10. Juni 2021

Der „Sturm-Ernter“ Teilchenforscher Philip Bechtle hat ein Faible für Windenergie

Teilchenforscher Philip Bechtle hat ein Faible für Windenergie

„Wer Wind sät, wird Sturm ernten.“ Aber es muss nicht immer in einem Fiasko enden, wenn Wind herbeigewünscht wird. Der Physiker Dr. Philip Bechtle kann nicht genug davon kriegen, wenn es ordentlich pfeift und tost. Ein Artikel aus der forsch 2021/01.

Bechtle mit Winddrohne
Bechtle mit Winddrohne - Der Physiker Dr. Philip Bechtle mit dem Modell einer Winddrohne. © Thomas Gehrmann
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Fast mutet es ein bisschen wie Science Fiction an: Ein Segelflugzeug zieht vom Wind angetrieben an einem Seil und bewegt sich dabei quer zur Luftströmung immer im Kreis. An den Tragflächen sind Propeller befestigt, die durch den Fahrtwind angetrieben werden und durch Generatoren ein begehrtes Gut liefern: „Grünen“ Strom, der mit einem Kabel zum Boden befördert wird. Diese Idee verfolgt Privatdozent Dr. Philip Bechtle mit großem Engagement.

An der Universität Bonn erforscht der Physiker exotische Teilchen, zum Beispiel Higgs-Bosonen oder Leptoquarks. Der Wissenschaftler wertet Experimente aus, die am Teilchenforschungszentrum CERN in der Nähe von Genf durchgeführt werden. Der Sprung von den kleinsten Teilchen zu den höchsten, windreichen Höhen scheint groß. Aber aus Bechtles Sicht sind sich beide Disziplinen nahe: „In der Teilchenforschung beschäftige ich mich vor allem mit computing-intensiven Aufgaben – und bei dieser Form der Windenergienutzung geht es ebenfalls um Algorithmen.“

Das Segelflugzeug, das den Wind „einfängt“, soll autonom gesteuert sein. Mithilfe eines Autopiloten und zahlreicher Sensoren soll sich die Drohne automatisch in die optimale Lage zu den vorbeiströmenden Luftmassen bringen, um möglichst viel Windenergie in Ökostrom umzuwandeln. Für Bechtle hat diese Idee Charme: „Im Gegensatz zu den Windrädern am Boden braucht es viel weniger Material, um eine solche Drohne zu bauen. Außerdem ist der Wind in größeren Höhen viel stärker.“

Neben dem Segelflugzeug mit den Propellern sieht der Physiker eine weitere Möglichkeit, wie sich die Höhenwinde in Strom verwandeln lassen: Das Flugobjekt verfügt dann über keine Propeller, sondern zieht beim Start ein am Rumpf befestigtes Seil empor, das aus einer Winde herausgezogen wird, in der ein großer „Dynamo“ steckt. Ist das Seil voll ausgezogen, geht der Flieger in den Sinkflug und die Leine schnurrt wieder in die Winde zurück. Mit einem weiteren Manöver erklimmt die Winddrohne erneut atmosphärische Höhen und zieht die Leine heraus.

Chancen für Winddrohnen

Der Wissenschaftler sieht große Chancen der Winddrohnen, macht aber auch eine Lücke bei der Erschließung dieser zukunftsorientierten Energieform aus. Für klassische Garagen-Ausgründungen scheint die Branche nicht zu taugen. „Startups sind darauf angewiesen, mit überschaubarem Kapital möglichst schnell zu einem verwertbaren Prototypen zu kommen“, berichtet er. Das sei bei den Winddrohnen aber schwierig, weil die Technologie noch ganz in den Kinderschuhen steckt. Bechtle: „Wenn eine teure Drohne abstürzt, ist für ein Startup das ganze Kapital vernichtet“, umreißt er die Risiken. Das sei ein wichtiger Grund, warum es nur sehr langsam vorangehe. Der Physiker hat deshalb einen anderen Weg gewählt. Statt riesige Flugobjekte zu kreieren, bedient er sich im Hobbysektor. „Es ist unglaublich, was sich im Modellbau in den letzten Jahren getan hat. Nur noch rund 1.000 Euro kosten ein Modellsegelflugzeug, der Prozessor und die Sensorik, um die Drohne autonom fliegen zu lassen.“ Die Kernaufgabe besteht dann in der Auswahl der Komponenten, dem Zusammenbau und natürlich in der Programmierung – Hauptjob in seinem Beruf.

Bechtle kam vor mehr als fünf Jahren mit solch windigen Ideen in Kontakt. Er war von Anfang an vom theoretischen Potenzial dieser Technologie überzeugt. Bis zur Umsetzung in die Praxis der Stromerzeugung wird es noch ein langer Weg sein. „Doch im Kampf gegen die Klimaerwärmung können Winddrohnen eine wichtige Rolle einnehmen“, ist Bechtle überzeugt. „Wer eine verlässliche Energiequelle braucht, wird in den Höhenwinden fündig.“

Der Physiker berechnete zusammen mit Wissenschaftler:innen der Technischen Universität Delft in den Niederlanden für jeden Ort der Erde, wie viel Wind sich dort „ernten“ lässt. Diese Ergebnisse hat das Team in wissenschaftlichen Journalen veröffentlicht. Bechtle ist wegen dieser Daten optimistisch, dass sich in den nächsten 20 oder 30 Jahren die Versorgung komplett auf regenerative Energien umstellen lässt. „Ich möchte zu einer lebenswerten Zukunft beitragen“, sagt er. Deshalb wagt er weiterhin den Spagat aus Teilchen-Grundlagenwissenschaft und angewandter Windenergie-Nischenforschung.

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