Wer schon einmal mit dem Handy eine Sprachnachricht verschickt hat, der weiß, wie sehr es dabei auf die Lautstärke ankommt: Wenn man ins Mikro brüllt, klingt die Aufnahme nachher verzerrt und undeutlich. Zu flüstern ist aber auch keine gute Idee - dann ist das Resultat zu leise und ebenfalls schwer verständlich. Bei jedem Konzert und jeder Talkrunde sorgen daher Tontechnikerinnen und -techniker für den perfekten Klang: Sie regulieren die Verstärkung jedes einzelnen Mikros passend zum jeweiligen Eingangssignal.
Die Neuronen im Gehirn können ihre Empfindlichkeit ebenfalls feintunen, und das sogar selbstständig. Wie sie das machen, zeigt eine neue Studie unter Federführung von Universität und Universitätsklinikum Bonn. Die Beteiligten untersuchten dazu Nervenzell-Netzwerke, die unter anderem beim Sehen, Hören und bei Berührungen eine Rolle spielen. Dabei läuft der Reiz zunächst zum sogenannten Thalamus, einer Struktur tief im Zentrum des Gehirns. Von dort wird er dann in die Hirnrinde geleitet und dort weiterverarbeitet.
Jedes Neuron justiert sich selbst
„Die Neuronen in der Hirnrinde werden durch die Signale aus dem Thalamus angeregt, Aktionspotenziale zu erzeugen“, erklärt Prof. Dr. Heinz Beck vom Institut für experimentelle Epileptologie und Kognitionswissenschaften am Universitätsklinikum Bonn. „Das sind kurze Spannungspulse, die dann an andere Stellen im Gehirn weitergeleitet werden. Damit das vernünftig klappt, müssen die Nervenzellen sich auf die Intensität der erregenden Signale einstellen.“
Sie müssen zum Beispiel ihre Empfindlichkeit herunterregeln, wenn die eingehenden Reize sehr stark waren. „Wir haben nun entdeckt, dass ein bestimmtes Enzym namens SLK bei diesem Prozess eine Rolle spielt“, sagt Beck, der auch Sprecher des Transdisziplinären Forschungsbereichs „Leben und Gesundheit“ der Universität Bonn ist. „Es versetzt Nervenzellen in die Lage, ihre eigene Erregbarkeit individuell zu kalibrieren.“ Das ist in etwa so, als gäbe es keine Tontechnik: Stattdessen würden die Mikrophone ihre Empfindlichkeit selbsttätig so einstellen, dass die Aufzeichnung weder zu leise wird noch übersteuert.
„Bei diesem Mechanismus spielen spezielle Nervenzellen eine wesentliche Rolle, die sogenannten Interneurone“, erläutert Dr. Pedro Royero aus Becks Arbeitsgruppe. Er hat mit dieser Studie in der Internationalen Max-Planck-Graduiertenschule promoviert und den größten Teil der Experimente durchgeführt. Interneurone senden hemmende Aktionspotenziale an erregte Nervenzellen. Sie drehen dadurch gewissermaßen an dem Knopf, der ihre Empfindlichkeit reduziert. „Das SLK bestimmt nun, wie sehr dieser Regler durch die Interneurone verstellt werden kann, wie stark ihre Hemmwirkung also ist.“
Es gibt zwei unterschiedliche Typen von Interneuronen. Die einen werden direkt durch die eingehenden Impulse aus dem Thalamus aktiviert. Sie hemmen die Nervenzellen schon, während diese gleichzeitig vom Thalamus erregt werden. Ein anderer Typ wird dagegen erst durch die Aktivität der Nervenzellen in der Hirnrinde angeschaltet - also exakt der Neuronen, die sie nachher hemmen sollen. Sie sind also Teil einer negativen Rückkopplungsschleife. „Interessanterweise ist das SLK bei dieser rückgekoppelten Hemmung nicht aktiv, sondern nur im ersten Fall“, betont Royero.
Neue Einblicke in die Entstehung von Krankheiten
Die Forschenden konnten zudem zeigen, dass bei der Empfindlichkeits-Einstellung bestimmte Gene aktiviert werden. Sie wollen nun genauer untersuchen, welche Rolle diese bei dem Prozess spielen. Interessant ist das auch deshalb, weil das Gleichgewicht zwischen Erregung und Hemmung für die Funktion des Gehirns ausgesprochen wichtig ist. Das zeigt sich zum Beispiel bei der Epilepsie: Die charakteristischen Krampfanfälle entstehen durch eine Übererregung großer Nervenzell-Areale. Tatsächlich zeigen Studien, dass bei manchen Epilepsiepatienten weniger SLK in Nervenzellen gefunden wird als normalerweise. Vielleicht trägt die Studie daher auch zu einem besseren Verständnis der Krankheitsmechanismen bei.