Strukturen hinterfragen und durch inter- und transdisziplinäres Arbeiten die Perspektiven des eigenen Fachs erweitern – das treibt Prof. Laura Münkler an. „Meines Erachtens hilft Inter- und Transdisziplinarität immer neue Perspektiven auf schon innerhalb eines Faches vielfach diskutierte Probleme zu gewinnen und auch gewisse blinde Flecken aufgrund der in den Disziplinen steckenden Prämissen feststellen zu können“, erklärt die Rechtswissenschaftlerin. Die Universität Bonn bietet ihr hierfür die besten Bedingungen: „Mit den Transdisziplinären Forschungsbereichen bietet die Uni Bonn mir exzellente Möglichkeiten, mich mit anderen Fächern zu vernetzen.“
Diesen Ansatz will sie nun an der Universität Bonn auf die Fundamente des demokratischen Rechtsstaats anwenden. Wie wird die Wissensordnung organisiert? Wie sollte der Rechtsstaat mit unterschiedlichen Ansichten umgehen? Wie verändern sich Prozesse durch Digitalisierung?
Damit weitet sie die Forschung ihrer Habilitationsschrift weiter aus, in der sie sich mit dem Verhältnis von Wissen und Demokratie beschäftigt hat – ein Thema, das gerade im Rahmen der Corona-Pandemie heiß diskutiert wurde. „Meine Habilitation wurde gerade passend zu Beginn zu der Pandemie fertig“, lacht Münkler. „Meines Erachtens ist das Verhältnis von Demokratie und Expertise zueinander letztlich ambivalent, so dass alle Versuche – und da gibt es relativ viele Ansätze – mit gewissen Friktionen behaftet sind.“
Rückblickend sagt sie über den Umgang der Politik mit Expertenwissen in der Pandemie: „Meines Erachtens war das Hauptproblem, dass der Fokus sehr lange allein auf virologischen und epidemiologischen Erkenntnissen gelegen hat.“ Dadurch wurde Expertenwissen aus anderen Disziplinen sowie die Rückmeldung aus der Gesellschaft heraus übersehen – zum Beispiel psychologische und pädagogische Erkenntnisse über die Situation von Schulkindern. „Das hat gezeigt, dass, obwohl in einer Demokratie jeder Meinung als solcher Aufmerksamkeit zukommen sollte, das vielfach erst der Fall ist, wenn sie irgendwelches Expertenwissen hinter sich hat und sich darauf stützen kann.“
Anknüpfungspunkte findet Laura Münkler insbesondere im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Individuals and Societies“. „Mich interessieren Fragen von Gemeinschaftsbildung, die das Individuum nicht unterdrückt, sondern es ihnen ermöglicht, freiheitlich in Gemeinschaften einzutreten und dennoch nicht rein individualzentriert zu verbleiben.“ Da die gebürtige Hessin auch gesundheitsrechtliche Aspekte interessieren und sie in diesem Bereich politisch beratend tätig ist, wird sie sich auch im TRA „Life and Health“ einbringen.
Prof. Jürgen von Hagen, Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn, freut sich über die Verstärkung: „Frau Münkler ist eine großartige und vielversprechende Wissenschaftlerin. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, sie zu gewinnen, und danke auch dem Rektorat für die Chance, dies über eine Schlegel-Professur zu realisieren.“
Der Weg an die Universität Bonn
Laura Münkler studierte Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo sie im Anschluss als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war. Gleichzeitig lehrte sie als Gastdozentin an der Universität Paris Nanterre. Zu ihrer Promotion über die „Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung“ wechselte sie an die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Zwischen 2016 und 2021 war Laura Münkler Mitglied des Jungen Kollegs der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, zeitweise auch dessen stellvertretende Sprecherin. 2020 habilitierte sie sich mit der Arbeit „Expertokratie. Zwischen Herrschaft kraft Wissens und politischem Dezisionismus" an der LMU. Es folgten Stationen an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, der Universität Greifswald als Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungs- und Gesundheitsrecht und der Universität Würzburg, wo sie den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Würzburg leitete. Seit dem 1. Oktober 2023 hat sie den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie (Schlegel-Professur) inne.
Über die Schlegel-Professur
Mit den Schlegel-Professuren, benannt nach dem Bonner Philologen August Wilhelm Schlegel (1767-1845), richtet die Universität Bonn hochkarätige Lehrstühle im Zuge der Exzellenzförderung ein. Die „Schlegel Chairs“ werden von den Fakultäten in Fächern besetzt, die zu den forschungsstarken Schwerpunkten oder den Entwicklungsbereichen gehören.
„Neue Perspektiven auf vielfach diskutierte Probleme gewinnen“
Laura Münkler ist seit Oktober 2023 neue Schlegel-Professorin für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Bonn. Die Exzellenz-Professur scheint wie für sie geschaffen, ihr Herzblut liegt im inter- und transdisziplinären Arbeiten. Im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Individuals and Societies“ wird sie sich mit den Fundamenten des demokratischen Rechtsstaats auseinandersetzen. Mit ihr sprach Katrin Piecha.
Wie sind Sie in den Rechtswissenschaften gelandet?
Das ist keine ganz einfache Frage, weil ich relativ unentschlossen war, was ich studieren sollte. Am Anfang bin ich weitgehend nach dem Ausschluss-Prinzip vorgegangen. Nämlich, dass bestimmte Dinge mir nicht liegen, wie reine Mathematik, Physik – was mein Bruder studiert hat. Ich hatte aber eine gewisse Sprachbegabung, politisches Interesse und auch eine Neugier an historischen Entwicklungsprozessen sowie Institutionalisierungsformen, gepaart mit einem gewissen Gerechtigkeitssinn. Und deswegen lag nach Ausschluss von Literatur und Politikwissenschaften im Ergebnis ein rechtswissenschaftlichen Studium nahe.
Was begeistert Sie an dem Fach?
Über das Jurastudium sagt man häufig, dass es eigentlich langweilig sei und sehr stark dogmatisch strukturiert bestimmte Vorgaben mache. Das ist die Rechtswissenschaft aber eigentlich gar nicht. Sondern sie ist wahnsinnig vielfältig und man kann ganz unterschiedliche Dinge aufgreifen und zusammenführen. Das ist das, was mich daran begeistert: Strukturen zu hinterfragen, Prämissen offenzulegen und sich anzuschauen, wie etwas historisch gewachsen ist.
Und das hat Ihnen so gut gefallen, dass Sie Professorin geworden sind.
Ja! Dabei habe ich ehrlich gesagt im dritten Semester lange darüber nachgedacht, ob ich das Studium abbrechen soll. Die Art und Weise, wie man den Stoff erschlossen hat, sowie die starke Fokussierung auf Falllösungen und ein enges dogmatisches Korsett, bei denen bestimmte Gesichtspunkte, die ich für spannend erachte, aber nicht für die Lösung eines Falles relevant wurden, haben mich anfangs etwas abgeschreckt. Ich habe dem Ganzen dann noch mal ein Semester gegeben und bin in andere Veranstaltungsformen gegangen – viele verschiedene Seminare und Kolloquien. Da hat sich mir erschlossen, warum man das einerseits so machen muss, es aber andererseits eben doch viele Fragestellungen gibt, die mich wirklich interessieren. Dass man auch interdisziplinär arbeiten und viele verschiedene Blickwinkel verknüpfen kann. Das hat mich begeistert.
Was finden Sie so spannend daran, die Rechtswissenschaften mit anderen Disziplinen zu verknüpfen?
Ich glaube, dass letztlich jede Disziplin auf bestimmten Vorannahmen beruht oder einen spezifischen Blickwinkel einnimmt. Die Rechtswissenschaft ist sehr stark bezogen auf staatliches Entscheiden, auf bestimmte Rahmenvorgaben, die das Recht setzt. Und diese werden vielfach nicht weiter hinterfragt. Aus diesem Grund glaube ich, dass interdisziplinäres Forschen zum einen erkennen lässt, was für eine bestimmte Perspektive die eigene Disziplin eigentlich einnimmt und welche Limitationen damit einhergehen. Und andererseits hilft es, die Stärken der eigenen Disziplinen zu erkennen, weil man gerade in der Konfrontation mit anderen disziplinären Einsichten und Konstruktionen sehen kann, dass die spezifischen Begrenzungen, die das Recht setzt, durchaus auch von Vorteil sein können.
Was hat Sie überzeugt an die Uni Bonn zu kommen?
Eigentlich war ich gerade sehr glücklich in meiner vorherigen Position – auch, weil es näher an meiner Familie dran war. Ich habe mich aber mit mehreren Kolleginnen und Kollegen hier ausgetauscht und fand, dass sich unsere Forschung an spannenden Punkten einerseits überschneidet, andererseits zum Teil auch diametral entgegensteht in den Ergebnissen. Ich finde es produktiv, sich gerade mit Personen auszutauschen, die nicht zwangsläufig derselben Meinung sind, sondern eben aus dem Dissens heraus neue Erkenntnisse zu gewinnen. Das fand ich schön. Gleichzeitig entsprechen die Möglichkeiten, die die Universität Bonn mir bietet, genau dem, was ich machen möchte. Und insofern bin noch mal aus meinem bequem eingerichteten Umfeld ausgebrochen.
Worauf freuen Sie sich an der Uni Bonn besonders?
Einerseits freue ich mich sehr darauf, mit den rechtswissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen in Austausch zu treten. Hier gibt es erste Ansätze eines Projekts, sich mit den Fundamenten des demokratischen Rechtsstaats auseinanderzusetzen. Und andererseits bin ich begeistert von der Art und Weise, wie inter- und transdisziplinäre Varietät ermöglicht wird durch die Einrichtung der verschiedenen transdisziplinären Forschungsbereiche (TRA). Ich schätze diese Vernetzung unterschiedlicher Disziplinen, die entweder zu inter- oder transdisziplinären Erkenntnissen führen kann, sehr. Ich habe schon mit Literatur- und Kulturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern zusammengearbeitet, mich teils auch mal mit der Medizin und Ökonomie auseinandergesetzt, aber auch der Sprachphilosophie. Und natürlich, wenn man Rechtsphilosophin ist, überschreitet man ja ohnehin grundsätzlich die Grenze von Rechtswissenschaft und Philosophie.
Meines Erachtens hilft Inter- und Transdisziplinarität immer neue Perspektiven auf schon innerhalb eines Faches vielfach diskutierte Probleme zu gewinnen und auch gewisse blinde Flecken aufgrund der in den Disziplinen steckenden Prämissen feststellen zu können. Und aus diesem Grund halte ich inter- und transdisziplinäres Forschen mit all den Schwierigkeiten, die das mit sich bringt, für besonders erkenntnisfördernd und für mich jedenfalls erfüllend.
Haben Sie schon bestimmte Fachbereiche im Auge, mit denen Sie arbeiten möchten?
Ich glaube, dass sich relativ viele Verknüpfungen ergeben. Und gerade der transdisziplinäre Forschungsbereich „Individuals and Societies“, der sich mit Institutionen, Individuen, Gesellschaften auseinandersetzt, hat zu meiner Forschung relevante Bezüge. Eigentlich lässt sich quasi meine gesamte bisherige Forschung hierauf beziehen.
Da ich auch im Gesundheitsrecht aktiv bin, sowohl wissenschaftlich als auch politisch beratend, gäbe es vielleicht zudem eine Möglichkeit, mich bei dem TRA „Life and Health“ einzubringen, der sich mit Gesundheitsaspekten auseinandersetzt, wenngleich relativ stark medizinisch fokussiert und weniger auf das Recht bezogen.
Sie haben sich in Ihrer Habilitation mit dem Verhältnis von Expertenwissen und Politik beschäftigt. Die Thematik ist vor allen Dingen durch Corona extrem relevant geworden. Was sind Ihre Ergebnisse?
Das Problem ist meines Erachtens, dass das Verhältnis von Demokratie und Expertise zueinander letztlich ambivalent ist. Also, dass alle Versuche – und da gibt es relativ viele Ansätze –, dass in die eine oder andere Richtung gänzlich sauber aufzulösen, mit Friktionen behaftet sind. Beispielsweise lassen sich Grundrechtskonflikte nur dadurch auflösen, dass man Expertise einbezieht. Daher bin ich der Überzeugung, dass, allein darauf abzustellen, Demokratie würde bedeuten, dass Laien über jegliche Fragen Entscheidungen treffen können, nicht weiterführt. Gleichzeitig ist natürlich Expertise nicht rein objektiv und insbesondere wissenschaftlichem Wissen liegt immer eine Limitation zugrunde: Um Wissen zu generieren, blenden wir Kontextfaktoren aus, die aber gerade bei einer politischen Entscheidungsfindung eine ganz erhebliche Rolle spielen. Das heißt, dass jegliches Expertenwissen, selbst wenn es besonders valide und damit belastbar sein mag, uns nie eine Auskunft darüber geben kann, was wir eigentlich tun – also politisch entscheiden – sollten.
Sie sind erst seit Herbst 2023 hier in Bonn. Haben Sie bereits Lieblingsorte?
Ich hoffe eigentlich, dass mein Büro mein Lieblingsort wird. Jedenfalls hat es das Potenzial dazu. Ansonsten schätze ich es sehr, am Rhein entlang zu laufen und dabei auf neue Ideen zu kommen. Mit Blick auf die Stadt muss ich gestehen, dass ich angesichts meines Pendelns noch keine weiteren spezifischen Lieblingsorte ausgemacht habe. Aber ich glaube auch hier sicherlich in der nächsten Zeit fündig zu werden.