Ob die optimale Lösung für Ressourcenverteilung, komplexe medizinische Simulationen oder das Trainieren von neuronalen Netzen: Digitale Anwendungen erfordern immer komplexere Berechnungsmethoden, deren Basis mathematische Grundlagen sind. Am neu eingerichteten Hertz Chair for Mathematics, Modelling and Simulation of Complex Systems wird Prof. László Végh sich mit solchen Optimierungsproblemen beschäftigen. „Die Universität Bonn genießt einen hervorragenden Ruf im Bereich der Mathematik. Aber auch darüber hinaus gibt es an der Universität Bonn hervorragende Gruppen, zum Beispiel im Bereich der mathematischen Ökonomie“, freut sich Prof. Végh über seine neuen Aufgaben.
Der Hertz-Lehrstuhl ist Teil des des Transdisziplinären Forschungsbereichs (TRA) „Modelling“. „Die TRA Modelling umfasst Mitglieder aus vielen Abteilungen und Bereichen. Mein primäres Ziel ist es, Brücken zwischen Mathematik, Informatik und Wirtschaftswissenschaften zu schlagen, mit einem besonderen Fokus auf Algorithmen und Optimierung, und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Gruppen zu fördern."
Bei diskreten Optimierungsproblemen geht es darum unter einer endlichen, aber sehr großen Menge von Möglichkeiten die beste zu finden. „Man kann nicht auf eine optimale Lösung des Problems hoffen, aber man kann eine Lösung finden, die garantiert nicht weit vom Optimum entfernt ist“, führt Végh aus. Eines der bekanntesten Optimierungsprobleme ist das Problem des Handlungsreisenden. Dabei soll ein Reisender auf kürzester Strecke mehrere Städte hintereinander besuchen, aber an keiner zweimal vorbeikommen. „Dieses Problem stellt sich nicht nur bei Routing-Problemen von Fahrzeugen, sondern auch in scheinbar entfernten Bereichen wie dem Chip-Design. Das Forschungsinstitut für Diskrete Mathematik an der Universität Bonn hat langjährige und wichtige Industriekooperationen in diesem Bereich“, erklärt László Végh.
An der Universität Bonn liegt sein derzeitiger Schwerpunkt auf der Entwicklung neuer Ansätze für allgemeine mathematische Optimierungsmodelle wie Netzwerkflüsse, konvexe Programme oder lineare Komplementaritätsprobleme. Letzteres ist ein allgemeines Modell, das auch Fragen der Gleichgewichtsberechnung in Spielen und Märkten umfasst. "Ich habe mich auch mit Optimierungsfragen beschäftigt, die sich bei Problemen der fairen Aufteilung und der Ressourcenzuteilung stellen, sowie mit Anwendungen von Methoden des maschinellen Lernens beim Entwurf von Mechanismen."
Über den neuen Hertz-Professor
László Végh studierte Mathematik an der Eötvös Universität in Budapest, wo er im Jahr 2010 auch über „Connectivity augmentation algorithms“ promovierte. Es folgten Aufenthalte als Research Fellow an der Eötvös Universität and der Ungarischen Akademie der Wissenschaften sowie als Postdoc am Georgia Institute of Technology, USA. Seit 2012 ist er Fakultätsmitglied an der London School of Economics and Political Science und wurde 2020 zum ordentlichen Professor im Fachbereich Mathematik ernannt. Seit August 2024 hat László Végh den Hertz-Lehrstuhl für Mathematik, Modellierung und Simulation komplexer Systeme an der Universität Bonn inne.
Seit Anfang August lehrt und forscht der gebürtige Ungar Prof. László Végh an der Hertz-Professur für Mathematics, Modelling and Simulation of Complex Systems. Im Transdisziplinären Forschungsbereich „Modelling“ wird er sich mit Optimierungsproblemen beschäftigen. Dabei freut er sich besonders auf die Lehre und den Austausch mit den Studierenden. Mit ihm sprach Katrin Piecha.
Lassen Sie uns am Anfang beginnen. Wie sind Sie zur Mathematik gekommen?
Ich bin in einer akademischen Familie aufgewachsen, da meine Eltern beide Physiker waren. Mein Vater forderte mich von klein auf mit mathematischen Fragen heraus. Auch die Sekundarschule hatte einen großen Einfluss: In Debrecen, Ungarn, wo ich aufgewachsen bin, besuchte ich eine spezielle Matheklasse. Ich hatte ausgezeichnete Lehrer, die Mathematik auf wirklich faszinierende Weise unterrichteten. Es machte mir Spaß, Probleme und Rätsel zu lösen.
Sie interessieren sich besonders für Algorithmen und Optimierungen. Was erforschen Sie genau?
Bei der Optimierung geht es darum, die beste Lösung unter vielen Möglichkeiten zu finden. Denken Sie zum Beispiel an die Ressourcenzuteilung, bei der es verschiedene Einschränkungen wie Rohstoffe, Arbeit und Zeit gibt. Nun will man den besten Produktionsplan finden. Man könnte aber auch darauf abzielen, den bestmöglichen – oder zumindest ausreichend guten – Zugfahrplan zu finden. Auch das Training neuronaler Netze ist ein sehr umfangreiches Optimierungsproblem, bei dem es darum geht, die Parameter zu finden, die die besten oder sehr guten Ergebnisse liefern. Auch in der Wirtschaft stellen sich viele Optimierungsprobleme, insbesondere in Onlinemärkten. Dabei geht es zum Beispiel darum, Suchmaschinen zu entwickeln, die die besten Treffer finden.
Was ich betrachte, ist dabei die abstrakte mathematische Version. Ich arbeite also nicht direkt mit Anwendungen, sondern betrachte den Kern einer mathematischen Abstraktion.
Was hat Sie dazu bewogen, an die Universität Bonn zu kommen?
Die Universität genießt einen hervorragenden Ruf im Bereich der Mathematik. Einige der besten Studierenden Europas lernen hier. Insbesondere das Forschungsinstitut für Diskrete Mathematik – mein Kerngebiet – hat eine sehr lange Geschichte der Exzellenz. Aber auch darüber hinaus gibt es an der Universität Bonn hervorragende Gruppen, zum Beispiel im Bereich der mathematischen Ökonomie. Mein Hertz-Lehrstuhl bringt diese Gruppen in dem Transdisziplinären Forschungsbereich „Modelling“ zusammen. Diese Kooperationen zwischen den verschiedenen Abteilungen auf- und auszubauen schien mir eine sehr spannende Herausforderung zu sein.
Wenn Sie mit Forschenden aus anderen Bereichen zusammenarbeiten – würden Sie da manchmal gerne mit denen für einen Tag lang tauschen?
Das Gute an der Wissenschaft ist, dass man neue Dinge lernen und seine Interessen ein bisschen verschieben kann. Natürlich gibt es viele Bereiche der Wirtschaft, von denen ich keine Ahnung habe. Aber wenn ich mich mit bestimmten Problemen beschäftige, lerne ich ein wenig über die Theorien, die sie umgeben. Ich kann mich zwar nicht komplett verändern, aber ich kann mir einen „anderen Hut aufsetzen“ und anders denken. Denn natürlich haben Wirtschaftswissenschaftler bei der Betrachtung desselben Problems eine ganz andere Sichtweise als Mathematiker, und es kann sehr interessant sein, mit ihnen zu diskutieren und zu verstehen, wie unterschiedlich wir Dinge betrachten, und daraus zu lernen.
Gibt es ein bestimmtes Optimierungsproblem, an dem Sie arbeiten?
Bei diskreten Optimierungsproblemen haben wir eine endliche Menge von Möglichkeiten und wollen davon die beste finden. Die Menge dieser Möglichkeiten ist astronomisch hoch. Es gibt einen Zweig in der Mathematik, die Komplexitätstheorie, der besagt, dass man nicht wirklich auf eine optimale Lösung des Problems hoffen kann. Aber man kann hoffen, eine Lösung zu finden, die garantiert nicht weit vom Optimum entfernt ist.
Eines solcher der Probleme, an denen ich in der Vergangenheit gearbeitet habe, ist das Problem des Handlungsreisenden. Dabei soll ein Handlungsreisender eine Reihe von Städten besuchen, so dass er keine Station außer der ersten mehr als einmal besucht, seine Reisestrecke möglichst kurz und er an der Ausgangsstation wieder ankommt. Dieses Problem taucht zum Beispiel im Chipdesign auf, weswegen das Forschungsinstitut für Diskrete Mathematik viele Industriekooperationen in diesem Bereich hat.
Für das Problem des Handlungsreisenden gibt es eine Variante, die als asymmetrischer Handlungsreisender bezeichnet wird und bei der die Entfernung oder die Reisezeit von einer Stadt zur anderen in den beiden Richtungen unterschiedlich sein kann. Zum Beispiel könnte eine Stadt sich am Fuße des Hügels befinden und die andere auf dem Gipfel; oder es gibt viele Einbahnstraßen. Für diese Version besteht seit langem die Herausforderung, Algorithmen zu entwickeln, die eine Lösung garantieren, die nahe genug an der bestmöglichen Lösung ist. Mit einigen Kollegen habe ich einen ersten solchen Algorithmus entwickelt. Dieser wurde von Kollegen hier in Bonn weiterentwickelt.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Meine Lieblingsbeschäftigung ist das gemeinsame Nachdenken über mathematische Probleme mit Studierenden und Kollegen vor einem Whiteboard, einer Tafel oder einfach einem Blatt Papier. Meiner Erfahrung nach können die besten Ideen aus solchen Diskussionen hervorgehen.
Freuen Sie sich darauf an der Universität Bonn zu unterrichten?
Ja, sehr sogar. Zu Lehren ist eine meiner Hauptmotivationen. Die Mathematikstudierenden in Bonn genießen einen hervorragenden Ruf. In London habe ich vor allem Einführungskurse unterrichtet. Aber hier in Bonn kann ich Kurse unterrichten, die näher an meiner Forschung und meinen Interessen sind. Ich freue mich darauf, Studierende für die Forschung zu begeistern und mit ihnen zu interagieren.
Was würden Sie Studierenden sagen, die Angst vor Mathematik haben?
Viele Studierende haben Spaß am Lösen von Rätseln und Denksportaufgaben. Das ist ein Ansatz, mit dem man Schülerinnen und Schülern Mathematik näher bringen kann: Wenn sie herausgefordert werden, Rätsel zu lösen, und sie dazu gebracht werden, Konzepte selbst zu entdecken, kann das eine sehr lohnende Erfahrung sein. Gleichzeitig ist diese Art des „Lehrens durch Entdecken“ eine große Herausforderung für Lehrerinnen und Lehrer.
Wie gestaltet sich der Wechsel von England nach Deutschland für Sie und Ihre Familie?
Meine Frau und ich sind mit unseren drei Kindern im Alter von 11, 9 und sechs Jahren von London nach Bonn gezogen. Die Kinder waren von der Idee des Umzugs nicht begeistert: Sie mussten ihre Freunde zurücklassen und die Schule in einer neuen Sprache beginnen. Dennoch fühlte sich Bonn von der ersten Woche an wie Zuhause an. Wir hatten Bedenken, eine so pulsierende Stadt hinter uns zu lassen; gleichzeitig genießen wir das ruhigere Leben in einer schönen Stadt, wohnen in der Nähe von Arbeit und Schule und können überall mit dem Fahrrad hinfahren. Einer unserer Lieblingsorte ist der Botanische Garten. Die Wanderungen an den sonnigen Herbstwochenenden am Venusberg und im Siebengebirge genießen wir sehr.
Vielen Dank für das Gespräch!