Als Carl Linnaeus sich daran machte, die Pflanzen und Tiere der Welt zu katalogisieren, schlug er vor, dass ihr Ursprung auf einem hohen Berg im Paradies liegt: eine äquatoriale Insel zu der Zeit, als die Urwasser zu versinken begannen. Während Linnaeus' Idee eines einzigen Quellgebiets für alle Organismen bald aufgegeben wurde, würde er aber heute wahrscheinlich Neuguinea als sein Symbol für eine von Leben wimmelnde Paradiesinsel wählen.
Aus artenräumlicher Sicht ist Neuguinea die größte tropische Insel der Welt und dürfte dementsprechend mehr Spezies beherbergen als kleinere äquatoriale Inseln. Seine vogelförmige Gestalt, seine „Kopf-an-Schwanz“-Entfernung entspricht einer Reise von London nach Istanbul, seine Nord-Süd-„Flügelspannweite“ in etwa der Länge Spaniens, und sein West-Ost-„Rückgrat“ trägt die höchste Kordillere zwischen Himalaya und Anden. Sie ist die tektonisch komplexeste Insel der Welt und beherbergt ein Mosaik von Ökosystemen vom Tieflanddschungel bis zu hochgelegenen Grasländern mit Gipfeln, die höher als der Mt. Blanc sind.
Seit dem 17. Jahrhundert haben Botaniker versucht, die in Neuguinea gesammelten Pflanzen zu identifizieren, zu beschreiben und zu benennen. Die Aufbewahrung und systematische Ordnung von Tausenden von Pflanzensammlungen aus der Region, Herbarien wie das Papua New Guinea Forest Research Institute (Papua-Neuguinea), Herbarium Bogoriense (Indonesien), Naturalis Biodiversity Center (Niederlande) oder der Royal Botanic Gardens Kew (Grossbritannien) wurden zu botanischen Mekkas, die jeder angehende Botaniker Neuguineas mindestens einmal in seinem Leben besuchen wollte.
Das „letzte Unbekannte“
Doch trotz bemerkenswerter Fortschritte in den letzten Jahrzehnten bei der Untersuchung der Taxonomie vieler Pflanzen Neuguineas blieben die Publikationen verstreut, da die Botaniker jeweils an „ihrer“ Pflanzengruppe arbeiteten und die Ergebnisse entsprechend in unterschiedlichen Artikeln und Büchen publizierten. Deshalb blieb große Unsicherheit darüber bestehen, wie viele Pflanzenarten insgesamt in Neuguinea wuchsen. Tatsächlich war Neuguinea im Vergleich zu anderen Gebieten wie Amazonien, für das kürzlich Pflanzenchecklisten veröffentlicht wurden, das „letzte Unbekannte“.
In dem von der Zeitschrift „Nature“ veröffentlichten Artikel haben 99 Wissenschaftler aus 55 Institutionen die erste von Experten geprüfte Checkliste zu den Gefäßpflanzen Neuguineas und der umliegenden Inseln erstellt. Die Arbeit wurde von Dr. Rodrigo Cámara-Leret geleitet, der zurzeit als Postdoktorand am Labor Bascompte lab der Universität Zürich (UZH) tätig ist. Weitere Autoren der UZH sind Dr. Michael Kessler (Wissenschaftlicher Kurator des Botanischen Gartens, Zürich) und Prof. Peter Linder (emeritiert, ehemals Direktor des Instituts für Systematische Botanik). Von der Universität Bonn wirkte Prof. Dr. Maximilian Weigend vom Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen an der Universität Bonn mit.
Die Autoren stellten zunächst eine Liste von Pflanzennamen für das Untersuchungsgebiet aus Online-Katalogen, institutionellen Repositorien und von Taxonomen kuratierten Datensätzen zusammen. Mit verschiedenen Qualitätsfiltern wurden die wissenschaftliche Namen bereinigt und dann die resultierende Liste bei Online-Namensstandardisierungsplattformen eingereicht, die regelmäßig in ökologischen Studien verwendet werden. Als nächstes überprüften die 99 taxonomischen, floristischen und monographischen Experten für die Flora Neuguineas die Liste der Originalnamen in ihren jeweiligen Fachgebieten und beurteilten, ob diese Namen von Online-Plattformen korrekt aufgelöst wurden. Schließlich wurde ein unabhängiger Vergleich zwischen der von den Experten akzeptierten Liste und einer in Plants of the World Online für Neuguinea enthaltenen Liste durchgeführt.
Die Analysen in der Studie legten drei Ergebnisse nahe. Erstens verfügt Neuguinea mit 13.634 beschriebenen Arten über die reichste Inselflora der Welt, mit 19 Prozent mehr Arten als Madagaskar und 22 Prozent mehr Arten als Borneo. Zweitens sind 68 Prozent der Pflanzen Neuguineas endemisch, das heißt nur auf dieser Insel zu finden; dieser hohe Grad an Endemismus ist im tropischen Asien unübertroffen. Drittens ist Expertenwissen auch im digitalen Zeitalter unerlässlich: Die reine Auswertung von taxonomischen Online-Plattformen hätte zu einer fälschlicherweise um 22 Prozent zu hohen Artenzahl geführt. Die zahlreichen falschen Angaben, ungültigen Namen und Fehlbestimmungen konnten durch die an der Arbeit beteiligten Spezialisten identifiziert und bereinigt werden.
Publikation: Rodrigo Cámara-Leret, David G. Frodin, Frits Adema, Christiane Anderson, Marc S. Appelhans, George Argent, Susana Arias Guerrero, Peter Ashton, William J. Baker, Anders S. Barfod, David Barrington, Renata Borosova, Gemma L.C. Bramley, Marie Briggs, Sven Buerki, Daniel Cahen, Martin W. Callmander, Martin Cheek, Cheng-Wei Chen, Barry J. Conn, Mark J.E. Coode, Iain Darbyshire, Sally Dawson, John Dransfield, Clare Drinkell, Brigitta Duyfjes, Atsushi Ebihara, Zacky Ezedin, Long-Fei Fu, Osia Gideon, Deden Girmansyah, Rafaël Govaerts, Helen Fortune-Hopkins, Gustavo Hassemer, Alistair Hay, Charlie D. Heatubun, D.J. Nicholas Hind, Peter Hoch, Peter Homot, Peter Hovenkamp, Mark Hughes, Matthew Jebb, Laura Jennings, Tiberius Jimbo, Michael Kessler, Ruth Kiew, Sandra Knapp, Penniel Lamei, Marcus Lehnert, Gwilym P. Lewis, Hans Peter Linder, Stuart Lindsay, Yee Wen Low, Eve Lucas, Jeffrey P. Mancera, Alexandre K. Monro, Alison Moore, David J. Middleton, Hidetoshi Nagamasu, Mark F. Newman, Eimear Nic Lughadha, Pablo H.A. Melo, Daniel Ohlsen, Caroline M. Pannell, Barbara Parris, Laura Pearce, Darin S. Penneys, Leon R Perrie, Peter Petoe, Axel Dalberg Poulsen, Ghillean T. Prance, J. Peter Quakenbush, Niels Raes, Michele Rodda, Zachary S. Rogers, André Schuiteman, Pedro Schwartsburd, Robert W. Scotland, Mark P. Simmons, David A. Simpson, Peter Stevens, Michael Sundue, Weston Testo, Anna Trias-Blasi, Ian Turner, Timothy Utteridge, Lesley Walsingham, Bruce L. Webber, Ran Wei, George Weiblen, Maximilian Weigend, Peter Weston, Willem de Wilde, Peter Wilkie, Christine M. Wilmot-Dear, Hannah P. Wilson, John R.I. Wood, Li-Bing Zhang, and Peter C. van Welzen. New Guinea has the world’s richest island flora. August 5th, 2020. Nature, DOI: 10.1038/s41586-020-2549-5.
Pressemitteilung der Universität Zürich: https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2020/Neuguinea.html
10. August 2020
Forscher weisen die reichste Inselflora der Welt nach Forscher weisen die reichste Inselflora der Welt nach
Neuguinea verfügt mit 13.634 beschriebenen Arten über die vielfältigste Inselflora auf der Erde. Das haben 99 Wissenschaftler aus 55 Institutionen herausgefunden, darunter auch Botaniker der Universität Bonn. Die Arbeit wurde von Dr. Rodrigo Cámara-Leret von der Universität Zürich (UZH) geleitet. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlicht.
Die Autoren der Nature-Studie:
- Ganz unten, zweiter von links Prof. Dr. Maximilian Weigend vom Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen an der Universität Bonn.
© UZH
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Die Kalksteinwälder
- Neuguineas.
© Charlie Heatubun
Karte
- der Insel Neuguinea.
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