr. Frank Bigiel
Argelander-Institut für Astronomie
Universität Bonn
Tel.: +49 228 73-1773
Email: bigiel@astro.uni-bonn.de

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