„TLR7 gehört zur Familie der Toll-like Rezeptoren und dient zur Erkennung von Pathogenen und anschließender Aktivierung des angeborenen Immunsystems“, sagt Dr. Kerstin Ludwig vom Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn. Wenn es durch Mutationen zum Funktionsverlust des TLR7-Gens kommt, kann die Erkennung der Corona-Viren beeinträchtigt sein. Dadurch kommt es zu einer geringeren Abwehr durch die Immunzellen – das Virus erhält weniger Gegenwehr.
Die Studie bestätigt auf Populationsebene, was aus familiären Fällen bereits bekannt war: Dass ein genetisch-vermitteltes Fehlen von TLR7 einen starken Risikofaktor für schweres COVID-19 darstellt. Diese Information kann zum einen im Rahmen einer individuellen Risikovorhersage eingesetzt werden. Zum anderen ermöglicht dieser Befund nun Folgearbeiten zum genauen Entstehungsmechanismus, dessen Aufklärung Grundlage für Medikamentenentwicklung für COVID-19 sein kann.
21 Beiträge aus zwölf Ländern
Die aktuelle Studie war nur durchführbar, da sowohl genetische als auch klinische Daten möglichst vieler Personen mit COVID-19 zusammengeführt wurden. 21 einzelne Arbeiten aus zwölf Ländern haben dazu beigetragen – darunter eine aus Deutschland. Dieser deutsche Beitrag stammt aus der "DeCOI"-Initiative (www.decoi.eu) und wurde von Dr. Kerstin Ludwig von der Universität Bonn gemeinsam mit Prof. Dr. Olaf Rieß (Universität Tübingen) und Dr. Dr. Eva Schulte (Ludwig-Maximilians-Universität München) koordiniert.
„Gemeinsam haben wir über das DeCOI-Konsortium DNA von Probanden aus mehreren deutschen Standorten zusammengetragen, mit Hilfe der Next-Generation-Sequencing-Kompetenzzentren in Köln, Tübingen und Bonn Gesamtgenomsequenz-Daten generiert und dann in Bonn zusammengeführt“, berichtet Ludwig, die Mitglied im Exzellenzcluster ImmunoSensation2 der Universität Bonn ist. Im Anschluss führte Dr. Axel Schmidt vom Institut für Humangenetik an diesem Datensatz die Auswertungen durch und koordinierte die gemeinsame Analyse mit den internationalen Gruppen.
Genetische Risikofaktoren
Kurz nach Beginn der Pandemie bildete sich die internationale COVID-19 Host Genetics Initiative (COVID-19 HGI), in der weltweit Kohorten für die Untersuchung von wirtsgenetischen Faktoren zusammengetragen wurden. In den letzten Monaten fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits mehrere genetische Risikofaktoren für schwere COVID-19 Verläufe heraus, die häufig in der Bevölkerung vorkommen. Sie sind einzeln nicht krankheitsverursachend, sondern nur im Zusammenspiel mit anderen genetischen und klinischen Risikofaktoren, wie zum Beispiel männliches Geschlecht, fortgeschrittenes Alter oder Übergewicht.
Im Gegensatz dazu wird erwartet, dass es auch Patienten gibt, in denen ganz seltene Varianten ein hohes Risiko für schweres COVID-19 vermitteln. Um dies zu untersuchen, wurde die WES/WGS-Untergruppe der COVID-19 HGI gegründet. Die Auswertung von WES/WGS-Daten geht mit enormen Datenmengen und Anforderungen an die Bioinformatik einher. Außerdem können diese genetischen Daten nicht einfach mit weltweiten Gruppen geteilt werden, sondern müssen in den einzelnen Studienzentren analysiert und anschließend auf einer Meta-Ebene kombiniert werden, um Verzerrungen – etwa durch unterschiedliche Methoden – zu vermeiden. Die Forschenden verglichen die in den einzelnen Kohorten vorhandenen genetischen Varianten in jedem Gen des gesamten Erbguts und ihre Häufigkeit zwischen schwerbetroffenen Patienten und Kontrollpersonen.
„Nicht weniger bedeutsam als das Resultat ist jedoch die Dimension der internationalen Zusammenarbeit“, sagt Ludwig. In beeindruckender Geschwindigkeit sei es gelungen, viele Nationen in ein großes genetisches Projekt zu holen und gemeinsam genetische Daten zu analysieren. Der Datensatz soll noch für weitere Untersuchungen verwendet werden.