Du bist von Haus aus Biologin mit Schwerpunkt auf Bionik und hast bei dem berühmten Bioniker Prof. Wilhelm Barthlott, Entdecker des Lotus-Effektes, an der Universität Bonn promoviert. Wie kam es dann dazu, dass Du den akademischen Karriereweg verlassen und ein Unternehmen gegründet hast? Was ist Deine Gründungsidee?
Am Anfang stand bei mir die Erfindung und erst danach bin ich überhaupt auf die Idee gekommen, eine Firma zu gründen.
Das Ganze begann während eines Forschungsaufenthaltes an der University of Washington, USA, wo ich gemeinsam mit Prof. Adam Summers den Northern Clingfish untersucht habe. Das ist ein kleiner Fisch, der in der Brandungszone lebt und dort ständigem Wellengang ausgesetzt ist. Er kann sich mit seinem Bauchsaugnapf an den rauen Steinen festsaugen. Wir haben dieses Phänomen technisch übertragen und einen Saugnapf entwickelt, der ebenso extrem stark auf rauen Oberflächen haftet. Die Technologie habe ich mittlerweile als Marke Clingfish-Effekt® eingetragen.
Unsere Erfindung hatte ein überraschend großes Medienecho in den USA und in Deutschland - unter anderem berichteten Discovery Channel und National Geographics for Kids darüber. Und wir wurden dann auch von der Industrie angefragt, ob man die Saugnäpfe schon kaufen kann. Wir haben die Technologie daraufhin noch verfeinert und schließlich den Saugnapf als Patent angemeldet. Da war klar, dass ich das Produkt auf den Markt bringen werde.
Auf dem Weg zur Gründung hast Du gleich zwei wichtige Förderungen eingeworben: Das NRW Gründerstipendium und das EXIST Gründerstipendium. Wie hat Dir dies geholfen und hast Du weitere Unterstützung gehabt?
Ich habe immer Unterstützung und ein großes Netzwerk gehabt, ein solches Projekt kann man gar nicht alleine machen. Das NRW Gründerstipendium und das EXIST Gründerstipendium haben sehr geholfen, die Entwicklung von einem funktionierenden Prototyp zu einem funktionierenden Produkt zu realisieren. Man unterschätzt am Anfang leicht, wie viel Arbeit die vielen Entwicklungsschleifen machen und wie viel Zeit man dafür braucht.
Sehr hilfreich war dabei auch die Gründungsberatung am Transfer Center enaCom, die mich vor allem bei meinem EXIST-Antrag unterstützt hat. Dort wurde und werde ich regelmäßig beraten und darin gecoacht, meine wissenschaftliche Perspektive um den unternehmerischen Blickwinkel zu erweitern. Das regelmäßige Feedback von Expert*innen, die sich mit dem Thema Gründung auskennen und wissen, worauf man achten muss, ist unheimlich wichtig.
Das Unternehmen ClingTechBionics ist gegründet und die Marke Clingfish-Effekt® eingetragen. Was kommt jetzt?
Die Produktentwicklung ist bei uns das Herzstück des Ganzen und wir haben im vergangenen Jahr große Fortschritte gemacht. Den Saugnapf bieten wir mittlerweile serienmäßig für den Poolbereich an, wo er im Bereich Aquafitness zum Einsatz kommt. Es gibt weitere Einsatzfelder, wie etwa salzwasserbeständige Spezialsaugnäpfe für die Walforschung. Aktuell arbeiten wir auch an einer aktiven Variante, das heißt wir stellen Vakuumsaugnäpfe mit dem Clingfish-Effekt® her, die dann zum Beispiel Gegenstände mit doppelstrukturierten Oberflächen transportieren können. Die Produktentwicklung brauchte mehr Zeit, als ich am Anfang kalkuliert habe. Ich denke, das ist eine ganz typische Erfahrung und eine Sache, die man nicht unterschätzen sollte.
Was unterscheidet für Dich Entrepreneur*innen von Wissenschaftler*innen?
Das Leben und die Forschung an der Uni sind deutlich anders als die Selbstständigkeit, weil man einfach andere Prioritäten setzt. Zum Beispiel habe ich mich als Forscherin gefragt, wie funktioniert das? Wie kann ich das verstehen? Als Selbstständige interessiert mich jetzt zuerst, wie lange dauert das und wie viel kostet es?
Das sehe ich auch als eine Herausforderung: von einer ganz anderen Perspektive auf die Sache zu blicken und bei der Forschungsarbeit auch die Markt- und Produktionsfähigkeit zu prüfen. Das lernt man als Wissenschaftler*in in der Regel nicht, weil der Fokus ein ganz anderer ist.
Vor allem bedeutet dieser Perspektivwechsel, auch die ökonomischen Aspekte zu berücksichtigen. Wie ist Dir das gelungen?
Die ökonomische Seite mit zu bedenken ist sicherlich eine Herausforderung gewesen. Beispielsweise war es zu Beginn sehr schwierig zu wissen, welchen Preis ich für mein Produkt nehmen kann. Es muss ja auf der einen Seite Abnehmer geben und auf der anderen Seite Gewinn erwirtschaftet werden. Hierfür müssen alle Kosten berücksichtigt werden, wie etwa Miete, Geräte, Gehälter, Reisekosten etc., was für mich nicht einfach einzuschätzen war. Und dann hängt der Preis natürlich auch stark von den Mengen ab, die man absetzen kann. Wenn ich mehr absetze, wird die Produktion natürlich günstiger, aber dann gibt es irgendwann auch wiederum Grenzen durch die Produktion. Das ist ein ständiger Optimierungs- und Lernprozess, der für jede Anwendung neu stattfindet.
Hierbei gehen dann Produktentwicklung und Preisfindung Hand in Hand, denn es kommt ganz stark auf den Anwendungsfall an. Ein Saugnapf, den ich für den Poolbereich produziere, muss resistent gegen Chlorwasser sein, was eine hohe Anforderung ist. Wenn ich hingegen einen Saugnapf für den Sanitärbereich produziere, an den ich nur ein Handtuch aufhängen möchte, brauche ich diese Resistenz nicht: ich kann den Saugnapf günstiger produzieren und somit auch günstiger anbieten.
Und wenn ich bei einem Saugnapf merke, dass der Preis zu teuer ist, schaue ich mir den Produktionsvorgang noch einmal an und überlege, ob ich einen Schritt ändern oder ein Material ersetzen kann, ohne dass die Funktion eingeschränkt wird. Im Prinzip wird ein Saugnapf für jede Anwendung immer neu angepasst, weshalb ich dann auch immer wieder neue Spielräume und Voraussetzungen habe – nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Preisgestaltung.
Hast Du das Gefühl, dass Dein Privatleben zu kurz kommt?
Mein Leben ist total spannend, aber ich habe auch eine Familie und die ist mir natürlich auch sehr wichtig. Ich habe immer schon gerne selbstbestimmt gearbeitet und es ist mir sehr wichtig, eine große Flexibilität in meinem Alltag zu haben, damit mein Beruf eben auch mit der Familie vereinbar ist. Ein eigenes Start-up bringt sicher sehr viel Arbeit, aber auch eine große Freiheit in mein Leben.
Welchen Tipp hast Du für angehende Gründer*innen?
Es ist schwierig einen generellen Tipp zu geben, weil jede Gründung anders ist. Gerade deswegen ist die Beratung von jemandem, der schon verschiedene Unternehmen begleitet hat und aus dem Erfahrungsschatz schöpfen kann, auch so wichtig.
Bei einer Gründung gibt es immer ein großes Risiko, aber auch eine große Chance. Man sollte sich etwas trauen, aber die Sache auch nicht unterschätzen. Ich halte es für wichtig, alles zu hinterfragen und zu versuchen, die Sachverhalte selber zu verstehen und sich da wirklich reinzudenken.
Hier geht es zur Website von ClingTechBionics