10. Juni 2021

Gemeinsam üben und handeln IPSTA: Berufsübergreifendes Lernen im Alltag einer „Kinderherzstation“ mit direktem Feedback

Berufsübergreifendes Lernen im Alltag einer „Kinderherzstation“ mit direktem Feedback

Auf der Interprofessionellen Ausbildungsstation „Kinder IPSTA Bonn“ am Zentrum für Kinderheilkunde des Universitätsklinikums Bonn übernehmen angehende Ärztinnen und Ärzte sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpflegeauszubildende eigenverantwortlich die Betreuung von bis zu vier herzkranken Kindern. Dabei werden sie intensiv durch erfahrene ärztliche und pflegerische Lernbegleitende unterstützt. Durch die stetige Kommunikation und die gemeinsame Arbeit in interprofessionellen Zweier-Teams steigt das gegenseitige Verständnis der Berufe füreinander. Ein Artikel aus der forsch 2021/01.

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IPSTA1 - Patientensicherheit hat eine hohe Bedeutung auf der „Kinderherzstation“: So findet für die IPSTA-Teilnehmer dazu ein Einführungstag statt – inklusive Simulationstraining und Notfallmanagement. Hier das IPSTA-Tandem bei einer Reanimationsübung. © Johann Saba
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Campus Venusberg, 6:15 Uhr morgens: Gleich beginnt für Isabelle Claus und Melina Schütz ihre Frühschicht auf Station I im 3. Stock des Eltern-Kind-Zentrums (ELKI). Gemeinsam betreuen die 26-jährige Medizinstudentin und die 20-jährige Gesundheits- und Kinderkrankenpflegeschülerin zwei kleine Patientinnen der Kinderkardiologie. Eine davon ist die acht Monate alte Lina. Sie lacht herzlich, als das Duo jetzt frühmorgens an ihr Bettchen tritt. „Lina freut sich immer, wenn die Mädels reinschauen“, sagt ihre Mutter. Sie weiß die intensivere Betreuung zu schätzen: „Dank IPSTA gibt es mehr Kontakt und wir fühlen uns sehr gut aufgehoben.“

Krankengeschichte ermitteln, Diagnose stellen, Behandlung planen und durchführen: All das, was normalerweise erfahrene ärztliche und pflegerische Teams im Stationsalltag machen, übernehmen seit zwei Wochen Claus und Schütz im Tandem. Möglich ist das im Rahmen der neuen Interprofessionellen Ausbildungsstation IPSTA am Universitätsklinikum Bonn. Sie ist deutschlandweit die einzige, die direkt an eine "Kinderherzstation" angeschlossen ist.

Das IPSTA-Tandem bespricht sich vor dem Simulationstraining zum Thema „Kindernotfall und Reanimation“. Foto: Johann Saba

Blick über den Tellerrand des eigenen Berufs

Vor mehr als zwei Jahren startete das innovative Modell nach schwedischem Vorbild, gefördert von der Robert-Bosch-Stiftung. Aufgrund des großen Erfolgs hat es sich jetzt im dritten Jahr am ELKI fest etabliert. So betreuen das ganze Jahr über zwei Tandems aus Medizinstudierenden und Auszubildenden der Kinderkrankenpflege jeweils für drei bis vier Wochen eigenverantwortlich bis zu vier herzkranke Kinder in der Früh- und Spätschicht – außer an Wochenenden und Feiertagen. Zur Seite stehen ihnen dabei erfahrene ärztliche und pflegerische Lernbegleitende.

„Interprofessionelle Arbeit ist deutschlandweit bisher nicht regulärer Bestandteil der universitären oder beruflichen Ausbildung. Das Projekt IPSTA ermöglicht Fortgeschrittenen dagegen gemeinsames Lernen in der Praxis. Inhaltlich fokussieren wir uns auf Selbstmanagement, Verantwortung und interprofessionelle Zusammenarbeit“, sagt Rebecca Maria Knecht. Sie ist die koordinatorische und konzeptionelle Leiterin des IPSTA-Projektes am Dekanat der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn.

Aufeinander achten und die Arbeit des anderen schätzen

Claus ist im Praktischen Jahr, kurz PJ, also in ihrem letzten Studienjahr. Im November steht das dritte Staatsexamen an. Da sie sich sehr gut vorstellen kann, später mit Kindern zu arbeiten, hat die 26-Jährige als Wahlfach Pädiatrie genommen. „IPSTA bietet eine privilegierte Lernsituation. Wir werden sehr eng betreut und bekommen ein schnelles persönliches Feedback. Es sind sehr kurze Wege, auf denen wir eine Rückmeldung erhalten“, sagt die Medizinstudentin. Auch Schütz ist fast fertig. Die 20-Jährige ist im dritten Lehrjahr ihrer Ausbildung zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin. Gemeinsam lernt das Duo die Abläufe auf der „Kinderherzstation“ kennen, bespricht alles und trifft Entscheidungen. „Wir sehen direkt was der andere macht und bekommen eine Vorstellung vom anderen Beruf. So finden wir Kompromisse und treffen bessere Absprachen“, betont Schütz einen Vorteil der interprofessionellen Ausbildung, der auch einen hohen Nutzen für die Patientensicherheit birgt.

„Kinder IPSTA Bonn“ auf der „Kinderherzstation“: Studentin Isabelle Claus (li.) und Pflegeschülerin Melina Schütz (re.) lernen zusammen berufsübergreifend, und versorgen als Tandem zwei herzkranke Kinder in Eigenverantwortung mit Feedback. Foto: Johann Saba

Fest für Herzkind und dessen Familie da sein

Langsam rücken die Zeiger der Uhr auf 9:15 Uhr vor. Es ist Zeit für die Visite. Mit Herzschwäche, Gedeihstörung, Trinkschwäche und Schwitzen ist Lina vor sechs Tagen als Notfall ins ELKI eingeliefert worden. Seitdem kümmern sich die beiden aktuellen IPSTA-Tandems intensiv um das kleine Mädchen, das mit einem Herzfehler auf die Welt gekommen ist. Eigentlich sollte Lina erst im Sommer operiert werden. Doch der Eingriff wird vorgezogen und ist in zwei Tagen. Bis dahin muss die kleine Patientin mit ärztlicher und pflegerischer Unterstützung fit genug dafür werden. „In IPSTA arbeiten wir sehr selbständig und treffen Entscheidungen – im Tandem. Und das ist auch ein Vorteil für die Familien. Sie haben uns vier und unsere Lernbegleitung als feste Ansprechpartner. Dieses Arrangement ist im üblichen Wechseldienst nicht möglich“, sagt Claus. Jetzt hat sie zusammen mit ihrer Mitstreiterin die Chance, Patient:innen bis zur Entlassung zu begleiten. „Lina geht es für ihre Krankheit seit ihrer Einlieferung besser. Wir sehen das, weil wir sie ganz eng betreuen“, bringt es Schütz auf den Punkt.

„Lina ist unser Sonnenschein!“

11:50 Uhr: Die Frühschicht ist bald zu Ende. Im IPSTA-Raum auf der „Kinderherzstation“ fassen Claus und Schütz die Befunde ihrer beiden kleinen Patientinnen und alle ärztlichen und pflegerischen Maßnahmen des Vormittags zusammen. Gleich um 12:15 Uhr findet die Übergabe an das IPSTA-Tandem der Spätschicht statt. Die Lernbegleiterinnen halten sich weiterhin im Hintergrund. Über Lina kann beispielsweise berichtet werden, dass es ihr von Tag zu Tag bessergeht und sie seit gestern 40 Gramm zugenommen hat. Für die geplante Operation, wegen der sich Linas Mutter doch etwas Sorgen macht, muss unter anderem noch ein „Echo“, also eine Ultraschalluntersuchung des Herzens, gemacht werden. Linas Mutter weiß ihre Tochter in guten Händen: „Beide Tandems sind sehr kompetent, harmonieren untereinander, haben Interesse an der Kinderkardiologie und Spaß an der Arbeit. Sie machen auf mich einen super Eindruck, aber auch alle anderen. Das ganze Team ist toll.“

Um 14 Uhr ist die Frühschicht zu Ende. Die angehende Ärztin sowie die zukünftige Kinderkrankenpflegerin sind wieder um einige Erfahrungen reicher. „Man lernt sich selbst besser zu strukturieren und zu organisieren“, sieht Claus einen zusätzlichen Effekt des IPSTA-Konzepts. Schütz ergänzt: „Das Eingehen auf die andere Berufsgruppe macht das Arbeiten auf Station auch leichter.“ Prof. Dr. Johannes Breuer, Direktor der Kinderkardiologie, ist überzeugt, dass durch das moderne Ausbildungskonzept gerade der Pflegeberuf an Attraktivität gewinnt: „Es ist mehr als das Erledigen ärztlicher Aufträge. Es geht um Teamspirit.“

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IPSTA2 - Das IPSTA-Tandem bespricht sich vor dem Simulationstraining zum Thema „Kindernotfall und Reanimation“. © Johann Saba
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IPSTA 3 - „Kinder IPSTA Bonn“ auf der „Kinderherzstation“: Studentin Isabelle Claus (li.) und Pflegeschülerin Melina Schütz (re.) lernen zusammen berufsübergreifend, und versorgen als Tandem zwei herzkranke Kinder in Eigenverantwortung mit Feedback. © Johann Saba
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