Prof. Dr. Matthias Braun, der zuvor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg forschte, nahm im Oktober diesen Jahres einen Ruf an die Universität Bonn auf den Lehrstuhl für (Sozial-)Ethik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät an. Kaum angekommen bekam er eine Zusage für einen begehrten Starting Grant des Europäischen Forschungsrats. Den Förderantrag hatte er noch während seiner Erlanger Zeit gestellt und wird die Forschung nun in Bonn fortsetzen und ausbauen. „Ich fühle mich sehr geehrt über diese Auszeichnung und das Vertrauen, das der ERC mir damit entgegenbringt“, sagt der Wissenschaftler.
Den ERC Starting Grant will Braun nutzen, um die Auswirkungen der Digitalisierung im Gesundheitsbereich auf den Menschen genauer zu untersuchen. „Zu den aufkommenden Technologien gehören sogenannte Digitale Zwillinge“, sagt der Ethiker. Bei einem solchen Digitalen Zwilling handelt es sich um Simulationen von bestimmten Körperfunktionen beziehungsweise von Organen, die mittels Methoden Künstlicher Intelligenz erstellt wurden. Diese können in Echtzeit Vorhersagen zu Gesundheitsrisiken und Krankheitsverläufen erstellen und individuelle Feedbacks und Warnungen geben. Der Digitale Zwilling könnte auch für Tests herhalten, ob oder welche Behandlungsmethoden bei einer bestimmten Person erfolgversprechend sind. Ebenso könnten Operationen trainiert und getestet werden.
Ethische Fragen zu Digitalen Zwillingen
Die Entwicklung der sogenannten Präzisionsmedizin bringt außergewöhnliche normative, gesellschaftliche und politische Gestaltungsaufgaben wie Herausforderungen mit sich, die bislang nur ansatzweise erforscht werden. „Neben den aufregenden neuen Möglichkeiten in diesem Bereich der personalisierten Präzisionsmedizin stehen wir grundlegenden Herausforderungen gegenüber“, so Braun. Diese Herausforderungen werden bisher meist isoliert voneinander betrachtet und es gibt bislang keine integrative Theorie, die sich systematisch mit ihnen befasst.
Das ERC-Projekt ändert dies und nimmt vier Herausforderungen in den Blick: (1) Wie verändert sich unser Verständnis von Krankheit und Gesundheit, wenn man von einem Digitalen Zwilling begleitet wird? (2) Wem sollten die digitalen Körper gehören und wer sollte welche Art von Kontrolle über sie haben? (3) Wie wird das Selbstbild beeinflusst, wenn eine Person beginnt, mit ihrem digitalen Körper zu interagieren? (4) Braucht es für unterschiedliche Digitale Zwillinge auch unterschiedliche Rahmenbedingungen und wer hat das Recht auf den Zugang zu personalisierten Prädiktionen? Ausgehend von der Erfahrung der Verletzlichkeit des menschlichen Lebens hat das Projekt SIMTWIN zum Ziel, Rahmenbedingungen abzustecken, welche die Menschenrechte respektieren. Es sollen verantwortliche Konzepte von Zustimmung und Kontrollierbarkeit in Bezug auf Digitale Zwillinge im Gesundheitsberiech entwickelt werden.
Der Weg an die Universität Bonn
Prof. Dr. Matthias Braun ist Mitglied in den Transdisziplinären Forschungsbereichen (TRAs) „Modelling“, „Life and Health“ sowie „Individuals, Institutions and Societies“ an der Universität Bonn. Nach dem Studium der Biologie und der Evangelischen Theologie arbeitete er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Marburg und forschte im Rahmen des von der Max-Planck-Gesellschaft und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gemeinsam geförderten Exzellenzprojekts „MaxSynBio“.
Bis September 2022 leitete er die Nachwuchsforschergruppe „Ethik und Governance neuer Technologien“ an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zum 1. Oktober 2022 hat er die Leitung des Lehrstuhls für (Sozial-)Ethik an der Universität Bonn übernommen. Braun war zu Forschungsaufenthalten in Bergen (Norwegen), Maastricht (Niederlande) und Oxford (UK). Er hat zahlreiche Artikel in hochrangigen wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht, berät nationale und internationale Gremien und Kommissionen und bringt sich mit seinem Team in zivilgesellschaftliche Debatten ein.