„Time after Time“, „Forever Young“ und „An Tagen wie diesen“ – die Pop-Songs, die am Abend des 6. Dezembers durch den Hörsaal I schallten, drehten sich alle um eines: die Zeit. Offenbar hatte die Universität mit dem gewählten Thema einen Nerv getroffen. So viele Menschen wollten an der Veranstaltung „Leben im Raum-Zeit-Kontinuum. Von inneren Uhren im und gegen den Takt“ teilnehmen, dass nicht alle Interessierten in den Raum passten und die Inhalte in einen weiteren Hörsaal per Livestream übertragen wurden. Insgesamt verfolgten 360 Teilnehmende, wie auf der Bühne fünf renommierte Forschende aus Philosophie, Astrophysik, der molekularen Hirnphysiologie und der Medizin das Thema „Zeit“ aus ihrem ganz spezifischen Blickwinkel beleuchteten und gemeinsam darüber diskutierten.
Zeit als gemeinsame Erfahrung
„Wir alle leben und bewegen uns in der Zeit, und dennoch erscheint sie uns als rätselhaft und nur schwer greifbar. Genau deshalb ist sie so faszinierend!“, so Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Hoch, Rektor der Universität Bonn. „Nicht umsonst wird die Zeit in ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen erforscht, natürlich auch hier an der Exzellenzuniversität Bonn. Besonders spannend ist dabei die Frage, wie die Lebewesen auf unserem Planeten, vom Einzeller bis zum Menschen, im Laufe der Evolution ihre Organismen auf das Leben im Raum-Zeit-Kontinuum eingerichtet haben, etwa durch die Ausbildung von Tages- und Nachtrhythmen.“
Die Veranstaltung war der zweite Teil der neuen Reihe „Die Exzellenzuniversität Bonn lädt ein“, zu der alle Interessierten aus Stadt und Region und natürlich auch die Mitglieder der Universität selbst willkommen waren. Durch den Abend führten Cristina Psenner und Caitlin Koch vom Campusradio bonnFM.
Von der Relativitätstheorie über Astrophysik bis zu zirkadianen Genen
Zu Beginn erläuterte Prof. Dr. Dennis Lehmkuhl, Professor für Natur- und Wissenschaftsphilosophie, die Entstehungsgeschichte von Albert Einsteins (1879-1955) Relativitätstheorie und seiner Theorie der Raum-Zeit. Dabei ging er vor allem auch auf die dafür wegweisenden Vorarbeiten von Heinrich Hertz (1854-1894) und Hermann Minkowski (1864-1909) ein, die beide an der Universität Bonn forschten. Prof. Dr. Michael Kramer vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie schloss mit astrophysikalischen Betrachtungen zur Zeit an. Dabei erklärte er unter anderem, warum eine Uhr auf der Spitze des Eifelturms langsamer geht als an den Füßen des Pariser Wahrzeichens.
Prof. Dr. Michael Pankratz, der sich am Life & Medical Sciences Institute (LIMES) mit molekularer Hirnphysiologie und Verhaltensforschung beschäftigt, beleuchtete zirkadiane Gene, die den Tages- und Nachtrhythmus des Menschen bestimmen. Er berichtete auch von einem interessanten Zusammenhang: „Wir messen Zeit anhand unserer Erinnerungen.“ Dies erläuterte er anhand des Schicksals von Henry Gustav Molaison (1926-2008), einem bekannten Fall der jüngeren Medizingeschichte. Molaison verlor 1953 nach einer Hirnoperation sein Kurzzeitgedächtnis vollständig und lebte daher bis zu seinem Lebensende im Alter von 82 Jahren dauerhaft in den Erinnerungen aus seiner Kindheit und Jugend vor der Operation. Die Zeit habe demnach für Molaisons Empfinden, so Pankratz, ab dem 17. Lebensjahr stillgestanden.
Auch Pflanzen haben eine innere Uhr
Dass auch das, was wir gerade erleben, einen großen Einfluss darauf hat, wie wir Zeit wahrnehmen, davon berichtete im anschließenden Podiumstalk Prof. Dr. med. Klaus Fließbach, Oberarzt an der Klinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie des Universitätsklinikums Bonn. In Phasen, in denen wir viele neue, wichtige oder besonders emotionale Erfahrungen machen, vergeht die Zeit während dieser Phasen gefühlt „wie im Flug“. In der Rückschau erscheinen sie uns dann aber als besonders lang. Doch nicht nur Menschen und Tiere haben ein Zeitempfinden, sondern auch Pflanzen, wie Prof. Dr. Ute Vothknecht vom Institut für Zelluläre & Molekulare Botanik (IZMB) erklärte: „Pflanzen wissen, wie viel Uhr es ist!“ Das hat einen evolutionären Vorteil: Erkennt eine Pflanze beispielsweise, dass in einer Stunde die Sonne aufgeht, kann sie sich darauf vorbereiten, bald die Photosynthese zu starten.
Die Impulsvorträge und die Podiumsdiskussion boten also einige verblüffende Erkenntnisse und viel Stoff zum Nachdenken. Am Ende des gelungenen Abends stimmte das Publikum noch über das Thema der nächsten Veranstaltung ab. Am 24.4.2024 lädt die Exzellenzuniversität Bonn erneut ein. Dann im Fokus: „Das Ich und die Anderen – Individuum, Gruppe, soziale Gemeinschaft“.