Wenn man Wasser erhitzt, verwandelt es sich irgendwann einmal in Dampf. Physiker bezeichnen den Wechsel von flüssig zu gasförmig als Phasenübergang. Wann genau er stattfindet, hängt auch vom Umgebungsdruck ab. Auf dem Gipfel der Zugspitze kocht Wasser beispielsweise schon bei knapp 90 Grad. Grund ist der geringere atmosphärische Druck – anders gesagt: die Höhenluft ist „dünner“.
Einen Phasenübergang gibt es nicht nur bei Wasser, sondern auch bei den Bestandteilen der Atomkerne, den Protonen und Neutronen. Zusammen werden sie als Nukleonen bezeichnet (von lateinisch Nucleus = Kern). Im Normalfall verhalten sich Nukleonen wie eine Flüssigkeit: Sie bewegen sich nur langsam und liegen Dank der Kräfte, die zwischen ihnen wirken, relativ dicht und geordnet beieinander. Bei hohen Temperaturen wird ihre Eigenbewegung aber so groß, dass sie aus diesem geordneten Verbund ausbrechen und in die Gasphase übertreten.
1000fach schnellere Berechnung
„Bislang war es nicht möglich, den Phasenübergang der Nukleonen genau zu berechnen“, erklärt Prof. Dr. Ulf Meißner vom Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn. Anders ausgedrückt: Man wusste nicht exakt, bei welchen Kombinationen aus Druck und Temperatur die Nukleonen gasförmig werden. Die Lösung erfordert nämlich so viele komplexe Schritte, dass selbst Hochleistungs-Computer mit ihr überfordert sind. Daher mussten sich die Physiker bislang auf Näherungs-Verfahren verlassen. Die aktuelle Studie, für die Supercomputer des Forschungszentrums Jülich genutzt wurden, ändert das: „Wir haben eine neue Methode entwickelt, die mindestens um den Faktor 1.000 schneller ist“, erklärt Meißner.
Das Verfahren ermöglicht nicht nur die exakte Angabe, wann Protonen und Neutronen in die Gasphase übergehen. Mit seiner Hilfe lässt sich berechnen, wie sich die Kern-Materie unter verschiedensten Bedingungen verhält – auch solchen, die sich auf der Erde nicht nachstellen lassen, wie sie aber etwa im Innern von Neutronensternen herrschen. Bei ihnen handelt es sich um ausgebrannte Sonnen, die unter dem Einfluss ihrer eigenen Masse in sich zusammengefallen sind. Dadurch wurde die Materie in ihnen so stark komprimiert, dass die Elektronen der Atome in die Kerne gedrückt wurden.
Aus diesem Grund sind Neutronensterne enorm dicht: Ein Würfelzucker-großes Stückchen von ihnen würde mehrere Milliarden Tonnen wiegen. Dadurch herrscht in ihnen auch ein extremer Druck, bei gleichzeitig moderater Temperatur. „Unsere Methode erlaubt es, die Eigenschaften der Nukleonen bei diesen Bedingungen vorherzusagen“, erklärt Meißner. „Dadurch ist es etwa möglich, aus Gravitationswellen, wie sie bei der Verschmelzung von Neutronensternen entstehen, verlässlichere Informationen abzuleiten.“
Verzerrungen der Raumzeit erlauben Blick ins Innere der Sterne
Gravitationswellen sind rhythmische Veränderungen der Raumzeit, die durch sie im steten Wechsel gestaucht und gestreckt wird. Sie breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus und entstehen, wenn Massen beschleunigt werden oder ihre Richtung verändern. Ihre Existenz wurde bereits 1915 von Albert Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt. Die Verzerrungen sind jedoch so extrem klein, dass sie erst 100 Jahre danach nachgewiesen werden konnten (die beteiligten Wissenschaftler erhielten dafür 2017 den Nobelpreis). Gravitationswellen werden von Materie nicht absorbiert oder verändert. Daher ermöglichen sie einen unverfälschten Blick auf bestimmte Prozesse im All.
Einer davon ist die Fusion von zwei Neutronensternen. „Dabei werden starke Gravitationswellen erzeugt, die wir auf der Erde messen können“, erklärt Meißner. Beim Fusionsprozess verändern sich Druck und Temperatur in den verschmelzenden Sternen. Diese Prozesse haben Auswirkungen auf die Eigenschaften der Neutronenmaterie, aus denen die Sterne bestehen, und auf die Gravitationswellen, die von ihnen ausgehen. „Ein exaktes Verständnis dieser Zusammenhänge hilft uns, die Wellen besser zu interpretieren“, erklärt Meißner. „Wir können so gewissermaßen in das Innere der Sterne schauen.“
Beteiligte Institutionen und Förderung:
An der Studie waren neben der Michigan State University (USA) die Karamanoglu Mehmetbey University (Türkei), die University of North Carolina, Chapel Hill (USA), das Forschungszentrum Jülich, die Ruhr-Universität Bochum und die Universität Bonn beteiligt. Die Studie wurde unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Transregio-Sonderforschungsbereichs 110, dem BMBF, dem U.S. Department of Energy, der US-amerikanischen National Science Foundation und des Scientific and Technological Research Council der Türkei gefördert.
Publikation: Bing-Nan Lu, Ning Li, Serdar Elhatisari, Dean Lee, Joaquín E. Drut, Timo A. Lähde, Evgeny Epelbaum und Ulf-G. Meißner: Ab Initio Nuclear Thermodynamics. Physical Review Letters, DOI: 10.1103/PhysRevLett.125.192502
Kontakt:
Prof. Dr. Ulf-G. Meißner
Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik, Universität Bonn
Tel: 0228/732365
E-Mail: meissner@hiskp.uni-bonn.de