Was gab den Anstoß für die Geschäftsidee der EQAsce?
Zur Karriere-Begleitung an der Universität Bonn gehörte auch die studienbegleitende Zusatzausbildung zum „DGQ-Quality System Manager Junior“. Diese wurde 1998 an der Landwirtschaftlichen Fakultät in das Studienprogramm aufgenommen. Ich erarbeitete damals in meiner Rolle als Professorin und als Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ e.V.) mit mehreren Expertinnen und Experten das Bonner Modell der Zusatzausbildung. Das Bonner Modell war und ist bis heute eine von der DGQ akkreditierte Zusatzausbildung, damals das erste Angebot, das sich vor allem an Studierende in den Agrar- und Ernährungswissenschaften richtet. Die Nachfrage und der Erfolg dieses Bildungsangebots mit EU-weit anerkannten Zertifikaten gab den Anstoß für die Geschäftsidee der EQAsce. Zweck der Start-up Ausgründung war es, neben dem studienbegleitenden auch zusätzlich ein berufsbegleitendes Fortbildungsangebot im Sinne eines lebenslangen-Lernen-Ansatzes anbieten zu können. Im Vordergrund stand damals wie heute, für Verantwortliche im Handlungsfeld überbetriebliches Qualitäts-Risiko- und Krisenmanagement spezielle Qualifizierungsformate zu gestalten und zu vermarkten.
Wer gehörte noch zum Gründungsteam?
Unter den 23 Gründungsmitglieder aus vier EU-Ländern waren sieben ehemalige Doktorandinnen und Doktoranden sowie wissenschaftliche Mitarbeitende des International Food Net Centers der Universität Bonn. Sie brachten die nötige Expertise aus der eigenen jahrelangen Forschung und Lehre auf diesem Gebiet mit. Zu den 16 juristischen Personen zählte bei der Gründung der gemeinnützige Verein GIQS e.V. Es handelt sich dabei um ein 2001 etabliertes deutsch-niederländisches Netzwerk, das zahlreiche EU-geförderte Forschungs- und Entwicklungsprojekte auf dem Gebiet initiierte und koordinierte. Aus diesem Netzwerk kamen die übrigen Mitglieder der Gruppe der juristischen Personen. Es waren Unternehmen aus Deutschland, den Niederlanden, Polen und Spanien, mit denen uns zu diesem Zeitpunkt eine jahrelange Forschungszusammenarbeit verband.
Für die Gründung haben Sie sich mit vielen anderen Institutionen zusammengetan. Wieso haben Sie sich für das Genossenschaftsmodell entschieden? Welche Vorteile hatte dieses Vorgehen?
Der Grundgedanke einer jeden Genossenschaft ist, gemeinsam seine Ziele besser und schneller zu erreichen als im Alleingang. Dies war auch im Juli 2015 die hauptsächliche Motivation der Gründungsmitglieder. Immer dann, wenn das Verfolgen eines wirtschaftlichen Ziels die Leistungsfähigkeit des Einzelnen übersteigt, zugleich aber die selbstständige Existenz gewahrt werden soll, bietet sich eine genossenschaftliche Kooperation an. Mit Hilfe eines gemeinschaftlich betriebenen Unternehmens wird die wirtschaftliche Tätigkeit der Mitglieder dann ergänzend unterstützt. Die Vorteile der Gründung einer Societas Cooperativa Europaea (SCE) also Europäischen Genossenschaft lagen für uns damals klar auf der Hand:
- Die Förderung einer europäischen Unternehmensidentität und damit einer europäischen Unternehmenskultur im Handlungsfeld „hochwertige Bildung“ SDG4
- Das Gewinnen von mehr ausländischen Kooperationspartnern wie Hochschulen und öffentliche Stellen für das Unternehmen.
- Die Erschließung neuer Märkte und die Zusammenarbeit bei wichtigen europäischen Initiativen in der Agrar- und Ernährungswirtschaft
- Das Branding, das die europäische Struktur des Unternehmens repräsentiert und dadurch das Image des Unternehmens stärkt
Deswegen schlossen wir uns mit anderen Bildungsträgern und Standardgebern EU-weit zusammen. Gemeinsam arbeiteten Gründungsmitglieder unterstützt durch Fördermittel der EU an einem Portfolio unterschiedlicher Qualifikationen und Lernformate nach einem in EU-Gremien abgestimmten Standard. Dies geschieht bis heute über eine am Standort Bonn aufgebaute Plattform, koordiniert über die zentrale Geschäftsstelle vor Ort.
Für das Europäische Genossenschaftsmodell benötigten Sie also ausreichend Akteure, die mitmachen. Welche Hürden haben Sie dabei überwunden?
Für die Rechtsform einer Europäischen Genossenschaft, sind mindestens fünf natürliche oder juristische Personen mit Wohnsitz in mindestens zwei EU-Mitgliedsländern erforderlich. Diese Gründungsvoraussetzung war für uns keine Hürde, denn mit den meisten Akteuren haben wir bereits über Jahre in EU-Projekten zusammengearbeitet. Erste Hürden wurden aber bald durch die genossenschaftlichen Ideale der SCE wie z.B. „ein Mitglied = eine Stimme“ spürbar. Ähnlich wie bei einer deutschen Genossenschaft gibt es auch bei der SCE eine Generalversammlung, die als oberstes Entscheidungsgremium fungiert. In den Anfangsjahren gestaltete sich die Einberufung aller drei Organe Vorstand, Aufsichtsrat und Generalversammlung als äußerst herausfordernd. Denn das Genossenschaftsrecht sah jeweils Treffen in Präsenz vor. Bei 23 Mitgliedern aus vier Ländern war es oft nicht leicht, die Beschlussfähigkeit sicher zu stellen. Dies änderte sich schlagartig mit der Corona- Krise. Seit 2020 werden die Generalversammlungen und die quartalsweisen Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen online oder im hybriden Format durchgeführt. Dies erleichtert die Arbeit des Vorstands und der Geschäftsstelle erheblich.
In welcher Phase der Entwicklung befindet sich die Ausgründung derzeit? Sie sind ja schon seit einigen Jahren aktiv.
EQAsce hat sich in drei Phasen der stetigen Transformation vom Start-up zur unabhängigen Dienstleistungsgenossenschaft entwickelt. In der ersten Phase (2015-2019) stand die grenzübergreifende Koordination von gemeinsamer Forschung - damals noch in enger Kooperation mit dem InternationalFoodNetCenter der Universität Bonn - im Vordergrund. Es folgte dann die zweite von der Corona-Pandemie geprägten Phase (2020-2023). In dieser herausfordernden Krisenzeit ist eine Bürogemeinschaft mit einer Geschäftsstelle in Bonn-Ost und New-Work Arbeitsplätzen auch in anderen Bundesländern entstanden. EQAsce wurde als Zertifizierungsstelle mit in das DigiCerts-Netzwerk aufgenommen, gehört zum Kreis Learning City Bonn und beteiligt sich am NachhaltigkeitsHUB Bonn. Selbst hat EQA zahlreiche eigene Initiativen ins Leben gerufen, wie die Fach Task Force Wiederherstellung landwirtschaftlicher Bodenwerte und die beiden Reallabore Smart.Bodo und Smart.Regina innerhalb des Netzwerks DigiSandbox.NRW. Schließlich etablierte die Genossenschaft Ende letzten Jahres den branchenspezifischen Weiterbildungsverbund EQA-Academy mit dem Leitbild „Zukunft aktive gestalten“
Heute befindet sich die Genossenschaft in der dritten Phase. In das Jahr 2024 geht EQA mit einem in den letzten drei Jahren gut ausgebildeten Team. Alle Mitarbeitenden waren aktiv beteiligt an dem maßgeschneiderten Dienstleistungsangebot für Verantwortlichen im Management von Unternehmen und Wertschöpfungspartnerschaften der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Die interne und externe Vermarktung der drei hybriden Dienstleistungspaketen Q-Farm-HUB, Q-Guide und Q-CERT-Wallet steht heute im Vordergrund der Arbeit des EQA-Teams.
Was genau beinhalten diese verschiedenen Dienstleistungen?
Q- Farm-HUB ist eine Kombination einer Face-to-Face Beratung zur Koordination der Kommunikation zwischen Marktpartnern in regionalen und grenzübergreifenden Wertschöpfungspartnerschaften digital unterstützt durch eine webbasierte Cloud-Lösung.
Q- Guide ist ein webbasiertes Suchportal für Berufstätige in der Agrar- und Ernährungswirtschaft, um maßgeschneiderte und von EQA anerkannte Qualifizierungsangebote unterschiedlicher öffentlicher und privater Bildungsanbieter schnell zu finden und Kurse im Management-Bereich online buchen zu können. Bei der Bereitstellung einer Übersicht aller aktuellen Qualifizierungsmöglichkeiten handelt sich um eine wissensintensive Dienstleistung, da Branchenkenntnisse erforderlich sind, um nur anerkannte Angebote online zu stellen.
Q- CERT- Wallet ist eine Kombination eines Prozesses der Zertifizierung von Personen und der Bereit-stellung eines lebenslangen Wallets, um digitale Bildungsnachweise und Prozess- oder Systemzertifikate digital und durch die Blockchain gesichert zu sammeln und zu teilen.
Welche Inhalte haben denn die Zertifikate? In welchen Bereichen sind die Angebote angesiedelt?
EQAsce organisiert mittlerweile die Personenzertifizierung bezogen auf Zertifikate für sieben Aufgabenfeldern im Management von Wertschöpfungsketten in der Agrar- und Ernährungswirtschaft: Food Chain Management, Food Safety and Health Management, Risk and Crisis Management, Animal Health and Welfare Management, ICT and Lab Management, Soil Health Management, Nachhaltigkeitsmanagement.
Die Rolle von Führungskräften in der Agrar- und Ernährungswirtschaft hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. Neue Kompetenzen sind gefragt. Führungskräfte müssen heute externe Entwicklungen frühzeitig analysieren können, Anpassungen ableiten und umsetzten und als treibende Kraft der digitalen und ökologischen Transformation fungieren. Dies setzt Führungsstärke und Kommunikationsfähigkeiten voraus. Die Förderung von Dialog aller Partner der Wertschöpfungskette, konstruktive Auseinandersetzung und Flexibilität etwa bei regulatorischen Änderungen und agiles Handeln bei der Anpassung von Zuständigkeiten muss dabei als Kompetenz mit neuen Trainingsformaten erworben werden.
Inwieweit unterscheiden sich die Dienstleistungen in ihren Zielgruppen? Wen wollt Ihr genau ansprechen?
Der Service ist maßgeschneidert vor allem für Nachwuchs- und Führungskräfte in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben, ihren Dienstleistern und Marktpartnern. Hierzu gehört die berufsbegleitende Qualifizierung über Trainingsprogramme der EQA-Academy. Genauso zählt die Unterstützung der webbasierten Kommunikation mit Unterstützung der ersten Cloudplattform in Europa, um die Unternehmen digitaler, nachhaltiger und resilienter werden zu lassen.
Konkret sind es also zwei Zielgruppen, die wir ansprechen: Erstens Personen, die am Berufsanfang stehen, eine Karriere in Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft anstreben und wissen, dass das lebenslange Lernen Prinzip heute zum Berufsalltag gehört. In Deutschland allein sind dies Studierende von 13 Universitäten und Hochschulen mit Studiengängen in den Agrar- und Ernährungswissenschaften sowie Auszubildende in mehr als 400 000 Ausbildungsbetrieben für die sogenannte grüne Berufe und die Gastronomie. Zweitens möchten wir Unternehmen erreichen, die die Vorteile strategischer Wertschöpfungspartnerschaften erkannt haben und land- und forstwirtschaftliche Betriebe als Startpunkt für sehr unterschiedliche Kunden-Lieferanten-Beziehungen bei der Erzeugung nachhaltiger materieller und immaterieller Produkte erkannt haben.
Gibt es Besonderheiten in der Agrar- und Ernährungsbranche, die Sie berücksichtigen mussten bei der Angebotsgestaltung?
Ja, kaum eine andere Branche hat im Moment so wenig Planungssicherheit dagegen jedoch eine so ausgezeichnete Innovationskompetenz wie die Agrarwirtschaft. Aufgrund unvorhergesehener Kürzungen fehlt ihnen das Geld für zukunftsweisende Investitionen und die doppelte Transformation - die digitale und die ökologische. Die Bauern-Demos in diesen Tagen zeigen den Unmut hierüber sehr drastisch.
Welche Tipps geben Sie Gründungsinteressierten mit? Insbesondere mit Blick auf das Genossenschaftliche Modell?
Zunächst sollte man analysieren und sich von einem Prüfverband beraten lassen, ob die Gründungsidee überhaupt zur genossenschaftlichen Rechtsform passt. Im Grunde sind dabei immer drei Fragen zu klären, ob eine deutsche oder europäische oder eine völlig andere Rechtsform die richtige ist:
- Welches gemeinsame Ziel soll durch eine Kooperation erreicht werden? Denn die Satzung einer Genossenschaft ist immer als Gemeinschaftsunternehmen selbständiger Mitglieder zu formulieren, die sich demokratisch selbst verwalten.
- Wie sollen die Produkte/Dienstleistungen der Genossenschaft zugutekommen? Denn der Zweck einer Genossenschaft ist die Förderung der Mitglieder.
- Soll ein langfristiges Unternehmen gegründet werden? Denn Genossenschaften sind nachhaltige Unternehmen. Sie sind auf die genossenschaftlichen Ideale, seien sie wirtschaftlicher oder sozialer Natur, und auf langfristige Perspektiven angelegt.