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22. November 2022

Unerwartete Hirnleistungs-Einbußen bei Epilepsie Unerwartete Hirnleistungs-Einbußen bei Epilepsie

Studie der Universität Bonn: Operationsgewebe weist auf seltene Zweiterkrankung hin

Bei schweren Epilepsien hilft oft nur ein chirurgischer Eingriff - meist mit großem Erfolg. Während sich die Hirnleistung nach einer erfolgreichen Operation langfristig erholen kann, kommt es in seltenen Fällen zu unerwarteten kognitiven Leistungseinbrüchen. Forschende der Universität Bonn haben nun zeigen können, welche Patientinnen und Patienten ein besonders hohes Risiko dafür tragen. Ihre Ergebnisse sind in der Zeitschrift „Annals of Neurology“ erschienen. Sie könnten dazu beitragen, Betroffene zu identifizieren, bei denen man auf eine OP verzichten sollte. Stattdessen ergeben sich für diese Betroffenen neue Behandlungsperspektiven.

Betrachten ein neuropathologisches Großschnittpräparat (von links):
Betrachten ein neuropathologisches Großschnittpräparat (von links): - Prof. Dr. Albert Becker, Dr. Juri-Alexander Witt und Annika Reimers im Institut für Neuropathologie am Universitätsklinikum Bonn. © Foto: Barbara Frommann/Uni Bonn
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Nicht immer lässt sich eine Epilepsie-Erkrankung mit Medikamenten in den Griff bekommen. In diesen Fällen sollten die Betroffenen abklären lassen, ob die Möglichkeit einer Operation besteht. Bei dem Eingriff entfernen Chirurginnen und Chirurgen ganz gezielt schadhaftes Gehirngewebe, von dem die Anfälle ihren Ausgang nehmen. Oft können die Patientinnen und Patienten dadurch vollständig geheilt werden.

„Die Operation hat die Behandlung schwerer Epilepsien revolutioniert“, erklärt Dr. Juri-Alexander Witt, Privatdozent in der Klinik für Epileptologie am Universitätsklinikum Bonn. „Bei epilepsiechirurgischen Eingriffen besteht jedoch immer auch ein Risiko für kognitive Einbußen. Allerdings konnten Langzeituntersuchungen zeigen, dass sich die Hirnleistungen nach einer erfolgreichen Operation langfristig wieder erholen können.“

Unerwartete Leistungseinbrüche Monate nach dem Eingriff

Bei einem kleinen Teil der Betroffenen kommt es jedoch erst Monate oder Jahre nach der OP zu unerwarteten Leistungseinbrüchen. „Wir wollten wissen, woran das liegt“, sagt Annika Reimers, Doktorandin am Institut für Neuropathologie in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Albert Becker.

Zur Hilfe kam den Forschenden dabei die lange Erfahrung, die das Universitätsklinikum Bonn in der Epilepsiechirurgie hat: Sie konnten auf Hirngewebe-Proben zurückgreifen, die zum Teil bereits vor Jahrzehnten entnommen worden waren. „Wir haben insgesamt 24 Proben von Männern und Frauen analysiert, bei denen Monate oder sogar Jahre nach der Operation gravierende kognitive Einbußen festgestellt worden waren“, erklärt Reimers.

Dabei stießen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf eine Auffälligkeit: Bei den Betroffenen war das entnommene Gewebe zum Zeitpunkt der OP durch eine Sekundärerkrankung geschädigt - entweder durch eine Entzündung oder durch Veränderungen wie bei beginnender Demenz. „Bei diesen Vorerkrankungen ist die körpereigene Abwehr besonders aktiv“, sagt Becker, der auch Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Leben und Gesundheit“ ist. „Möglicherweise wird durch das Trauma beim operativen Eingriff das Immunsystem im Gehirn weiter stimuliert, so dass es gesundes Gehirngewebe attackiert.“

Tests liefern Hinweise, wann OP unterbleiben sollte

Die Forschenden wollen nun Proben anderer Epilepsie-Zentren untersuchen, um ihren Befund zu erhärten. Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, Betroffene zu identifizieren, bei denen man auf eine OP verzichten sollte. „Wir haben heute verschiedene diagnostische Methoden an der Hand, die wir dazu nutzen können“, betont Dr. Juri-Alexander Witt.

So absolvieren sämtliche Patientinnen und Patienten vor der Operation eine umfangreiche Batterie psychometrischer Tests, mit denen ihre kognitive Leistungsfähigkeit festgestellt wird. In der Zusammenschau mit Hirnscanner-Aufnahmen und der Untersuchung des Hirnwassers durch eine Rückenmark-Punktion lassen die Ergebnisse zum Teil bereits Rückschlüsse auf Begleiterkrankungen zu. „Wenn solche Tests auf eine Entzündung oder eine beginnende neurodegenerative Erkrankung hindeuten, ergeben sich völlig neue Therapiemöglichkeiten - etwa mit entzündungshemmenden Pharmaka -, die eine Operation unnötig machen können“, sagt Becker. 

Dieser Patient
Dieser Patient - hat eine normalerweise gut operierbare Hippocampussklerose. Bild C zeigt aber auch Veränderungen wie bei beginnender Demenz, die nach der OP zu kognitiven Einbußen führen können. © Aufnahme: Klinik für Epileptologie/Universitätsklinikum Bonn

Die Studie wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie die Else Kröner-Fresenius-Stiftung im Rahmen des Promotionskollegs NeuroImmunology gefördert.

Annika Reimers, Christoph Helmstaedter, Christian E. Elger, Julika Pitsch, Motaz Hamed, Albert J. Becker und Juri-Alexander Witt: Neuropathological insights into unexpected cognitive decline in epilepsy; Annals of Neurology; DOI: https://doi.org/10.1002/ana.265571

PD Dr. Juri-Alexander Witt
Klinik und Poliklinik für Epileptologie am Universitätsklinikum Bonn
Tel. +49 (0)228-287-14436
E-Mail: juri-alexander.witt@ukbonn.de

Prof. Dr. Albert Becker
Institut für Neuropathologie am Universitätsklinikum Bonn
Tel. +49 (0)228-287-11352
E-Mail: albert_becker@uni-bonn.de

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