Silizium geht wie sein Verwandter Kohlenstoff in der Regel vier Bindungen zu anderen Atomen ein. Wenn es das tut, bildet sich normalerweise ein Tetraeder. Das Silizium-Atom sitzt dabei im Zentrum, seine Bindungspartner (die sogenannten Liganden) an den Tetraeder-Ecken. Diese Anordnung ist energetisch am günstigsten. Sie stellt sich daher quasi automatisch ein, genau wie eine Seifenblase normalerweise kugelrund ist.
Forscher um Prof. Dr. Alexander C. Filippou vom Institut für Anorganische Chemie der Universität Bonn haben nun siliziumhaltige Moleküle aufgebaut, die so ungewöhnlich sind wie eine würfelförmige Seifenblase. Darin bilden die vier Liganden keinen Tetraeder, sondern ein verzerrtes Quadrat, ein Trapez. Zusammen mit dem Silizium liegen sie in einer Ebene. „Dennoch sind die Verbindungen so stabil, dass sie sich in Flaschen füllen und problemlos wochenlang aufbewahren lassen“, erklärt Dr. Priyabrata Ghana, ehemaliger Doktorand, der inzwischen an die RWTH Aachen gewechselt ist.
Molekulare Exoten sind ungewöhnlich stabil
Die Wissenschaftler waren über diese ungewöhnliche Stabilität selbst überrascht. Dem Grund kamen sie durch eine Modellierung der Moleküle am Computer auf die Spur. Die Liganden gehen auch untereinander Bindungen ein. Dabei bilden sie ein festes Gerüst. Dieses scheint so stark zu sein, dass es ein „Umschnappen“ der Trapez-Anordnung zu einem Tetraeder komplett verhindert. „Laut unseren Computerberechnungen gibt es für die Moleküle keine Struktur, die energetisch günstiger wäre als die planare Trapez-Form“, betont Jens Rump, Doktorand am Institut für Anorganische Chemie.
Die Wissenschaftler haben von den Substanzen Kristalle gezüchtet und diese dann mit Röntgenstrahlung beschossen. Das Röntgenlicht wird dabei an den Atomen gestreut und verändert seine Richtung. Aus diesen Abweichungen lässt sich daher die räumliche Struktur der Moleküle im Kristall berechnen. Zusammen mit spektroskopischen Messungen bestätigte diese Methode, dass Liganden und Silizium bei den neuen Molekülen tatsächlich in einer Ebene liegen.
Die Synthese der exotischen Verbindungen muss zwar unter Schutzgas erfolgen, ist ansonsten aber vergleichsweise einfach. Die Herstellung der Ausgangsstoffe ist dagegen komplex; einer von ihnen wurde erst vor gut zehn Jahren erstmals synthetisiert und war bereits die Quelle für die Synthese mehrerer neuartiger Verbindungsklassen des Siliziums.
Welchen Einfluss die ungewöhnliche Struktur auf die Eigenschaften des für die Elektronikindustrie wichtigen Elements Silizium hat, ist im Moment völlig unklar. Lange Zeit galt jedenfalls die Herstellung derartiger Verbindungen als vollkommen unmöglich.
Förderung:
Die Studie wurde von der Universität Bonn gefördert.
Publikation: Priyabrata Ghana, Jens Rump, Gregor Schnakenburg, Marius I. Arz und Alexander C. Filippou: Planar Tetracoordinated Silicon (ptSi): Room Temperature Stable Compounds Containing Anti-van’t Hoff/Le Bel Silicon; Journal of the American Chemical Society, DOI: 10.1021/jacs.0c11628
Kontakt:
Jens Rump
Institut für Anorganische Chemie der Universität Bonn
Tel.: 0228/73-5805
E-Mail: jens.rump@uni-bonn.de
Prof. Dr. Alexander C. Filippou
Institut für Anorganische Chemie der Universität Bonn
Tel.: 0228/73-2700
E-Mail: akfilipp@uni-bonn.de